3. Dezember 2018

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[Kapitel 3 # Montag]

Der schmale Flur ist mit hunderten von Schülern, die sich in Eile aneinander vorbeidrücken, gefüllt. Die meisten pressen ihre schweren Bücher an ihre Brust, während sie von dem Strom vorwärts geschoben werden. Darauf bedacht keinem auf die Füße zu treten versuche ich an den Rand zu gelangen, bevor ich an meinem Spind vorbeilaufe.

"Ich mache drei Kreuze, wenn wir uns nächstes Jahr im Sommer nicht mehr mit den ganzen Affen hier herumschlagen müssen", taucht Melissa einige Sekunden später außer Atem neben mir auf. Lachend streiche ich ihre Haare am Hinterkopf glatt. Dadurch, dass sie einen guten Kopf kleiner als ich ist, fängt sie sich im Gedränge ständig einen Schlag von breiten Schultern oder vollgestopften Rucksäcken ein.

"Es ist ein Wunder, dass du bisher noch nicht umgekommen bist", presse ich meine Lippen aufeinander, damit mein Grinsen nicht allzu sehr zu sehen ist. "HA HA", schlägt die Braunhaarige ihre Hand gegen meine Spindtür, als ich meinen Code eingeben will.

Bevor wir uns gegenseitig beleidigen können, werden wir dazu gezwungen, unsere Rücken gegen die Spinde zu pressen. Die gesamte Eishockeymannschaft ist im Anmarsch und die großen Trainingstaschen, in denen die Schoner und Helme verstaut sind, möchte wirklich keiner abbekommen.

Das laute Gelächter der Jungen schallt durch den Gang und lässt jeden, der seinen Spind auf diesem Flur hat, in der Bewegung innehalten. Die Großzahl der Sportler trägt einen weinroten Kapuzenpullover. Die übrigen sind in einem grauen T-Shirt gekleidet. Beide Kleidungsstücke werden von der Aufschrift 'Pine Ridge PUMAs' und dem Kopf eines Pumas geziert.

Eins dieser T-Shirts liegt auch in meinem Spind. Denn zu Beginn des Schuljahrs gab es das zum Jahrbuch gratis dazu. Im Anbetracht der Tatsache, dass uns vorgeschrieben wird, diese Oberteile im Sportunterricht anzuziehen, ist das wirklich großzügig.

"Alles klar, Paige?", winkt mir Corey freundlich zu, während einige andere aus dem Team ähnliche Begrüßungen in meine Richtung murmeln. Leicht lächelnd nicke ich ihm zu. Währenddessen wundere ich mich erneut, wie er es in die Eishockeymannschaft geschafft hat, da er wirklich schmal gebaut ist.

"Und wie geht es dir heute, Melissa?", fragt sich meine Freundin selbst, bevor sie ihre Nasenflügel aufbläst. Kichernd öffne ich meinen Spind, nachdem die Jungen um die nächste Ecke gebogen sind. "Hey Mel, hey Paige", hechtet K. J. eilig an uns beiden vorbei, um zu seinem Team aufzuschließen.

Mit meinen Augenbrauen wackelnd sehe ich die Braunhaarige an. "Er hat dich zuerst gegrüßt", schmunzle ich, während ich meine Bücher in den Spind lege. "Aber es ist K. J.", grummelt Melissa, "das zählt nicht. Schließlich sagt er jedem aus der Abschlussklasse 'Hallo'."

"Na und, er hat deinen Namen trotzdem zuerst genannt", zucke ich mit meinen Schultern, "ich werde auch nur gegrüßt, weil ich mit dem kanadischen Pop Sänger Shawn Mendes befreundet bin." Einen anderen Grund mich zu grüßen haben die meisten Personen auf dieser Schule nicht. Dabei kenne ich nur einen Bruchteil der Schüler, die meinen Namen durch die Gänge rufen.

"Was?", ziehe ich verwirrt ein blaues Papier unter meinem Biologiebuch, das ich soeben in den Spind gelegt habe, hervor. "Paige?", steckt meine Freundin ihren Kopf zwischen meiner Schulter und der Spindtür hindurch, "was ist das?" Eine Vorahnung hegend zucke ich mit meinen Schultern, bevor ich den Zettel auseinander falte.

