Kapitel 26

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Mila

»Bist du fertig?«

Ich erstarre als ich Julians Stimme hinter mir höre, während ich gerade das Wohnzimmer nach dem Schlüssel für Joshs Auto durchsuche. »Fertig für was?«, frage ich ihn und taste jede Ritze des Sofas ab, ohne Julian auch nur für eine Sekunde anzusehen, denn ihn anzusehen, lässt meinen Magen flattern und das will ich im Moment nicht. Ich will, dass gar nichts flattert, wenn er in meiner Nähe ist, weder mein Magen, noch mein Herz, noch meine Nerven. Ich will einfach absolut gar nichts fühlen, damit ich die Zeit irgendwie überstehen kann, bis er endlich wieder auf Tour geht.

»Für deinen Termin beim Gynäkologen.«

Jetzt sehe ich ihn doch an und ich weiß, es war ein Fehler, als ich ihn im Eingang zum Wohnzimmer lehnen sehe in seinem schwarzen Shirt und den zerrissenen Jeans und dem hinterlistigen Lächeln, das zwischen meinen Schenkeln ein Vibrieren auslöst, das vollkommen unerwünscht ist.

»Was hast du mit meinem Termin zu tun?« Ich löse mich von seinem Anblick und öffne jedes Fach der alten Kommode an der Wand. »Josh, ich finde deinen Schlüssel nicht. Bist du sicher, dass du ihn im Wohnzimmer gelassen hast?« Josh und seine Ordnung, ich stoße frustriert die Luft aus.

»Du brauchst den Schlüssel nicht, ich fahre dich.«

Ich reiße die Augen auf. »Wie kommst du darauf, dass du mich zum Frauenarzt fahren darfst«, keife ich Julian an.

Er nähert sich zwei Schritte, wackelt mit einem Schlüssel vor meiner Nase und grinst. »Weil, meine Liebe, Dana gestern vor ihrer Abreise gesagt hat, ich soll ein Auge darauf haben, dass es dir gut geht.«

»Mir geht es nicht gut, wenn mein Ex mit mir zum Frauenarzt geht.« Ich wische nervös meine verschwitzten Hände an meinen Hosen ab.

Er folgt meiner Bewegung mit den Augen. »Schwarze Stoffhosen, weiße Bluse und sogar ein Halstuch. Wir werden definitiv das heißeste Paar im Wartezimmer sein. Du kannst aufhören zu suchen, Josh hat den Schlüssel mir gegeben. Nun mach schon, beweg deinen Hintern zur Tür raus, ich fahre dich.«

»Du bist ein Arsch«, schimpfe ich und stürme wütend aus dem Haus.

»Wie passt diese Ausdrucksweise zu deinem Aufzug heute? So was erwarte ich von Mila mit den fantastisch kurzen Jeans, aber nicht von Seattle im Sekretärinnenlook.«

Ich reiße die Beifahrertür von Joshs Dodge Challenger auf und steige ein. »Du kannst mich mal.«

Er steigt in das Auto, startet den Motor und sieht mich zufrieden grinsend an. »Keine Sorge, ich warte im Auto, du wirst mich gar nicht bemerken, aber meiner Mom wirst du alles erzählen müssen, denn sie will es wissen. Sie mag dich.«

Ich kneife die Lippen zusammen und wende das Gesicht ab, damit Julian nicht sehen kann, dass ich mich schlecht fühle wegen Josie. Sie bleibt in den letzten Tagen immer öfter zu Hause und in der Bar muss ich immer öfter ihre kleinen Schwächeanfälle und die Aussetzer ihrer linken Hand vertuschen, damit niemand etwas bemerkt. Dass es ihr merklich immer schlechter geht, belastet mich. Nicht nur, weil sie meine Freundin ist, sondern auch, weil sie mich zwingt, so etwas Wichtiges vor Julian zu verbergen. Aber ich habe kein Recht, sie deswegen zu verurteilen, denn auch ich habe noch immer ein Geheimnis vor ihm.

Vor der kleinen Klinik schlüpfe ich schnell aus dem Auto und sehe mich nicht mehr nach Julian um. An der Anmeldung muss ich eine Menge Papierkram ausfüllen, den ersten Tag meiner letzten Regel, Kinderkrankheiten, Impfungen, sonstige Erkrankungen ... Viele dieser Fragen kann ich nur mit Hilfe meiner Mutter beantworten, was mich unter Druck setzt, denn nachdem ich ihr vor ein paar Tagen während eines Telefongesprächs von meiner Schwangerschaft erzählt habe, hat sie mir unmissverständlich klargemacht, dass ich meine Ehe wieder hinbekommen soll, ein uneheliches Kind wäre eine »weitreichende Katastrophe für unsere ohnehin schon angeschlagene Familienehre«.

Meine Ehe hinbekommen. Ich weiß nicht, wie das klappen soll? Er ruft mich ständig an und will, dass ich zurückkomme, aber ich bin mir einfach nicht sicher. Wir wissen einfach beide nicht, wie es weitergehen soll, weil jeder von uns einen Teil des Herzens des Anderen nicht loslassen kann, immerhin haben wir ein paar Jahre unseres Lebens miteinander geteilt. Und ja, er fehlt mir.

»Soll ich dir dabei helfen?«

Ich sehe von meinem Fragebogen auf und seufze. »Wolltest du nicht im Auto warten?«

»Wollte ich, aber dann ist mir langweilig geworden, ich war auf der Suche nach einem Kaffeeautomaten und habe stattdessen dich gefunden.« Er setzt sich neben mich und wirft einen neugierigen Blick auf meine Antworten. »Du hattest also nie diese hässlichen Hautausschläge? Keine Windpocken, Masern, Röteln?«

»Nein, ich bin geimpft, gegen das meiste zumindest. Und das geht dich eigentlich nichts an.«

Er grinst. »Ich hab das gefunden.« Er reicht mir ein Probepäckchen mit Schwangerschaftsvitaminen und ein Heft dazu. »In dem Heft steht, Folsäure ist gut für das Baby, also ist es auch gut für dich.«

Ich sehe ihn verwirrt an. »Wann hattest du denn Zeit, das Heft zu lesen?«

»Als ich da drüben stand und dich dabei beobachtet habe, wie du mit deiner Mutter telefoniert hast. Sie sollte dir wohl dabei helfen, all die Fragen zu beantworten.« Er nimmt mir den Fragebogen aus der Hand. »Sieht so aus, als wäre ein Baby zu bekommen eine Wissenschaft.«

Ich lache und stecke das Heft und die Tabletten in meine Handtasche. »Sieht so aus.«

»Du bist dran«, sagt er und zeigt auf die Schwester, die mich ungeduldig ansieht.

Ich stehe mit einem mulmigen Gefühl auf und gehe langsam auf das Behandlungszimmer zu, vor dem sie steht. Sie nimmt mir den Fragebogen ab, wirft einen kurzen Blick darauf und führt mich dann in das Zimmer, wo eine junge Ärztin auf mich wartet. Sie merkt mir meine Angst wohl an, denn sie lächelt freundlich, steht auf und gibt mir die Hand.

Nach noch mehr Fragen, einem Bluttest, einer gynäkologischen Untersuchung nebst schmerzhaftem Abstrich, führt sie mich zum Ultraschallgerät. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, obwohl ich weiß, dass ich das nicht getan habe. Aber wie kann etwas falsch gewesen sein, wenn dieses winzige Wesen daraus entstanden ist, das kaum als ein Baby zu erkennen ist, und trotzdem die Macht hat, meinen Herzschlag anzuhalten und mich zum Weinen zu bringen.

Als wir fertig sind, ziehe ich mich schnell wieder an und verlasse das Behandlungszimmer, weil ich unbedingt raus muss, bevor ich wieder in einem Tränenmeer davonschwimme und vielleicht noch weiter darüber nachdenke, wie falsch es ist, dass ich das eben allein erleben durfte. Ohne Julian. Ohne den Vater, der es hätte auch sehen müssen.

Aber dann komme ich aus dem Zimmer und sehe Julian, der Sina im Arm hält und sie lachen laut. Und ich bin mir wieder sicher, dass meine Entscheidung richtig ist, denn Julian würde ein Baby nur als Einschnitt in seine Freiheit sehen. Eine Freiheit, die er in den letzten Jahren in vollen Zügen ausgekostet hat. Und wenn seine Mutter erst einmal gestorben ist, dann wird dieses Leben sein Anker sein und den will ich ihm nicht nehmen.

Ich laufe eilig aus dem Wartezimmer, weil ich nicht länger dabei zusehen will, wie Sina sich an ihn schmiegt. Selbst nach all den Jahren schafft sie es noch immer, bei ihm zu landen. Vielleicht ist er sich damals schon nicht bewusst gewesen, dass er sie doch mehr gemocht hat als mich.

»Wo willst du hin?«, fragt er mich.

»Ich stehe hier und warte auf dich.« Ich erwähne nicht, dass ich ihn mit Sina gesehen habe.

Er stellt sich vor mich und hält etwas in den Händen, das er aufmerksam mustert. »Das soll also ein Baby sein?«

Ich runzle die Stirn und werfe ein Blick auf das Ultraschallbild, das er in den Händen hält.

»Woher hast du das?«

»Die Schwester hat es mir gegeben, du hast es liegenlassen.«

Ich nehme es ihm aus der Hand und stecke es schnell ein.

»Zumindest hast du jetzt etwas, das du deinem Arschlochehemann zeigen kannst.« Er geht um das Auto herum, sieht mich wütend an und reißt die Fahrertür auf. »Willst du nicht einsteigen?«




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