28. Spiegelung

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Langsam liess Jack sie los und lächelte. Elsa erwiderte das Lächeln schüchtern. «Also... bist du mir nicht böse?» Jack schüttelte den Kopf. «Wie könnte ich dir böse sein? Du bist...», er unterbrach sich und räusperte sich. Elsa hob eine Augenbraue. «Ja?» Leicht schüttelte er den Kopf. «Egal.»

Plötzlich waren leise Schritte auf dem Gang zu hören. Alarmierte drehte sich Elsa dem Geräusch zu. «Verschwinde!», zischte sie Jack mit schreckgeweiteten Augen zu. Kurz runzelte Jack die Stirn und öffnete den Mund, um zu widersprechen. Doch dann begriff er. Rasch ging er zum Fenster, öffnete es und schwang sich hinaus. Keine Sekunde zu früh. Denn kaum hatte er sich auf das Dach gesetzt, hörte er die klirrend kalte Stimme seiner Herrin. «Wer war gerade bei dir?», wollte sie wissen. Mit Schaudern erkannte Jack, wie emotionslos Elsa antwortete. «Jack wollte mit mir sprechen. Doch ich habe ihm klar gemacht, dass ich keine Unterredung wünsche.» Kurz war ein leises Gemurmel zu hören. «Nein, er muss dafür nicht bestraft werden. Ihr wisst doch, er hat noch immer diese lästigen Emotionen und Gefühle. Hoffnung, Freundlichkeit und diesen ganzen unnützen Kram. Es liegt in seiner Natur.» «Da hast du scheinbar recht. Nun gut, belassen wir es dabei. Kommst du Liebes?»

Jack blinzelte. Liebes? Sie musste wirklich sicher sein, dass ihr Plan aufging, wenn sie sich dazu hinreissen liess, Elsa mit so einer Bezeichnung anzusprechen. Elsa antwortete leise. Seufzend erhob sich Jack und flog zu seinem Zimmer.

Einige Wochen später

Elsa fuhr sich durch die Haare und starrte in das spiegelnde Eis. Sie fühlte sich seltsam. Irgendetwas war anders. Irgendetwas veränderte sich. Kurz beugte sie sich vor und betrachtete ihr Gesicht. Es wirkte unverändert. Doch etwas wirkte fremd. Sie kniff die Augen leicht zusammen. Als einige Sekunden vergingen, liess sie resigniert die Schultern sinken und seufzte. Sie musste es sich einbilden. Langsam richtete sie sich auf und strich kurz über ihr Haar. Sie bemerkte nicht, dass sich eine Eisschicht um ihren Zopf zog.

Jack sass im Hof und beobachtete Olaf dabei, wie er selbst kleine Schneemännchen baute. Jedes Mal, wenn er das tat, musste Jack lächeln. Es sah einfach zu drollig aus, wie der kleine Kerl beharrlich Schneemänner baute und der Erbauer selbst ein Schneemann war. Leise knarrte das Schlosstor. Elsa trat mit leichten Schritten zu den beiden und sank anmutig in den Schnee. Jack wandte sich Elsa zu. Sie wirkte vertieft und abwesend. Jack legte ihr sanft eine Hand auf den Unterarm. Erschreckt bemerkte er, wie kalt sie war. Beinahe eisig. «Els?», fragte er leise. Elsa zuckte zusammen und blickte ihn an. «Ja?», fragte sie leise. Jacks Augen weiteten sich. Ihre Stimme klang frostig. «Ist alles in Ordnung?» Verwirrt sah sie ihn an. «Weshalb fragst du?» Ihm entging nicht, dass sie seine Frage nicht beantwortet hatte. «Nur so. Du wirkst heute etwas... abwesend.» Elsa zuckte die Schultern. «Ich weiss auch nicht. Irgendetwas stimmt nicht...» Ihre Stimme verlor sich in der klaren Luft.

Drei Monate später

Jack lief unruhig auf und ab. Seit er vor einigen Monaten mit Elsa gesprochen hatte und sie gefragt hatte, ob alles in Ordnung war, war sie immer wortkarger geworden. Inzwischen ging sogar eine leicht eisige Aura von ihr aus, die selbst seine Hände mit kleinen Eiskristallen überzog. Auch Elsa war dies langsam aufgefallen und versuchte seither, Nähe zu vermeiden. Doch erst vor einigen Tagen war Jack aufgefallen, was Elsa damals gemeint hatte, dass etwas anders war. Ihre Augen wirkten wie mit einem eisigen Schleier überzogen und dämpften jede Gefühlsregung. Gemeinsam hatte er mit Sophya versucht herauszufinden, was das bedeutete und war auf die Information gestossen, dass sich die Eisscherbe, die er damals ausgelegt hatte, langsam, aber sicher ihre filigran wirkenden Zacken, wie eine Schlingpflanze, über Elsas Herz zog.

Als er leise Schritte hörte, wandte er den Kopf. Hinter ihm stand Elsa. Ihr Gesicht wirkte wieder etwas eisiger. Er hatte damals gehofft, dass sie die Kontrolle über sich wiedererlangt hatte. Doch scheinbar war dem nicht so. Da erinnerte er sich, was der alte Steintroll gesagt hatte. «...Deine Herrin hatte das Gefühl, dass sie von ihrem Dorf, ihrer Familie und der ganzen Welt verstossen wurde. Sie kennt ein Gefühl nicht mehr und das ist Zuneigung. Deswegen gibt es nur einen Weg, den Fluch zu brechen...» Zuneigung... plötzlich lächelte er.

«Was gibt es da zu lächeln?», fragte Elsa mit einer kaum wahrnehmbaren Neugier. Aber sie war da. «Hast du heute Abend Zeit?», fragte Jack, ohne ihre Frage zu beantworten. Leicht bedrückt stellte er dabei fest, dass sie beide in diesem Spiel schon gut eingespielt waren. Schön die Antwort mit einer Gegenfrage umschiffen.

Elsa blinzelte mehrmals und es schien, als höbe sich für einige Minuten der Schleier über ihren Augen und sie wäre wieder seine Elsa. «Ja... ich denke schon...» Jack nickte. «Gut. Dann komm heute Abend zur Quelle, ja? Ich möchte dir was zeigen.»

«Die Quelle?», fragte Elsa und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Jack nickte. «Ich... werde da sein.» Sie wusste nicht weshalb, aber plötzlich fühlte sie wieder stärkere Emotionen als die letzten paar Wochen. Sie fühlte... Hoffnung. Jack würde wissen, was er tat. Er hatte ihr versprochen, ihr zu helfen. Auch wenn es Tag für Tag schwerer wurde, wollte sie doch nicht aufgeben und weiterhin an ihren Gefühlen festhalten.

abends

Jack sass hibbelig auf einem der Steine, die die Quelle säumten und wegen der aufsteigenden Wärme leicht glitschig waren. Als er das leise Knirschen von Schnee hörte, lächelte er. Elsa kam tatsächlich. Langsam trat sie aus den Schatten der Bäume und lief auf ihn zu. Doch einige wenige Meter von ihm entfernt taumelte sie und machte ein Geräusch, das ihn an eine fauchende Katze erinnerte. «Elsa?» «Es ist zu warm!», zischte sie und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Jack durchfuhr ein Schock. Zu warm? Er erkannte, dass die Scherbe weit schneller wuchs, als bisher von ihm gedacht, was sie aber auch weit gefährlicher werden liess.

Langsam stand er auf. Beiläufig schwenkte er die Hand über die Quelle. Eine dünne, klare Eisschicht bildete sich, liess aber immer noch Wärme in der Mitte entweichen. «Besser?», fragte er leise. Als Elsa nickte, trat er auf sie zu und streckte ihr die Hand hin. «Komm», meinte er aufmunternd, als sie kurz zögerte. «Du tust mir nicht weh», flüsterte er beruhigend worauf sie schliesslich seine Hand ergriff und ihm folgte. Sanft zog er sie Richtung Quelle. «Schau hinein», wies er sie sanft an und deutete auf die gefrorene Oberfläche.

Elsa beugte sich vor und späte in die Quelle. «Was soll ich da sehen? Ich sehe das, was ich schon viel zu viel sehe: Eis.» «Geh näher und sieh genauer hin.» Elsa beugte sich weiter vor und sank auf die Knie, um näher zu kommen. «Was siehst du jetzt?» «Mich... und dich...», murmelte sie. Jack lächelte. «Genau. Du siehst dich. Erinnere dich daran, wer du bist.»

SchneezauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt