Kapitel 34

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Man trägt viel im Herzen, was man anderen Menschen nie mitteilen kann.

PoV Amy

Der Schlüssel dreht sich leise im Schloss und die Haustür schwingt langsam auf. Ich betrete das dunkle Haus. Es ist erst früh am Abend und ich erwarte Stimmen aus der Küche, doch als ich diese betrete, sieht sie dunkel und verlassen aus. Ich rufe laut durchs Haus, warte auf Antworten, doch die Stille umhüllt mich. Während ich die Stufen in den ersten Stock nach oben steige, wähle ich die Nummer von Bryan auf meinem Handy. Bryan geht nicht dran, ich versuche es weiter mit Ethan, Taylor, Jakob und Jake, doch niemand nimmt ab und auch in den Zimmern der Jungs ist niemand.

Fast schon verzweifelt, rufe ich Jackson an. Nach dem vierten Tuten nimmt er ab und ich räuspere mich, bevor ich ihn frage, ob heute irgendein Gangtreffen, Streetfight oder Sonstiges ist. Ein kurzes Schweigen herrscht, bevor er verneint.

Er weiß es vielleicht nicht, doch diese Antwort hinterlässt bei mir lediglich Verwirrung und ein wenig Angst. Ich lege ohne ein weiteres Wort auf und betrete wiedermal die kalt und leer erscheinende Küche. Nochmal versuche ich die Jungs zu erreichen, doch wieder ertönt nur die Stimme des Anrufbeantworters.

Dann eben nicht! Wenn die Jungs mich ignorieren wollen, dann sollen sie es! Ich warte darauf, dass sie das Haus betreten, warte auf ihr Lachen und auf ihre Ausreden, dass ich alleine essen gemacht habe, doch die Minuten vergehen und es werden mehr und mehr, die ich auf sie warte.

Ich nehme mir ein Glas aus dem Schrank und schenke mir das kristallklare Wasser aus der Flasche hinein. Ich setze zum Trinken an, als ich einen zuvor nicht gesehenen Zettel auf dem Tisch entdecke. Ich nehme den Zettel und fange an zu lesen. Wie ich sehe, ist er an mich adressiert.

Amy...

Wir mussten gehen. Versuche nicht uns zu finden. Du wirst es eh nicht schaffen. Wir sind weg, doch wir werden uns irgendwann wiedersehen. Unsere Wege trennen sich zu früh und wir werden es wohl schnell bereuen, gegangen zu sein. Trotzdem ist es der einzige Weg. Das Leben ist nicht fair und das wird es dir auch immer wieder beweisen, doch bleibe stark, denn wir wissen, du bist eine kleine Kämpferin. Unsere kleine Kämpferin und Schwester.

In Liebe deine Brüder

Mein Glas, welches ich eben noch so fest umklammerte, rutscht aus meiner Hand. Ich beobachte einfach nur das wie in Zeitlupe fallende Glas, bis es schlussendlich auf dem Boden aufkommt und in tausende Glasscherben zerberstet.

Ohne auch nur einen Hauch an Hoffnung rutsche ich an der Theke, die hinter dem Tisch ist, herunter. Kleine Glassplitter bohren sich in meine Haut, doch es ist mir egal.

Ich realisiere erst jetzt wirklich, was das alles heißt... Ich bin alleine. Rider ist tot, Emma ist weg und meine Brüder verschwunden. Die, die mir was bedeuteten, gingen. Die, denen ich vertraut habe, liessen mich allein.

Für diese Welt waren sie nur Menschen, doch für mich waren sie die Welt.

In einem Moment noch so unwissend und im nächsten so tieftraurig und innerlich gerade zu zerstört. Die Schnelligkeit und Hinterhältigkeit des Lebens, wie so etwas geht und man so plötzlich alleine ist, ist wirklich unglaublich.

Heiße Tränen suchen sich ihren Weg aus meinen Augen und strömen über meine Wangen. Schluchzer verlassen meine Kehle und erfüllen die Stille mit leisen, aber hörbaren Geräuschen. Meine Gedanken sind wirr und die Situation überfordert mich.

Doch die Traurigkeit vergeht und die Wut löst diese ab. Die Wut darüber, dass meine Brüder mich einfach alleine ließen. Wie konnten sie nur? Wie hatten sie sich das vorgestellt? Ich bin nichtmal volljährig!

My second identityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt