Kapitel 1

11.5K 327 43
                                    




Rush

Das war es jetzt! Ich will nicht mehr. Nicht die kreischenden Weiber, nicht die Sauferei, das Touren, den Stress. Ich lasse mich auf das schwarze Ledersofa im Tourbus fallen und verziehe das Gesicht, als John und Tristan drei Groupies in den Bus schieben. Die drei sind ja noch nicht mal hübsch, und wie sie kichern und sich an den Jungs reiben. Ich verdrehe genervt die Augen, als eins der Chicks sich nach mir umsieht und mit ihren Wimpern klimpert. Reicht ihr John nicht? Ich fahre mir durch die nach dem Konzert verschwitzten Haare und wende den Blick ab. Vor ein paar Monaten hätte ich noch mitgefeiert, aber ich habe es satt. Ich bin müde, völlig erledigt und ich weiß schon lange nicht mehr, warum ich das hier noch mache.

Ich stehe auf, schnappe mir die halbleere Flasche Bourbon von einem der Tische und halte auf die Schlafkabine im hinteren Bereich des Busses zu, den wir als Schnäppchen einer alternden Band abgekauft haben, die das Touren genauso satt hatte wie ich jetzt.

»Mir gefallen deine Tattoos«, säuselt jemand hinter mir und umschließt mein Handgelenk. Ich starre auf die Finger, die mich berühren, und dann auf die bunte Haut meines Unterarms.

»Sag John, er soll dir die Visitenkarte von Mark geben, wenn er mit dir fertig ist.« Ich reiße meinen Arm los und öffne die Tür zur Kabine.

»Wer ist Mark?«

Ich sehe über die Schulter zurück in das zugekleisterte Gesicht einer Blondine. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Weiber alle gleich aussehen in letzter Zeit. Eine wie die andere. Am Anfang hatte ich noch meinen Spaß mit all den Mädchen, die uns so begegnen und die alles für uns tun würden. Aber in den letzten Monaten ... Ich weiß, ich sehne mich nach etwas, aber ich habe keine Ahnung, was das ist. Vielleicht brauche ich einen Tapetenwechsel. Der Gedanke kommt mir immer öfters.

»Mark ist der Mann, der die Tattoos gemacht hat, die du so toll findest.« Ich lasse das Mädchen stehen und verschwinde in die Kabine. Ich schließe von innen ab, sollen John und Tristan doch mit ihren Weibern vorn auf den Sofas schlafen. Ich will heute Nacht nicht an die Decke starren, während die beiden es direkt neben mir mit ihren Chicks treiben.

Wütend werfe ich die Flasche nach oben auf mein Bett, schlage mit der Faust einmal gegen die Bettumrandung und fluche laut. Ich kann nicht mehr. Besonders, weil das alles hier auch kein Ende hat. Wir fahren seit vier Jahren von Stadt zu Stadt und treten auf, wo man uns lässt. Das ist unser Leben. Zu mehr haben wir es nicht gebracht. Was ist mit den Träumen von einem Plattenvertrag, dem Rampenlicht? Stattdessen leben wir von einem Auftritt zum nächsten und stecken fest. Ich habe seit Monaten keinen einzigen Song mehr aufs Papier gebracht. Die Musik fühlt sich für mich nicht mehr so an wie früher. Ich spüre sie nicht mehr.

Kein Ende. Vielleicht sollte ich es beenden? Ich ziehe mich hoch in mein Bett und lege mich auf den Rücken, drehe die Flasche auf und nehme einen kräftigen Schluck. Der Bourbon läuft mir aus den Mundwinkeln und dann die Wangen und den Hals runter. Was soll's? Ich boxe mit der Faust gegen die Decke über mir.

»Was soll alles? Die Musik? Die kleinen Pubs und Bars?«

Vielleicht wird es Zeit, mal wieder nach Hause zu fahren, überlege ich, als ich an meine Mutter denken muss, die mich ständig fragt, wann ich mal vorbeischaue. Seit wir vor vier Jahren Riverside verlassen haben, war ich nie wieder dort. So sehr, wie es mich damals aus dieser Kleinstadt fortgetrieben hat, so sehr möchte ich im Augenblick wieder zurück. Aber was ist mit ihr? Was, wenn auch sie wieder zurück ist?

Wenn ich an Riverside denke, dann muss ich auch an Mila denken. Obwohl ich das nicht will. Manchmal fühlt es sich an, als wäre ich damals nach unserem Abschluss nur wegen ihr aus Riverside geflohen und nicht wegen unserer Träume von der großen Musikkarriere. Vielleicht bin ich das auch. Vielleicht ist geflohen das falsche Wort.

Ein Rockstar zum VerliebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt