Kapitel 14

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Lucinda

Es fühlte sich an wie Schwerelosigkeit. Ich konnte meine Gliedmaßen kaum spüren, stattdessen wurde ich das Gefühl nicht los, in Wasser zu schweben. Auf Wasser. Durch Wasser. Dunkelheit umhüllte mich wie schwere Schleier. Ich fühlte mich frei, ungebunden. Weit wie der tiefe Ozean und trotzdem zart wie eine Feder. Ich konnte alles sein. Die Weite des Himmels und die Stetigkeit eines jahrhundertalten Baumes. Ein feiner Lufthauch und die ganze Gewalt eines Gewitters. Flüchtig wie ein besonderer Moment.

Es war unbeschreiblich, als wäre ich gleichzeitig weg und doch da.

Doch dieser paradiesische Zustand hielt nicht lange an. Erst verschwand die Schwerelosigkeit, dann spürte ich nach und nach meinen Körper wieder.

Mit der Zeit nahm ich meine Umwelt wieder wahr. Ich schien seitlich auf etwas Weichem zu liegen, vermutlich ein Bett. Auch wenn ich neugierig war, ließ ich meine Augen vorerst geschlossen und regte mich nicht. Der seidige Stoff der Decke schmiegte sich sanft um meine Beine bis hoch zu meinem Kinn und kitzelte mich an der Hand.

Mir war warm. Nicht zu warm, aber auch definitiv nicht zu kalt. Es war schön. Mit einem Mal fühlte ich mich geborgen.

Jäh näherten sich Schritte. Sie waren dumpf, derjenige trug keine Schuhe und wahrscheinlich auch keine Socken. Dennoch bewegte die Person sich fast lautlos. Vor dem Bett schien sie zu stoppen, kurz war Ruhe. Dann senkte sich das Bett, als derjenige sich nah bei mir auf die weiche Matratze setzte.

Ich wagte nicht, mich zu rühren. Denn bis jetzt wusste ich weder, wo ich war, noch, was passiert war. Und wie ich hier her kam.

Nur schwer konnte ich eine Reaktion unterdrücken, als warme Finger behutsam nach meinem rechten Unterarm griffen. Sanft hob die Person meine Hand an und schob die Decke ein Stück weg. Er jetzt bemerkte ich die Schmerzen in meinem Handgelenk und an meinem Hals. Verdammt, was hatte ich gemacht? Leise Panik kroch in mir hoch.

Als etwas Nasses, Warmes jedoch die Innenseite meines Handgelenkes berührte und vorsichtig über die schmerzende Stelle fuhr, rutschte mein Herz tief in meine Hose. Mein Puls flatterte.

Die Person legte meine Hand vorsichtig wieder auf das Bett und denkte sie zu. Kurz geschah wieder nichts, dann kitzelte mich etwas an der Wange, ich tippte auf eine Haarsträhne, dann glitt das Warme, Nasse auch über meinen Hals, genau da, wo es wehtat.

Der zarte Duft von verregneter Winternacht und etwas Thymian umwehte mich und mit einem Mal wusste ich wieder, was passiert war.

Álvaro war ein Vampir. Und er hatte mich gebissen.

Mein Herz schlug mir prompt bis zum Hals, ich wagte nicht, mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Er erhob sich wieder von dem Bett und seine Schritte entfernten sich. Eine Weile war Ruhe, dann zerschnitt eine sanfte Melodie die Stille. Erst waren es nur wenige Töne, dann verschwammen sie zu einem Lied. Oder viel mehr einem Gefühl. Sehnsucht. Trauer. Unterschwängliche Wut und Frustration. Angst. Aber auch Hoffnung.

Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass Álvaro gerade Klavier spielte.

Die Schmetterlinge begannen in meinem Bauch zu tanzen und mein Puls beschleunigte. Verdammt, wieso hatte ich Álvaro Klavier spielen können lassen, wenn ich selbst doch eine verdammt große Schwäche dafür hatte? Manchmal trotzte ich wirklich nicht von sonderlich guten Ideen.

Obwohl mir Álvaro im Nachhinein betrachtet wirklich sehr gut gelungen war. Leider.

Vorsichtig illerte ich durch meine halb geschlossenen Augen, erst als ich sicher war, dass er nicht in dem Raum war, wagte ich, sie ganz zu öffnen. Möglichst lautlos setzte ich mich auf. Die dünne, weiße Decke rutschte von meinem Oberkörper und warf in meinem Schoß Falten.

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt