[Kapitel 4 # Dienstag]
Meinen Rücken durchgestreckt und meine Beine in etwa schulterbreit positioniert stehe ich auf der weitläufigen Bühne des schuleigenen Theaters. Obwohl ich nun schon das vierte Jahr in Folge den Theaterkurs belege, fasziniert mich die Atmosphäre im ersten Stockwerk jedes Mal aufs Neue.
Die hölzerne Bühne gibt ein leises Knarzen von sich, wenn man seine Füße bewegt. Der rote Vorhang lässt sich mithilfe einer Fernsteuerung in zwei Etappen auseinanderfahren und gibt somit den Blick auf den Zuschauerraum frei. Die Sitze sind wie in einem öffentlichen Theater mit einem roten Stoff überzogen und am Boden festgeschraubt.
Eine innere Unruhe veranlasst mich dazu, einen neuen Zettel aus meiner hinteren Hosentasche zu ziehen. Diesmal ist er hellgrün und die obere Kante hat einige Risse. So, als wäre er unsauber von einem Block abgetrennt worden. Da ich das Papier schon den ganzen Schultag über in meinen Fingern umherdrehe, sind die Ränder ziemlich abgenutzt.
You got me acting like I've never done this before.
Ich habe es nie über mein Herz gebracht Shawn zu sagen, dass er meiner Meinung nach die Nutzung des Falsetts in seinem dritten Album ein wenig überstrapaziert hat. Doch Melissa und seine zahlreichen anderen Fans sehen das wiederum ganz anders.
Bevor ich erneut darüber nachgrübeln kann, wer mir den Zettel in den Spind gelegt hat, erinnert mich das vierte Wort der Liedzeile daran, weshalb ich eigentlich auf der Bühne stehe. Ich bin hier, um zu schauspielern. Und dafür benötige ich einen klaren Kopf. Also lasse ich die Nachricht wieder in meiner Tasche verschwinden und konzentriere mich auf meine gleichmäßige Atmung.
"Entschuldigt die Verspätung", rauscht Mister Onyschuk in den Saal, verliert unterwegs einige Blätter und hechtet schließlich die kleine Treppe am Rand der Bühne hinauf. "Misses Cruess hatte ständig ihren Adlerblick auf mich gerichtet. Daher konnte ich erst jetzt der Lehrerkonferenz entfliehen", stellt sich unser Theaterlehrer neben uns.
"Weshalb soll ich denn eine Stunde lang darüber diskutieren, ob euer Abschlussball ein Thema haben soll oder nicht? Ich habe andere Verpflichtungen wahrzunehmen. Wir müssen schließlich ein Theaterstück einüben, richtig?", blickt er sich zwischen den Kursteilnehmern um.
Klatschend pflichten wir seiner kleinen Rede bei, während ich den quirligen Japaner, der aus einer amerikanischen Comedyshow entsprungen sein könnte, betrachte. Er war durch seine lockere Art schon immer mein Lieblingslehrer gewesen.
"Ich hoffe, ihr saßt am Wochenende nicht nur faul herum, sondern habt euren Text gelernt", blättert der Mann in seinem Skript, das bereits zahlreiche Markierungen hat, solange herum, bis er die richtige Stelle gefunden hat, "wir beginnen mit Szene drei."
"Und Gnade euch Gott, wenn ihr nur einen Fehler macht", erhebt Mister Onyschuk warnend seinen Finger. "Nein", schüttelt er sofort darauf den Kopf, "die autoritäre Rolle steht mir nicht. Das ist eher etwas für Misses Cruess." Leichtes Gelächter erfüllt den Raum, während wir unsere Positionen einnehmen.
"Paige, stell dir vor hier stände ein Brunnen", fuchtelt der Japaner wild mit seinen Händen umher, "du stellst dich mit dem Rücken zu ihm hin und blickst in die Zuschauerreihen." Nickend folge ich seinen Anweisungen und fische eine Münze aus meiner Hosentasche. "Los geht's", klatscht Mister Onyschuk in die Hände, bevor er sich von mir entfernt.
"Wahrscheinlich ist es zu viel verlangt", blicke ich auf die Münze hinab, "aber ich wünsche mir nichts sehnlicher, als Weihnachten nicht alleine verbringen zu müssen." Wie es im Skript vorgegeben ist, schließe ich für einen Moment meine Augen. Dann werfe ich das Geldstück hinter mich.
"Autsch", ertönt sofort darauf eine weibliche Stimme. Als ich mich umdrehe, reibt sich Mary lachend ihre Stirn. "Oh scheiße, tut mir leid", halte ich meine Hand vor meinen Mund. "Alles gut", winkt sie ab, bevor sich die Schwarzhaarige hinter Ben in Sicherheit bringt. "Beim nächsten Mal solltest du die Münze lieber nicht so hoch werfen", legt unser Lehrer seinen Kopf schief.
"William, dein Einsatz", winkt er einen blonden Lockenkopf zu mir heran, "wir tun einfach so, als hätte Paige den Brunnen getroffen." Ich will ihm widersprechen, dass ich den Brunnen überhaupt nicht treffen kann, wenn keiner auf der Bühne steht, lasse es jedoch bleiben.
Meine Nase kräuselnd warte ich darauf, dass sich William neben mich stellt. Wir haben schon oft zusammen gespielt. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf dem Schulhof der Elementary School. Wir sind praktisch gemeinsam in das Geschehen des vielseitigen Schauspiels hineingewachsen.
"Was macht ein so hübsches Fräulein wie Sie ganz alleine in der Dunkelheit?", fragt mich der Blondhaarige vollkommen ernst, während er mir so nah kommt, dass seine Brust meine Schulter berührt. Einen Augenblick schauen wir uns in die Augen, bevor wir laut loslachen.
"Ich bin wirklich offen für jegliche Interpretationsvorschläge. Aber das, William, wird auf keinen Fall in die Änderungen mit aufgenommen", reißt Mister Onyschuk das Skript in die Höhe. Mit aufgeblasenen Wangen nickt mein Schauspielpartner. "Also, noch einmal von vorne. Und dieses Mal in korrekter Form!"
***
Ein wenig abrupt bremst der Busfahrer an der Haltestelle und öffnet die Türen. Als ich auf den Bürgersteig trete, realisiere ich, dass es bereits dämmert. Mister Onyschuk hat die Angewohnheit, nie pünktlich Schluss zu machen. Deshalb kann man seinen Dienstagabend auch nicht wirklich im Vorab planen.
"Die Handlung muss sitzen und die Wörter müssen in euren Gehirnen eingebrannt sein", pflegt er am Ende jeder Probe zu sagen. Mein Kopf pocht immer noch und ich versuche die Gedanken an den richtigen Ort zu schieben. Doch im Großen und Ganzen habe ich die zwei Szenen, die wir heute eingeübt haben, gut verinnerlicht.
Das Vibrieren meines Handys lässt mich auf den Bildschirm hinabsehen. "Carter schmeißt am Freitag eine Party", erhalte ich eine Nachricht von Shawn. Da mir angezeigt wird, dass er noch etwas schreibt, warte ich noch einen Augenblick. "Willst du mit mir dahin gehen?", fragt er schließlich, nachdem er einige Minuten verstreichen lassen hat.
"Klar", antworte ich knapp, bevor ich den Haustürschlüssel in meiner Tasche suche. Ein weiterer Grund, weshalb ich in der Schule von so vielen gegrüßt werde und vor allem von der Eishockeymannschaft, ist der, dass Shawn früher ebenfalls im Team war. Er war nicht der Beste. Aber er war gut - überdurchschnittlich gut.
Viel zu oft hat er unsere Verabredungen sausen lassen, um mit Carter Morris nach dem Ende des offiziellen Trainings noch weiter zu trainieren. Shawn war sein Mentor und sein Ersatzbruder, wie er einmal behauptet hat.
Ich habe noch nie wirklich verstanden, weshalb sich Jungen untereinander Brüder nennen. Denn ich bezweifle, dass eine Freundschaft so stark sein kann, dass sie der Bindung zwei echter Brüder gleicht. Aber Carter und Shawn pflegen weiterhin diesen Ausdruck zu benutzen.
"Ich bin zuhause", rufe ich durch das kleine Haus, nachdem ich meinen Mantel ausgezogen habe. "Wir sind im Wohnzimmer. Dein Essen steht in der Mikrowelle", ertönt die sanfte Stimme meiner Mom sofort darauf. Lächelnd mache ich mich auf den Weg in die Küche, als ich eine neue Nachricht von Shawn erhalte. Diesmal hat er sich genauso kurz wie ich gehalten. Denn nur ein Wort leuchtet auf dem Bildschirm auf. "Cool."
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Ich. Bin. Tot. Und wie geht es euch so am 4. Dezember?😎
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Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•
FanfictionFanfiction - Shawn Mendes Adventskalender 2018 Außer Atem lehne ich meine Stirn gegen seine. Es dauert einen Moment, bis ich mich traue, meine Augen zu öffnen. Auf meine Unterlippe beißend blicke ich in Shawns glänzende Augen, die unruhig über mein...