15. Dezember 2018

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[Kapitel 15 # Samstag]

"Lass das sein", werfe ich das graue Kissen, das zuvor auf meinem Bauch lag, in Shawns Richtung. Seit einigen Minuten sieht er mich einfach nur an, während er sich ein Lebkuchenherz nach dem anderen in seinen Mund stopft. "Ich mache überhaupt nichts", behauptet der Junge gegenüber von mir lachend.

Nur schwer kann ich mich davon abhalten, erneut ins Schwärmen zu geraten. Ich weiß nicht, wie ich es die letzten fünfzehn Jahre geschafft habe, mit ihm zu reden, ohne dass ich in jede seiner Handlungen etwas hineininterpretiert habe. Seit unserem Kuss ist es plötzlich so unheimlich kompliziert herauszufinden, was ich fühle.

"Natürlich", schüttle ich leicht meinen Kopf, bevor ich meine Füße über die Kante seines Sofas schwinge und auf dem weichen Teppich abstelle. "Ich brauche deine fachmännische Meinung", klatsche ich ein wenig zu laut in die Hände, um ein neues Thema einzuleiten. Schließlich können wir beide nicht den ganzen Nachmittag damit verbringen, uns gegenseitig anzustarren und Weihnachtsgebäck in uns hineinzustopfen.

"Wobei?", richtet sich Shawn interessiert auf, sodass ich meinen Kopf nun wieder in den Nacken legen muss. Dabei war es wirklich angenehm, dass ich die vergangene Stunde auf den Sänger hinabsehen konnte. Mit meinem Zeigefinger bedeute ich ihm, eine Minute abzuwarten. Dann laufe ich eilig in den Flur und hole meinen Rucksack, den ich bei meiner Ankunft dort stehen gelassen habe.

Auf dem Rückweg koste ich die Möglichkeit, auf meinen Socken durch den langen Flur zu rutschen, bis auf den letzten Zentimeter aus. Obwohl ich zur Mitte jeden Monats in Shawns Eigentumswohnung zu Besuch bin, ist es jedes einzelne Mal ein ganz neues Erlebnis. Beim ersten Mal habe ich beispielsweise Bekanntschaft mit der weiß gestrichenen Wand zu meiner rechten Seite gemacht und heute übersehe ich die Leiste am Endes des Flurs und stolpere wie ein Walross zurück ins Wohnzimmer.

"Du wirst es nie lernen", nimmt mich der Braunhaarige lachend in Empfang, als ich mich wieder auf seinem Sofa niederlasse. "Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen", gebe ich die Weisheit meiner Mom an Shawn weiter, während ich eine Vielzahl an bedruckten Blättern aus meinem Rucksack hole und auf dem hölzernen Tisch ausbreite.

"Also", beginne ich euphorisch, "in Anbetracht der Tatsache, dass ich in der Abschlussklasse bin und das Jahr schon wieder beinahe um ist, habe ich mir ein paar Gedanken zu meiner Zukunft gemacht." Einen Moment halte ich inne und beobachte den Jungen neben mir dabei, wie er vorsichtig durch die Unterlagen blättert. "Du hast dir Gedanken über mögliche Universitäten gemacht", stellt Shawn trocken fest.

"Richtig", versuche ich mich von dem plötzlichen Stimmungsabfall nicht irritieren zu lassen. "Es ist unglaublich, an wie vielen Universitäten Theaterwissenschaft angeboten wird", berichte ich von der großen Auswahl, "nachdem ich Tage am Computer verbracht habe, konnte ich mich mittlerweile auf vier Universitäten, die mich am meisten ansprechen, beschränken. Aber ich dachte, dass ich auch deine Meinung dazu hören möchte."

"Du möchtest meine Meinung zum Studieren hören, obwohl ich bis heute noch keinen einzigen Campus betreten habe?", zieht der Sänger eine Augenbraue in die Höhe. "Naja", denke ich über eine passende Antwort nach. Plötzlich verspüre ich den Drang, zu verschweigen, dass mir seine Ansichten ziemlich wichtig sind - egal, ob er Ahnung von dem Thema hat oder nicht.

"Na, zeig her", seufzt Shawn schließlich, während er seine große Hand in meine Richtung streckt. "Okay", räuspere ich mich schnell, bevor ich nach einigen Blättern greife. "Die erste ist die University of Toronto im Stadtteil Scarborough. Sie bietet nicht nur Theaterwissenschaft an, sondern auch szenische Künste in Theorie und Praxis. Das wäre ein grandioses Sprungbrett in die Welt des eigentlichen Schauspiels."

Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt