13. Nervenkitzel des Kampfes

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Ein Heulen riss ihn aus seinen Überlegungen. Er konnte sich später noch Gedanken über Elsas Haut machen. Erst mal galt es, Sophya aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Die Wölfe knurrten und kratzten am Eis, doch konnten natürlich nicht hindurch. Das hinderte Sophya nicht daran, ängstlich zurückzuweichen. Jack zuckte zusammen. Er spürte, dass die Aufrechterhaltung der Eismauer langsam aber sicher seinen Preis forderte. Es war ihm bekannt, dass ein übermässiger Magiegebrauch seine Kräfte schwächte und er erschöpfte, allerdings hatte er nie gewusst, wie sehr. Nun wusste er es. Langsam aber sicher begann das Eis zu verschwinden, wurde weicher und bröckelte.

Entsetzt beobachtete Elsa, wie das Eis begann sich aufzulösen. Beunruhigt wandte sie ihren Kopf zu Jack. Er sass da, die Lippen zusammengepresst, die Augen zu Schlitzen verengt. Er atmete konzentriert ein und aus, als ob er versuchte, die Kontrolle zu behalten. Wollte er verhindern, dass ihm die Situation und damit die Sicherheit Sophyas entglitt? Elsa war nicht dumm. Sie wusste, dass nur die Eismauer das Rudel daran hinderte, sich auf ihre Freundin zu stürzen. Sobald die Eismauer bräche, wäre Sophya tot. Elsa beobachtete das Rudel genau. Sie merkte rasch, dass die Wölfe hungrig waren, zu hungrig um als Rudel zu arbeiten. Obwohl Wölfe keine Gedankengänge wie die Menschen machten, konnten sie doch im Team jagen, was einen Grossteil ihres Jagderfolgs ausmachte. Ein einsamer Wolf war in den meisten Fällen ein toter Wolf. Doch wie sollte ihr die Beobachtung nützen, dass das Rudel ausgehungert war? Plötzlich lächelte sie. Sie griff nach hinten. In einer der Satteltaschen hatte sie vor dem Aufbruch einige getrocknete Fleischstreifen gepackt, da sie nicht gewusst hatten, wie lange sie nach Sophya suchen mussten. Nun war sie froh, das Fleisch eingepackt zu haben. «Jack!», rief sie. Jack blickte rasch zu ihr hinüber. «Ich hoffe, es ist wichtig. Ich muss mich nämlich darauf konzentrieren, dass die Mauer nicht bricht!», zischte er durch zusammengebissene Zähne. «Wie belebe ich Schneefiguren?» Jack erstarrte. «Els... wenn du das tust, wirst du immer mehr wie das Eis. Mit jedem Mal, indem du die Eismagie einsetzt, wirst du mehr und mehr deiner menschlichen Eigenschaften verlieren.» Elsa runzelte die Stirn. «Aber du...» «Das erklär ich dir später», unterbrach Jack sie. «Ich muss das Risiko eingehen. Wie belebe ich Eisfiguren?» Jack seufzte. «Was hast du gefühlt, gedacht, als du den kleinen Schneemann erschaffen hast? Diesen Willen, dieses Gefühl, musst du finden. Der Rest kommt ganz automatisch.» Was sie gefühlt hatte? Sie war... traurig gewesen und hatte sich gewünscht, nicht mehr so einsam zu sein. Nicht nur Sophya und Jack zum Reden zu haben. Darauf hatte sie in Gedanken die Schneekugeln geformt und wie in ihrer Kindheit daraus einen Schneemann gemacht. Aber wie sollte sie...? «Jack? Kann ich Figuren erschaffen?» Jack nickte nur. «Wie?» «Stell es dir vor aber vergiss den Glauben nicht, dass du es schaffst. Der Wille ist zwar wichtig, doch nur der Glaube kann es wirklich ermöglichen. Was hast du vor, Els?» Sie schüttelte den Kopf. «Das wirst du sehen. Schaffst du es, die Mauer noch aufrechtzuerhalten?» «Ich glaube schon... allerdings nicht mehr lange», keuchte Jack, dem vor Anstrengung schon ein leichter Schweissfilm auf dem Gesicht stand. Doch wegen der Kälte gefror er sofort. Elsa atmete noch einmal tief durch. Dann stellte sie sich ein Rehkitz vor. Langsam begann sich ein Wirbel zu bilden und der Schnee wurde zusammengetragen. Es war unglaublich schön zu sehen, wie sich mit den funkelnden Eis- und Schneestücken eine Figur bildete. Elsa zitterte leicht. Es war anstrengender als beim Schneemann. Vielleicht, weil sie nun bewusst auf ihre Kräfte zugriff. «Komm», murmelte sie. Tatsächlich stakste das Tier auf sie zu. Sie seufzte. Es war eine Schande, dass dieses Geschöpf, obwohl aus Schnee, den Wölfen vorgeworfen werden musste. Doch um Sophya zu retten, blieb ihr keine Wahl. Sie bückte sich hinunter und drapierte die Fleischstücke auf dem Rücken des Rehs. Schliesslich griff sie nach einem Eisstück, welches sie ebenfalls zu sich rief. Sie umfasste das spitze Eis fester und drückte es in ihre Armbeuge. Warmes Blut trat hervor. Die ersten Wölfe drehten schon den Kopf in ihre Richtung.

Entsetzt wandte ich den Blick zu Elsa. Was hatte sie vor? Sich selbst opfern, um Sophya zu retten? Das würde sie doch nicht tun oder doch? Doch im selben Moment wurde ihm klar, dass sie das sehr wohl täte, wenn sie glaubte, ihr damit zu helfen. Doch gerade als er eingreifen wollte, hörte er, wie das Eis knackste. Rasch kratzte er seine letzten Energiereserven zusammen. Er durfte nicht zulassen, dass das Eis brach! «Ich hoffe, du weisst, was du tust, Els», murmelte er.

Elsa beugte sich hinab und liess das helle Blut, welches inzwischen eine leicht bläuliche Farbe angenommen hatte, auf das Tier neben sich tropfen. Die Wölfe witterten, unsicher, ob sie sich auf die Eiswand werfen oder das Mädchen angreifen oder das seltsame Tier zerfleischen sollten. Leise murmelte Elsa etwas. Das Reh blickte zu ihr hoch und verschwand im Wald. Die Wölfe, deren Jagdtrieb noch immer aktiv war, rannten wie von wilden Hunden gehetzt hinter dem Rehkitz her, stellte es doch eine leichtere Beute dar als das Mädchen hinter dem Eis oder die beiden Reiter. Elsa seufzte erleichtert. Sie war froh, hatte ihre List funktioniert. Rasch riss sie einen Stoffstreifen aus ihrem Ärmel und wickelte es um die Wunde. Sie wollte nicht riskieren, dass die Wölfe zurückkehrten. Gerade wollte sie Jack bitten, die Mauer aufzulösen, als diese einstürzte. Zeitgleich ertönte ein dumpfer Laut. Als sie den Blick zu Jacks Pferd wandte, lag Jack bleich und zitternd zusammengekrümmt auf der Erde.

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