I get a little bit nervous around you.

"Welcher Creep war an meinem Spind?", rufe ich durch den leeren Gang, nachdem ich meine Spindtür zugeschlagen habe. Ein junges Mädchen, das in die neunte Klasse geht, zuckt bei dem Lärm, den ich verursache, deutlich zusammen und ergreift sofort darauf die Flucht. "Was ist in dich gefahren?", zieht Mel ihre Augenbrauen soweit in die Höhe, dass ihre schwarze Brille von der Nase rutscht. 

"Keine Ahnung", seufze ich, während ich ihr das Papier hinhalte, "seit Samstag bekomme ich diese Nachrichten. Erst per Post, dann über WhatsApp und jetzt liegt eine in meinem Spind." Meinen Mantel zuknöpfend trete ich mit Melissa durch die breite Doppeltür nach draußen. "Und hast du eine Vermutung von wem die stammen?"

"Nicht wirklich", schüttle ich meinen Kopf. "Vielleicht von Shawn?", schlägt meine Freundin vor, "immerhin stammt der Satz aus seinem Lied." Auf meiner Unterlippe kauend sehe ich mich vor dem Schultor nach Aaliyah um. "Wieso sollte er mir seine Liedtexte schicken?", lache ich verwirrt, "außerdem kommt er doch gar nicht an meinen Spind dran."

"Paige, hier", ruft mich Shawns Schwester, bevor sie leicht ihre Hand in die Höhe hebt. "Was hältst du davon, wenn wir ab morgen ein paar Nachforschungen anstellen?", gibt mir Mel den Zettel wieder. "Klingt gut", murmle ich und lasse das blaue Papier in meiner Manteltasche verschwinden.

Nachdem ich mich von meiner Freundin verabschiedet habe, schlendere ich zu Aaliyah hinüber. Keine Sekunde später hält ein schwarzer Jeep vor unserer Nase. "Geh mir nicht auf die Eier!", brüllt Shawn aus seinem hinuntergelassenen Fenster, als ein verbeulter SUV einige Male hupt, weil der Sänger die Ausfahrt blockiert.

Wie selbstverständlich reißt Aaliyah die Beifahrertür auf und klettert auf den Sitz neben Shawn. Sie hat noch nie gefragt, ob ich dort sitzen möchte. Aber wirklich übel nehmen kann ich es ihr nicht. Schließlich ist sie die Schwester von dem Jungen, der uns großzügigerweise immer dann von der Schule abholt, wenn er Zeit hat. Und das bringt automatisch das Privileg auf dem Beifahrersitz sitzen zu dürfen mit sich. 

Während ich auf den mittleren Sitz auf der Rückbank rutsche, gibt Aaliyah ihrem Bruder eine Ghettofaust zur Begrüßung. "Hey", lächle ich den Jungen durch den Rückspiegel an. Seine braunen Augen bohren sich automatisch in meine und es fällt mir schwer, meinen Blick abzuwenden.

Der größte Teil seiner Locken wird von dem Schirm seiner dunkelblauen Cappie verdeckt. Doch die widerspenstigen Strähnen fallen ihm ins Gesicht. Unter seinen Augen bilden sich dunkle Furchen ab. Wahrscheinlich hat er wieder einmal zu lange an einem neuen Lied gearbeitet.

"Hi", räuspert sich Shawn schließlich, nachdem er seine Unterlippe befeuchtet hat. Grinsend sehe ich ihm dabei zu, wie er den Motor startet und dem SUV-Fahrer seinen Mittelfinger entgegenstreckt. Dann gibt er die Ausfahrt frei und fährt in Richtung Hauptstraße.

"Wie war der Unterricht?", startet der Braunhaarige ein Gespräch und lenkt mich somit davon ab, über die Biologieaufgaben, die ich für Aaliyah im Zuge ihrer Nachhilfe vorbereitet habe, nachzudenken. "Ganz gut", antworten das Mädchen auf dem Beifahrersitz und ich gleichzeitig. Dann ist es wieder still und ich genieße den Fahrtwinde, der durch meine Haare streicht.

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Nach drei Monaten Schule muss ich heute wieder anfangen zu arbeiten. Rettet mich bitte jemand?🙊

Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt