Kapitel 68

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Vorab: ich habe mich dazu entschieden, kein "normales" Kapitel mehr zu schreiben. Einfach, weil ich es zwar probiert habe, aber es mir so, in dieser Version, einfach lieber war, als alle Besuche noch einmal zu beschreiben.. Sie schienen mir zu privat, ich wollte da irgendwie nicht eingreifen.. Klingt verrückt, nicht wahr?. Nehmt es mir nicht böse..💕
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Die letzten Tage im Hospiz hatte Lynn von allen Menschen Besuch bekommen, die ihr am Herzen lagen.
Natürlich tagtäglich ihre Eltern aber auch ihre Freunde. Es war schön, sie so lächeln zu sehen.
Auch die komplette Chefabteilung von Borussia Dortmund hat sie besucht. Das muss ich ihnen hoch anrechnen und Lynn schien danach entspannter. So, als ob sie jetzt noch entspannter von uns gehen könnte.
Ich hatte sie nicht gefragt, worüber sie geredet haben, da hatte ich bei jedem anderen Gespräch auch nicht getan.
Auch wenn ich seit Wochen Tag und Nacht hier verbrachte, ließ ich Lynn und all den Menschen, die sie ein allerletztes Mal in die Arme schließen würden, den Vortritt. Es war ein inniger Moment und diesen wagte ich nicht, zu zerstören.

Seufzend nippte ich an meiner Kaffeetasse und blickte hinaus auf die unendlichen Weiten des Meeres. Es war stürmisch und der Regen plätscherte gegen die Fensterscheiben.
Das Sofa, auf ich saß knatschte etwas, wenn ich mich bewegte aber es war bequem. Hier hatte ich viele Abende und Morgen verbracht weil mir in letzter Zeit alles zu viel geworden war.
Ich war müde, Tage lang lag ich wach, nur um sicher zu gehen, dass ich mich von ihr verabschieden konnte, wenn es so weit war.
Ich wollte nicht, dass es so weit sein würde aber klar war, dass sie nicht mehr lange hatte.
Einige Tage, hatten die Ärzte gesagt. Einige Tage nur noch.
Sie waren schon längst vergangen und mit jedem vergangene Tag merkte ich auch, dass sie an Kraft verlor.
,, Hey, Marco." Verwirrt drehte ich mich um, da ich Michael nicht hier erwartet hatte.
,, Hey." Er ließ sich neben mir nieder und entledigte sich seiner nassen Jacke.
,, Es ist ganz schön regnerisch, hier an der Küste. Generell ist Deutschland doch sehr kalt!", beklagte er sich.
,, Oh, man gewöhnt sich daran."
Einige Zeit lang saßen wir still nebeneinander.
,, Deine Mutter hat mir in Auftrag gegeben, mich um Jonas zu kümmern, solange ihr noch hier seid." Ich drehte meinen Kopf leicht zu ihm und nickte einfach nur.
Meine Mutter musste zurück nach Dortmund, sie musste ihrer Arbeit nachgehen.
Sie war schon länger hier und meinen Schwiegereltern konnte und wollte ich Jonas nicht auch noch auferlegen.
Ihre Tochter lag im Sterben.
,, Du hast Recht, das ist das Beste." Auch er nickte.
,, Wie lange hat sie noch?" Ich setzte mich auf und riss meinen Blick vom Meer.
,, Zwei, vielleicht drei Tage. Vielleicht auch schon heute." Ich nahm ein schweres Schlucken seinerseits wahr.,, Jonas ist gerade bei ihr. Es wird vielleicht das letzte Mal sein, dass er seine Mama sieht."
,, Ja, das habe ich schon beobachten dürfen. Jonas hat ihr gezeigt, dass er seine Schnürsenkel mit fast vier Jahren bereits alleine binden kann. Sie hat so herzlich gelächelt und sich gefreut." Ich nickte nur, da mir eine Antwort schwer fiel. Ich würde anfangen zu weinen, das wusste ich.

Es war bereits spät am Abend, als Jonas sich von Lynn verabschiedete und ich den Raum betrat.
Lynn war blass, Augenringe zierten ihr wunderschönes Gesicht, auch wenn dies immer blasser und verfallener wirkte.
Aber heute, heute war es anders, als in den letzten Tagen.
Es lag etwas in der Luft, das mich beunruhigte.
,, Hey..", flüsterte sie und ihr Blick schweifte aus dem Fenster.
Ich setzte mich neben sie.
,, Hey, Schönheit." Leise lachte sie.,, Na, Schneewittchen war auch die Schönste im ganzen Lande."
,, Sehr witzig, Marco.", hauchte sie.

Die Sonne begann unterzugehen und Lynns Griff nach meine Hand wurde immer schwächer. Ungewöhnlich schwach.
,, Was ist, ist alles gut?" Mühsam drehte sie ihren Kopf zu mir und ein ganz schwaches Lächeln legte sich auf ihren Lippen nieder.
,, Ich.. Marco. Tu' mir einen Gefallen." Natürlich schlug ich diesen nicht aus, das würde ich niemals tun.,, Suche in dem Schrank dort nach einem Umschlag. Und dann lege dich zu mir" Ich runzelte die Stirn.
,, Wieso?"
,, Keine großen Fragen, bitte tu es einfach"
Ich stand also auf und suchte in dem Schrank nach ihrem Umschlag. Es war ein Brief, ein dicker Brief.
Schließlich legte ich mich behutsam neben sie und zog sie an mich.
,, Und jetzt, was soll ich jetzt tun?", fragte ich sie und legte eine Hand auf ihre und eine Hand auf den Umschlag, auf den in ihrer Handschrift für mein Ein und Alles.
,, Ich bin zu schwach, um es dir vorzulesen, tust du es für mich? Bitte?" Mit zittrigen Händen öffnete ich den Umschlag.
,, Darf ich?" Sie nickte nur und schloss leicht die Augen. Ich schluckte die Tränen herunter, denn ich wusste, dass nun der Moment gekommen war. Es waren ihre letzten Augenblicke denn auch ihre Atemzüge wurden leichter und weniger.
,, Mein liebster Ehemann,
mein Fels in der Brandung, mein Rettungsboot, meine Ruhe vor dem Sturm.." Abrupt musste ich abbrechen, da die Tränen und das Schluchzen unaufhaltsam waren. Das waren Lynns letzten Worte an mich.
,, Shhht.. Lies weiter"
,, Ich, ich kann das nicht" Sie sah mir in die Augen und ich spürte, wie schwer ihr das fiel.
,, Marco, ich habe alles auf dieser Welt gesehen, ich habe mich von allen verabschiedet, ich habe meinem Sohn lebewohl sagen können. Meine Wünsche sind erfüllt.
Erfülle du mir bitte noch meinen letzten und lies weiter" Ich wusste, dass das ihre Art war zu sagen, dass sie nicht mehr konnte, dass ich sie gehen lassen musste.
Ich nickte also und las so gut es ging weiter.
,, Wenn du das hier liest, dann ist es bald mit mir zu Ende. Oder das ist es vielleicht schon.
Aber das ist unwichtig weil du gerade zählst. Alleine du.
Du, weil du so unendlich schön bist, von innen und von außen.
Du, weil du so viel mehr für mich bist, als nur der Mann an meiner Seite. Du bist mein bester Freund, mein Seelenverwandter..
Weil du es nicht verdient hast. Das hier einfach nicht verdient hast", kurz stockte ich, ,, Marco, gerne hätte ich dir diesen unendlich Schmerz genommen, den Schmerz, mich, deine Ehefrau, mit 29 Jahren zur Grab tragen zu müssen.
Ich habe dafür gekämpft aber ich habe den Kampf verloren.
Bis jetzt habe ich noch nie etwas verloren aber jetzt kenne ich den Schmerz. P.S.: Ich spiele nicht auf dein verlorenes Champions-League Finale an aber das tat bestimmt auch so weh!" Wieder stockte ich, da ich lachen musste, da dies sehr wohl eine Anspielung darauf war, dass ich ein Jammerlappen war.,, Ich weiß, dass ich dir den Schmerz nicht nehmen kann - ganz im Gegenteil zu dem, was du tagtäglich für mich geleistet hast, denn du hast mir den anschleichenden Tod so viel erträglicher gemacht, indem du mich nicht bemitleidenswert angeschaut hast. Du hast mich so behandelt, wie du es immer getan hast.
Du hast mich auch mindestens so sehr gefordert und jede einzelne Sekunde davon tat mir gut, da ich mich nützlich gefühlt habe und nicht wie eine zusätzliche Last, die ich im Endeffekt nun einmal bin.
Ich weiß, dass diese Last dich oft weit über deine Grenzen hinaus gebracht hat und davor ziehe ich meinen imaginären Hut.
Du bist großartig. Nichts kann dich stoppen, ein wirklicher Kämpfer.
Marco, du bist ein ganz besonderer Mann und ein noch viel schönerer Vater und ich weiß, dass du aus Jonas einen wundervollen Kerl machen wirst. (Achte vielleicht nur darauf, dass er seinen Führerschein macht!)" Leicht lächelte sie mir zu, ihre Augen wurden glasig. Daran erkannte ich, dass ihre Seele sich so langsam aber sicher verabschiedete.,, Du hast mein Leben so viel erträglicher gemacht, nachdem du mir das Gefühl gegeben hast, endlich jemanden gefunden zu haben, der mich versteht. Der mich verstehen will.
Du bist mein Seelenverwandter und vielleicht mag der Tod uns physisch trennen aber niemals psychisch.
Ich bin immer bei dir, denk an mich und ich werde da sein. Du musst nur fest daran glauben.
Trotz allem, mein Engel. Das Leben geht weiter.
Ich habe nie darauf gehofft, dass ich gehen muss aber jetzt, wo ich gehe, möchte ich dich wissen lassen, dass es für mich auch im Himmel nichts schöneres gibt, als dich glücklich zu sehen.
Bitte denke nicht, dass ich dich verlassen habe. Ich bin einfach nur vorgegangen.
Pass mir auf unser kleines, großes Baby auf, lass ihn niemals im Stich. Liebe ihn für mich mit.
Du bist jetzt Mama und Papa zur gleich. Du schaffst das!
Du hast bis jetzt alles geschafft. Und wenn er ein zickiger und genervter Teenager ist, dann lass ihn das sein.
Lass ihn genervt von deiner Liebe sein aber danach wird er dir dankbar dafür sein.
Dankbar dafür, dass du ihn niemals im Stich gelassen hast. Nicht so wie seine Mama, auch wenn es unfreiwillig ist.
Ich habe ihn neun Monate unter meinem Herzen getragen und ich werde ihn ein Leben lang als Erinnerung bei mir behalten." Bevor ich die letzten paar Sätze las, sah ich zu Lynn, welche mich noch schwach ansah. Erneut liefen mir Tränen die Wange hinunter und tropften auf ihre langsam abkühlende Hand.,, Ich habe niemals gehen wollen aber wenn ich mir den Himmel vorstellen kann dann so: friedlich und pures Glück, vermischt mit innerer Ruhe.
Wenn du einen Schmetterling siehst, dann bin ich bei dir.
Immer.

Trauer nicht, lebe. Du hast es dir verdient.
In unendlicher Liebe,
Lynn." Laut schluchzte ich auf, als ich entdeckte, dass Lynn einen Bild mit in den Umschlag gepackt hatte. Eines, bei dem sie bei einer Show von ihr Flügel trug, die denen eines Schmetterlings ähnelten.
Ich sah zu ihr hinunter.
Ihre Augen waren geschlossen, sie schien friedlich. Ein leichter Funken Leben hauchte noch in ihr, sie machte ihre letzten Atemzüge.
,, Ich wünsche dir eine wunderschöne Reise über diese Brücke, ganz ohne Schmerzen, Lynn. Ich liebe dich. Für immer."

Stille.

fix you - Ich rette Dich [ Marco Reus ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt