[Kapitel 20 # Donnerstag]
Alle Augen sind auf mich gerichtet, als ich mein kariertes Blatt im Schneckentempo auseinanderfalte. Schluckend lese ich im Stillen die vier Worte, die ich vor einiger Zeit dort drauf geschrieben habe. 'Genoveva Price ist nett.' Damit würde ich nicht nur ihr nicht gerecht werden, sondern mich selbst bloßstellen.
Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Hätte Miss Biffin nicht darauf bestanden, dass wir einen Stuhlkreis bilden, könnte ich mich jetzt wenigstens zum Teil hinter meinem Tisch verschanzen. Aber nun ist mein ganzer Körper eine Zielscheibe für abwartende, kritische oder höhnische Blicke.
"Nun ja, bis gestern habe ich mir die Frage gestellt: 'Was soll ich auf dieses Blatt schreiben?'", starte ich langsam, um mehr Zeit zu gewinnen. "Ich habe es nie für notwendig erachtet, dich genauer zu betrachten oder mit dir in ein Gespräch zu kommen", sehe ich Genoveva direkt an, "aber dank dieser großartigen Wichtelaktion habe ich dich von einer anderen Seite kennengelernt."
Vereinzelt lachen meine Mitschüler über mein leicht sarkastisch angehauchtes Lob über Miss Biffins Projekt. Währenddessen zieht Eva ihre Augenbraue immer weiter in die Höhe. "Naja, was bedeutet, eine andere Seite", lasse ich mir meine Ausdrucksweise noch einmal durch den Kopf gehen, "wahrscheinlich eher 'überhaupt eine Seite'."
"Ich verrenne mich", gebe ich eilig zu, als sich Genoveva in ihrem Stuhl aufrichtet. "Du bist die Beste hier im Mathekurs und wahrscheinlich sind die restlichen Noten auf deinem Zeugnis auch nicht gerade schlecht", falte ich mein Blatt aus Nervosität wieder zusammen, "du hast mir letzte Woche ein Kompliment gemacht. Wahrscheinlich klingt das ein wenig belanglos. Aber es hat mich überrascht und mir klargemacht, dass man Menschen nicht in Schubladen stecken sollte."
"Es tut mir leid, dass ich mich nicht bemüht habe, mehr auf diesen Zettel niederzuschreiben. Doch lass mich dir sagen, dass ich dich gestern in der Mall gesehen habe und beeindruckt war. Ich meine, ich war wirklich richtig beeindruckt. Von deinem Können und deiner Persönlichkeit", beende ich schließlich meine kleine Rede, die mir im Nachhinein hoffentlich keine Probleme bereiten wird.
Da ich keine Anstalten mache, meinen Mund noch einmal zu öffnen, ergreift unsere Lehrerin das Wort. "Danke", lächelt sie kurz in meine Richtung, "dann kommen wir jetzt zum letzten Wichtel. Wer hat Paige gezogen?" Meine Wangen aufblasend lasse ich meinen Blick zu Carter, der einige Stühle weiter rechts sitzt, wandern.
"Das war ich", streift sich der Blondhaarige die Kapuze seines Pullovers von seinem Kopf. "Gut", nickt Miss Biffin, "dann darfst du jetzt starten." Während Carter WhatsApp öffnet und durch einen Chat scrollt, klopft mein Herz immer schneller. Ich bin gespannt, was Shawn ihm alles erzählt hat und, ob man gleich eine gewisse Wertung heraushören kann.
"Okay, vorab will ich euch sagen: Ihr könnt euch eure dummen Blicke sparen und auf jegliche Kommentare kann ich auch verzichten", sieht der Sportler vor allem die Mädchen an, die immer für den Klatsch und Tratsch in unserer Stufe verantwortlich sind, "und Ihnen, Miss Biffin, würde ich gerne den Rat mit auf den Weg geben, das Wichteln nächstes Jahr lieber klassisch zu halten und dafür zu sorgen, dass sich die Schüler schöne neue Socken oder Mützen schenken."
Die Lacher zeigen erneut, dass niemand wirklich etwas von der ganzen Aktion hier hält. "Über Paige gibt es eine Menge zu sagen. Aber ich beschränke mich auf die Dinge, die im Augenblick eine Rolle spielen", beginnt Carter vorzulesen, "sie wusste schon früh, dass sie später einmal eine richtige Schauspielerin werden möchte. Und wie bei allen anderen Sachen, die sie tut, ist sie darin wirklich großartig. Sie hat eine genaue Vorstellung von ihrer Zukunft und ich rechne es ihr hoch an, wie viel sie dafür auf sich nimmt."
"Sie bringt mich zum Lachen. Sie treibt mich in den Wahnsinn. Sie gibt mir das Gefühl von Heimat. Paige hat unglaublich viel Energie und schafft es jedes Mal aufs Neue mir den Kopf gerade zu rücken. Sie hat jederzeit ein offenes Ohr, zeigt Verständnis und ist meistens zu hundert Prozent ehrlich zu anderen und zu sich selbst", liest Carter den letzten Absatz von seinem Handybildschirm ab.
Shawn wusste ganz genau, dass Carter diesen Text eins zu eins übernehmen wird. Und obwohl er nicht anwesend ist, kann er mir mit dem letzten Teil einen leichten Seitenhieb verpassen. Dennoch überwiegen die positiven Worte und sorgen dafür, dass sich meine Wangen langsam erhitzen.
"Das war alles", verstaut der Blondhaarige sein Handy in seiner Hosentasche, "solltet ihr Anregungen für eine bessere Formulierung haben, wendet ihr euch bitte an meinen Sekretär, der mir beim Verfassen dieser Niederschrift tatkräftig zur Seite gestanden hat." Ein Lachen, das eher wie ein Grunzen klingt, entweicht meiner Kehle. Denn ich nehme an, dass kaum einer in diesem Raum die Anspielung verstanden hat.
"Ich wusste gar nicht, dass ihr euch so nahesteht", gibt Miss Biffin überrascht von sich. "Im steigendem Alter lernt man halt immer noch etwas dazu", lächelt der Hockeyspieler unsere Lehrerin scheinheilig an. Daraufhin bricht der Mathekurs in leises Gelächter aus. Bevor uns die junge Frau zurechtweisen kann, klingelt die Schulglocke.
"Damit wäre meine Aufgabe nun auch erledigt", tritt Carter auf mich zu, als die meisten Schüler den Klassenraum bereits verlassen haben. Mit einer gelangweilten Miene streckt er mir seine Hand entgegen. Energisch ziehe ich den Zettel zwischen seinen Fingern hervor, während ich meine Augen verdrehe.
"Ich weiß echt nicht, was Shawn an dir findet", grummle ich in seine Richtung. "Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit", ruft er über seine Schulter hinweg, da er schon auf die Tür zusteuert. Kopfschüttelnd senke ich meinen Blick auf das Stück Papier. Scheinbar ist es das letzte, das ich von Carter überliefert bekomme.
The thought of us forever is one that won't ever go away.
Für immer und niemals. Zwei Aussagen, die sich eigentlich widersprechen. Aber dennoch zwei Aussagen, die zusammen gar nicht so schlecht aussehen.
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Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•
FanfictionFanfiction - Shawn Mendes Adventskalender 2018 Außer Atem lehne ich meine Stirn gegen seine. Es dauert einen Moment, bis ich mich traue, meine Augen zu öffnen. Auf meine Unterlippe beißend blicke ich in Shawns glänzende Augen, die unruhig über mein...