30. Urteil

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Mit ruhigen Schritten ging die Sneedronigen in ihren Gemächern auf und ab. Sie hatte in den letzten Tagen Elsa genau beobachtet. Ihr ganzes Auftreten war so kalt wie sie es sich wünschte. Langsam liess sie den Blick über die bläulich schimmernden Wände gleiten und erinnerte sich...

Nachdem sie die Kugel aufgehoben hatte, blickte sie auf und sah in die furchtsamen Augen der alten Männer, die sie anstarrten. «Wie ist das möglich?», fragte derjenige, der die Winterzeremonie durchgeführt hatte. «Haben dich die Götter verschmäht?» «Ist dies Euer einziger Gedanke?», fauchte sie zurück und verengte die Augen zu Schlitzen. Der Alte verstummte. Langsam trat der Alte auf sie zu. «Du bist hier. Du lebst. Die Wintergeister scheinen dich nicht als Opfer zu wollen. Wir müssen...», seine Stimme wurde leiser. «Was müsst ihr? Ein weiteres Mädchen an einen Baum fesseln und in der Kälte zurücklassen? Das wird nicht geschehen.» Mit diesen Worten lief sie aus dem Gebäude und trat auf den Dorfplatz. «Ihr Männer, Weiber und Kinder, hört meinen Ruf und kommt!» Zögernd öffneten sich die Türen der Häuser und ungläubig dreinblickende Frauen traten vor die Tür. Männer folgten mit schuldbewusstem Blick. Lumi schnaubte. Auch sie hatten gewusst, was diese alten Irren getan hatten. Nun, eigentlich hätte es ihr klar sein sollen. Solch ein mächtiger Zauber bedurfte mehr als einige leise gemurmelten Worte ihrer Ältesten. Hierfür war mehr Energie notwendig. Energie, die die Ältesten aufgrund eben dieser Eigenschaft, die sie als Älteste auszeichnete, nicht mehr besassen. Einen jungen starken Körper und Lebenskraft. Alles, was sie beisteuern konnten war das Wissen um den Zauber und wie man ihn ausführte. Vermutlich waren sie hinter den Bäumen verborgen gewesen. Ihre Augen glitten über die Gesichter der Frauen mit ihren sorgenvollen Blicken und hohlen Wangen. Über die Kinder, die in klammen Kleidern hinter den Eltern standen und mit ebenso hohlen Wangen. Lumi presste die Lippen zusammen. Ihr war bewusst, wie hart der Winter war. Sie wusste auch, dass es weiter vorne im Tal, nahe des Meeres wenigstens mehr Menschen gab. Menschen, die wegen der leicht milderen Temperaturen ein leichteres Leben führten als sie in diesem ewig dunklen Hintertal. Ihr Blick schweifte über die Holzhütten und Katten.

Schon öfters in diesem Winter hatten die jüngeren Männer die Ältesten ersucht, dieses Tal zu verlassen. Doch diese hatten dies abgelehnt. Gewisse waren Frauen bei solchen Unterredungen gewöhnlich nicht zugelassen. Allerdings hatte sie im dunklen Winkel gesessen und gesponnen. So war es ihr möglich, dem Gespräch zu lauschen. Sie konnte noch genau die Worte der Ältesten hören. «Wir werden dieses Tal nicht verlassen. Hier lebten unsere Vorfahren, hier liegt unsere Magie. Eher soll dieses Dorf zugrunde gehen, als dass wir diesem Ort den Rücken kehren und unsere Ahnen verraten. Wer soll ihnen an Samhain sonst die Ehre erweisen und ihrer gedenken? Ihr wisst, dies ist nur an der letzten Ruhestätte möglich.» «Wir werden zurückkehren zu Samhain, um die Ahnen zu ehren.» Der Älteste hatte den Kopf geschüttelt. «Ihr sagt ihr werdet zurückkehren, doch Ihr sprecht mit gespaltener Zunge. Die Alten und Schwachen werden irgendwann nicht mehr in der Lage sein die Reise hierhin anzutreten. Sie werden weitab ihrer Heimat und ohne den Beistand unserer Ahnen sterben. Und ihr jungen? Ihr werdet die ersten Jahre vielleicht zurückkehren, doch irgendwann werdet ihr die Müh als zu gross ansehen und diesem Ort fernbleiben. Nein. Wir bleiben.» Mit diesem Satz legte der Älteste den Grundstein für das Verderben. Für ihr Verderben. «Hört mir zu. Eure Männer beschlossen, mich zu opfern, um die Wintergeister milde zu stimmen. Doch wie ihr seht, ist dies nicht geschehen. Ich bin hier ebenso wie der Schnee und die Kälte. Ich habe beschlossen, dass dies eine Strafe verdient...» Harsch unterbrach sie der Älteste. «Wie stellst du dir das vor Mädchen? Du bist eine Frau. Dein Wort zählt nicht, deine Aufgabe ist es, Kinder zu gebären und sich um das Heim zu kümmern, nicht um über Recht und Unrecht zu urteilen. Kehre zurück zu deiner Hütte und wir werden deine Worte vergessen.» Lumis Augen blitzten. «Ihr versteht nicht Ältester. Die Geister haben das Opfer angenommen.» «Weshalb bist du dann noch hier?», fragte der Älteste misstrauisch. «Weil die Geister meine Wut und meinen Drang nach Rache verstanden. Sicher wisst ihr, wie sehr sich die Geister an Strafen ergötzen. Sie gewährten mir diesen Wunsch und erlaubten mir, auf dieser Erde zu verweilen. Mehr noch, sie gaben mir ein Geschenk.» Mit diesen Worten hob sie die Arme und knurrende Wölfe schlichen um die Ecken des Dorfes, setzten sich neben sie und fixierten die Ältesten. Der Wind heulte auf. und Lumis Augen, früher so sanft und doch sturmgrau strahlten weiss auf und erloschen. Ihre Augen glühten noch kurz und ein Auge nahm die Farbe frischgefallenen Schnees an. Silberne Sprenkel tanzten in der Iris. Ihre Haut begann im Flammenschein, der aus den Häusern drang zu funkeln wie Eis und ihr braunes Haar war von einem intensiven Blau. «Die Geister verliehen mir dieselbe Macht, über die sie selbst gebieten. Der Winter ist nun ebenso mein.» Ein entsetztes Keuchen lief durch die Menge. Lumi hob die Hände. «Nun ihr Ältesten, ich kenne eure Angst. Ihr befürchtet, da ich hier stehe, mit der Macht, den Winter und all seine Schrecken über euch hereinbrechen zu lassen, dass der Winter noch ewig währen wird. Dass die Wölfe durch die Strassen ziehen und unser Vieh zerfleischt wird. Dass das Feuer ausgeht und keiner sich mehr in den Wald begeben kann, da alle Glieder klamm sind und die Raubtiere lauern. Dass Kinder sterben, dass das Dorf stirbt. Und wisst Ihr was? Genau dies wird geschehen.» Die Frauen sogen die Luft ein, nahmen die Kinder schützend in die Arme und die Männer stellten sich vor ihre Familien, bereit ihre Pflicht zu erfüllen. Die Pflicht, die Familie zu schützen, egal was es kosten mochte. Lumi lächelte «Doch auch ihr, ihr Bewohner, hört meine Worte. Ihr wolltet dieses Schicksal für mich nicht. Ihr wart mir Freunde. Euch will ich verschonen. Ihr, die ihr frei von Schuld seid, mögt gehen. Ihr könnt dieses Dorf und Tal ohne Furcht verlassen. Doch die Schuldigen, wozu leider auch einige eurer Männer und Söhne zählen, werden ausser Stande sein, dieses Dorz zu verlassen. Sollten sie es dennoch versuchen, werden die Wölfe ihnen ein Ende bereiten.» Ihre Freundin, die Tochter des Ältesten trat vor. «Aber Lumi, das kann doch nicht dein Ernst sein.» Lumi blickte ihr in die Augen. «Doch. Dies ist mein Ernst» Der Älteste räusperte sich. «Nun, wenn du denkst, dies sei dein Wille, so höre nun den unseren: du Lumi , wirst dieses Dorf verlassen und...» Lumis Lachen unterbrach ihn. «Narr. Denkt ihr wirklich, ich bliebe in diesem Ort? Nein, Euer Wort ist für mich nicht von Bedeutung. Ebenso wie der Name, der meine Geburt begleitete. Lumi Vegardsdottir ist nicht mehr.» «Wer bist du dann?», fragte ein kleiner Junge und schielte sowohl furchtsam als auch neugierig hinter dem Rockzipfel seiner Mutter hervor. «Ich bin fortan die Sneedronnigen.» Mit diesen Worten umhüllte sie ein Schneewirbel und sie verschwand.

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