[Kapitel 2 # Sonntag]
"Elenore, wie schön, dass du so früh am Morgen schon vorbeischaust", ertönt die gedämpfte Stimme meines Dads aus dem Flur. Schmunzelnd halte ich mir die Hand vor meinen Mund, damit ich nicht laut lache. "Ich weiß doch, wie sehr du dich über meine Besuche freust", erwidert meine Oma frech, bevor sie in mein Blickfeld tritt.
"Wo ist meine Tochter?", dreht sich die relativ kleine Frau einmal im Kreis. "Als sie dich draußen auf dem Gehweg gesehen hat, hat sie sich urplötzlich in Luft aufgelöst", nimmt mein Dad einen Schluck von seinem Kaffee, nachdem er sich an den Türrahmen des Wohnzimmers, in dem ich sitze, gelehnt hat. Aus zu Schlitzen geformten Augen sieht Elenore ihn böse an.
"Sie ist unter der Dusche", kläre ich meine Oma lachend auf, bevor sie womöglich noch auf meinen Dad losgeht. "Haben wir schon wieder Fasching?", reißt die Dunkelhaarige ihre Augen auf, als sie ihren Blick auf mich legt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie auf mein Gesagtes überhaupt nicht eingeht.
"Elenore bitte", seufzt mein Dad, "sie ist erst vor einer halben Stunde aufgestanden." Leicht lächelnd forme ich ein stummes 'Danke' in seine Richtung. Dann fasse ich meine braunen Haare, die unregelmäßig stark gewellt sind, in einem Dutt zusammen und setze die rote Brille, die ich nur zum Lesen brauche, von meiner Nase ab.
Während ich meine Füße, die in warme Wollsocken eingepackt sind, von unserem Wohnzimmertisch nehme, klappe ich das Skript zusammen und lege es aus meiner Hand, um meine Oma anständig zu begrüßen. Obwohl ich sie nur kurz umarme, steigt mir ihr Parfüm sofort in die Nase und setzt sich in meinem lila Schlafanzug fest.
Da mich meine Oma offensichtlich kritisch beäugt, starre ich genauso dämlich zurück. Wenn ich ihr Geburtsdatum nicht kennen würde, würde ich sie wahrscheinlich nicht auf ihre fünfundsiebzig Jahre schätzen. Ihr Gesicht ist beinahe faltenfrei und ihre Haare sind immer noch so dunkel und voluminös, wie auf ihren Hochzeitsbildern. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass Elenore uns seit Jahren anlügt, wenn sie behauptet, dass sie ihre Haare nicht färbt.
"Guten Morgen, Mom", begrüßt meine Mutter meine Oma, als sie die Treppe hinunterkommt. Erleichtert atme ich auf, da das Starren nun ein Ende hat. "Wie war die Karibik Kreuzfahrt?", möchte meine Mom sofort wissen. "Herrlich", breitet Elenore ihre Arme aus, bevor sie, wie selbstverständlich, in die Küche läuft und meinen Dad und mich im Wohnzimmer zurücklässt.
Kopfschüttelnd grüble ich darüber nach, ob meine Mom wirklich so sehr darauf brennt, stundenlange Geschichten über die Karibik zu hören oder, ob sie einfach nur höflich sein möchte. Seit dem Tod meines Opas, ist meine Oma ständig unterwegs. Sie bereist die Welt, erkundet neue Ecken der Provinz und taucht meiner Meinung nach viel zu oft hier auf, um das kleine Einfamilienhaus zu putzen.
Während sich mein Dad im Sessel niederlässt und die Tageszeitung in die Hand nimmt, höre ich den Nachrichtenton meines Handys. Da ich es in meinem Zimmer liegen lassen habe, durchquere ich den Flur und stoße die Tür, die bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Fotos zuklebt ist, auf.
Als ich mit acht Jahren Viotti bekommen habe, bin ich aus dem Obergeschoss nach unten gezogen und mein Dad hat sein Arbeitszimmer in meinem alten Kinderzimmer wieder aufgebaut, damit der Rüde keine steilen Treppen steigen muss, um zu mir zu gelangen.
"The way you're lighting up the room caught the corner of my eye", leuchtet eine Nachricht auf meinem Bildschirm auf. Verdutzt versuche ich herauszufinden, wem die unbekannte Nummer gehört. Doch mir wird weder ein Profilbild noch ein Status angezeigt. Meine Finger schweben über der Tastatur, während ich überlege, ob ich der Person zurückschreiben soll.
In meinem Kopf formt sich der weitere Liedtext von 'Kid In Love'. Hektisch drehe ich mich zum Fenster, als ich stumm 'we can both sneak out the back door' singe. Plötzlich befürchte ich, dass jemand an der Hintertür steht. Zum Glück ist der Garten leer. Mit leicht zittrigen Händen tippe ich erneut auf die Nummer - in der absurden Hoffnung, dass nun ein Profilbild zu sehen ist.
Darauf achtend weiter ein- und auszuatmen, lege ich mein Handy zurück auf meinen Nachttisch. Ich bin zwar kein Informatikgenie, aber womöglich fange ich mir hinterher noch einen Virus ein, wenn ich dem Unbekannten antworte. Während ich nach meinem Collegeblock und einigen Stiften greife, überlege ich, ob das ganze nur ein schlechter Scherz ist und sich jemand darüber lustig macht, dass ich schon seit Jahren Shawns Musik höre.
"Hat dich Elenore in deinem Zimmer überrascht?", fragt mein Dad, als ich mich auf dem cremefarbenen Sofa niederlasse. "Huh, wieso?", runzle ich verwirrt meine Stirn. "Na, weil du so aussiehst, als wärst du einem Geist begegnet", lacht der breit gebaute Mann über seine eigenen Worte. Normalerweise würde ich ihm sofort ein High Five dafür geben, dass der Witz auf Elenores Kosten geht. Aber durch die Nachricht bin ich dafür gerade nicht in der Stimmung.
Aus der Küche ist die aufgeregte Stimme meiner Oma zu hören. Jedoch ist der Lautstärkepegel recht gering, sodass ich mich auf mein Skript konzentrieren kann. Zurzeit üben wir mit Mister Onyschuk im Theaterkurs für die Oberstufe ein weihnachtliches Theaterstück mit dem Namen 'Blaue Weihnacht' ein und ich darf eine der Hauptrollen spielen.
Dafür muss ich jedoch ein Menge Text lernen. Um weder unseren Lehrer oder die Zuschauer, noch mich selbst zu enttäuschen, möchte ich die Szenen so schnell und so gut, wie möglich, in meinem Kopf verankert haben. Und das funktioniert am besten, wenn ich die Dialoge abschreibe und mir das Stück als einen echten Film ausmale.
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Für oder gegen Oma Elenore? 😂
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Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•
FanfictionFanfiction - Shawn Mendes Adventskalender 2018 Außer Atem lehne ich meine Stirn gegen seine. Es dauert einen Moment, bis ich mich traue, meine Augen zu öffnen. Auf meine Unterlippe beißend blicke ich in Shawns glänzende Augen, die unruhig über mein...