13. Dezember 2018

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[Kapitel 13 # Donnerstag]

Verwirrt sehe ich Aaliyah dabei zu, wie sie die hintere Tür des Jeeps öffnet. "Was machst du da?" Als wäre ich festgefroren, bleibe ich auf dem Bürgersteig stehen. "Na, wonach sieht es denn aus?", lacht die Braunhaarige, während sie in das Auto steigt.

"Du sitzt heute vorne", dringt ihre Stimme gedämpft durch das geschlossene Fenster, da sie die Tür bereits hinter sich zugezogen hat. Meine Augenbrauen hochziehend überlege ich einen Moment, ob ich im falschen Film bin.

Die Tatsache, dass uns Shawn an einem Donnerstag abholt ist bereits ungewöhnlich. Dass mich Aaliyah vorne sitzen lässt, ist noch ungewöhnlicher. Um aus meiner Starre zu erwachen, kneife ich mir kurz in mein Bein. Allerdings spüre ich so gut wie nichts, da die kalte Luft meine Haut langsam taub werden lässt.

"Jetzt komm schon", fordert mich Shawn auf, nachdem er auf umständliche Weise von innen die Beifahrertür geöffnet hat. "Weshalb holst du uns ab?", erkundige ich mich sofort, als ich auf den mit Leder überzogenen Sitz klettere. "Von mir auch ein herzliches 'Hallo'", lacht der Junge neben mir ausgelassen.

Meine Augen verdrehend schnalle ich mich an. Dabei kann ich mir ein Schmunzeln jedoch nicht verkneifen. "Ich habe heute einen freien Tag", erklärt er schließlich, während er das Gaspedal durchdrückt, "außerdem ist es arschkalt. Und ich kann meine Lieblingsmenschen doch nicht erfrieren lassen."

"Das ist süß von dir", grinse ich breit. Als mir bewusst wird, was ich aus Versehen von mir gegeben habe, erstarrt mein Lächeln. "Das...", schlucke ich schwer, rede allerdings nicht weiter. Von der Rückbank ist ein leises Kichern zu hören und Shawns Blick bohrt sich für einen Moment in meine Seite.

"Was hörst du?", versuche ich so beiläufig, wie möglich, das Thema zu wechseln, indem ich das Radio etwas lauter drehe. "Hunter Hayes, würde ich sagen", beißt sich Shawn auf seine Unterlippe, als die ersten Klänge von 'I Want Crazy' ertönen. Einige Sekunden verfange ich mich in seinem Anblick.

Seine Mundwinkel sind nach oben gezogen, seine Wangen gerötet und seine Locken bewegen sich zum Takt. Es ist erstaunlich, dass er dieses Lied durchweg als seinen Favoriten bezeichnet. Nachdem Shawn an einer roten Ampel angehalten hat, dreht er ein zusätzliches Mal am Lautstärkeregler.

Knisternd wird der Refrain eingeleitet. Das Mixtape, von dem das Lied abgespielt wird, habe ich ihm zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Obwohl er ohne den technischen Fortschritt überhaupt nicht berühmt wäre, hält er an diesem alten Ding fest.

"I know it's crazy but I don't want 'good' and I don't want 'good enough'", singt Shawn, während er sich zu mir hinüberlehnt. Sein Grinsen ist so breit, dass jeder einzelne seiner weißen Zähne zu sehen ist. Meine Hand vor meinen Mund haltend fange ich leise an zu lachen. Ich liebe es, wenn er so agiert, als könnte ihm nichts und niemand die Laune verderben.

"I want 'can't sleep, can't breath", legt der Junge seine große Hand auf meine Schulter und schubst mich leicht in Richtung Fenster. "Without your love'", lache ich mehr, als dass ich singe. Auch ohne Worte, habe ich seine Aufforderung verstanden. Vor seiner Festival Tour war es beinahe alltäglich, dass wir wie zwei Verrückte die Texte zu den Liedern, die im Radio liefen, durch sein Auto gerufen haben.

"Front porch and one more kiss, it doesn't make sense to anybody else", singen wir nun zusammen. Seine Stimme ist natürlich um Längen besser. Keiner könnte ihn jemals übertreffen. Jedoch finde ich meine Stimme nicht allzu schlecht und sie würde mir später von Vorteil sein, wenn ich den Plan einer Schauspielkarriere weiter verfolge.

Meine Füße bewegen sich automatisch im Takt der Musik, während ich Shawn ganz genau beobachte. Wie ein kleiner Junge lässt er seinen Kopf in alle Richtungen wippen. Kurz befürchte ich, dass er nun die Straße nicht mehr richtig im Blick hat. Doch er war eigentlich schon immer ein sicherer Fahrer.

"I don't want easy, I want crazy", rufen wir erneut zusammen, nachdem Hunter Hayes einige Zeile alleine gesungen hat. Lachend werfe ich meinen Kopf in den Nacken. Die Strähnen, die mir in mein Gesicht gefallen sind, puste ich viel zu übertrieben in die Luft. Daraufhin ist Shawn derjenige, der laut lacht.

In diesem Moment fühle ich mich so unheimlich befreit. Das Unbehagen, das seit ein paar Tagen an mir heftet, ist verschwunden. Die Unstimmigkeiten zwischen Shawn und mir scheinen mit jeder weiteren Liedzeile zu verblassen. Die Fröhlichkeit, die er ausstrahlt, überträgt sich auf mich. Ich bin glücklich.

"I know that we're crazy, so let's be crazy", beenden wir das Lied schließlich gemeinsam. Angestrengt schnappe ich nach Luft, da ich das 'y' ein wenig zu lange ausklingen lassen habe. "Keine Frage, ihr zwei seid sowas von verrückt", meldet sich plötzlich Aaliyah zu Wort, während sie beginnt, langsam zu applaudieren.

Erschrocken drehe ich mich zu ihr um. "Ihr habt mich vergessen", legt die Braunhaarige ihren Kopf schief, noch bevor ich mir die richtigen Worte zurechtlegen kann. "Das ist schon okay", zuckt sie lachend mit ihren Schultern. Das freche Zwinkern ihrerseits versuche ich weitestgehend zu ignorieren. Die Hitze steigt dennoch in meine Wangen.

"Du musst mit einsteigen", fordere ich das Mädchen auf der Rückbank auf, als das nächste Lied erklingt. Meine Augen schließend lehne ich meinen Kopf gegen die kühle Fensterscheibe, während ich den Klängen von 'The A Team' lausche. Eines Tages würde ich Ed Sheeran persönlich dafür danken, dass er mehr oder weniger für Shawns Karriere verantwortlich ist.

Nachdem wir noch zu einigen anderen Liedern mitgesungen haben, hält der Junge vor meinem Zuhause. "Bis morgen", verabschiede ich mich voller Euphorie, da ich es plötzlich nicht mehr abwarten kann, Shawn wiederzusehen. Dann springe ich aus seinem Auto und laufe beinahe Viotti über den Haufen.

"Tut mir leid, alter Mann", knie ich mich lächelnd in den weißen Schnee, der seit heute Morgen vom Himmel fällt. Während ich durch sein rötliches Fell, in dem sich einige Eiskristalle verfangen habe, streiche, entfernt sich der schwarze Jeep immer weiter von uns.

"Das trifft sich gut", meldet sich mein Dad, der Viotti an der Leine hält, zu Wort. Als ich sein amüsiertes Grinsen sehe, weiß ich sofort, dass ich nun mit dem Retriever spazieren gehen darf. Doch ich möchte mich darüber überhaupt nicht wirklich beschweren.

"Du hast übrigens etwas verloren", hebt mein Dad ein buntes Stück Papier vom Boden auf, nachdem er mir die Leine überreicht hat. Natürlich handelt es sich dabei um den neusten Zettel von Shawn. Schnell nehme ich ihn entgegen, bevor mein Dad auf die Idee kommt, ihn auseinanderzufalten. Und wie so oft, gerate ich über die Liedzeile ins Grübeln.

I need to know if this is mutual.

Nur ein Stück Papier •Shawn Mendes•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt