Álvaro
Sein Atem streifte meine Haut wie tanzender Nebel. »Du riechst so gut«, murmelte Lorenzo und vergrub das Gesicht in der Kuhle zwischen Hals und Schulter.
Zufrieden schlang ich meine Arme enger um ihn und legte meine Wange auf sein seidiges Haar. Die Farben des Abends mischten sich kunterbunt auf der Leinwand des Himmels und spiegelten sich in den seichten Wellen des Meeres. Wie eine glühende Orange trat die Sonne ihre Reise zum Horizont an und tauchte das Himmelszelt um sich in Zitronengelb, welches rasch in ein tiefes Rot abglitt, bis sie sich Farben über uns erst in ein zartes Violett wandelten, sodass sie dann zuerst ihren Platz einem zarten Blau abtraten und anschließend hinter uns das Tintenschwarz der Nacht alles Bunte vertrieben hatte. Hier und da Zucker ein Wolkenfetzen über den Himmel, mal dottergelb, mal scharlachrot, mal schweinchenpink.
»Du auch«, seufzte ich glücklich, meine Finger glitten sanft über seinen Rücken.
Wir waren nach der Schule erst zu mir nach Hause gegangen, hatten etwas gegessen, und später zum Strand geschlendert. Mit ein wenig Suchen hatten wir diesen wundervollen Platz inmitten der Dünen gefunden. Einsam schön und erstaunlich versteckt vor neugierigen Blicken.
Obwohl nicht sagen musste, dass wir relativ wenig davon geschenkt bekamen. Anfang war es mir noch sehr schwer gefallen, Lorenzos Hand in der Öffentlichkeit zu halten oder ihn gar zu küssen. Tatsächlich traute ich mich letztes immer noch kaum; das vergangene Woche auf dem Gang war eine Kurzschlussreaktion gewesen. Und in den Tagen danach bereute ich mein Handeln ein wenig. Denn den Moment, in dem ich Lorenzo wieder sah, hätte ich mir rückblickend etwas intimer vorgestellt, und ohne dass Logan mich danach blutig schlug.
Zwar konnte ich sein Handeln durchaus nachvollziehen, dennoch nur aus objektiver Sicht. Der Mann hatte nicht im geringsten eine Ahnung, wie es sich anfühlte, das Wichtigste in seinem Leben an den Tod zu verlieren - das Herz zersplittert und die Seele gebrochen. Und dann steht dieser Mensch plötzlich wie ein Engel wieder vor Einem. Man hat mit einem Schlag wieder genau das, wovon man dachte, es nie wieder zu bekommen.
Allein schon bei Lorenzos Duft könnte ich vor Freude weinen. In den Wochen seit seinem Tod hatte ich mich stets dagegen geweigert, zum Frühstück etwas der Delikatesse Honig zu essen. Zu sehr hatte es mich an meinen verstorbenen Freund erinnert.
Ich hatte ja noch nicht einmal die Chance bekommen, Abschied von ihm zu nehmen, denn eine Beerdigung hatte ich nicht gegeben. Wie auch? Sein toter Körper hatte auf den Grund dieser endlos tiefen Schlucht gelegen, welche mit Klüften und spitzen Felsen gespickt waren. Über den Zustand seiner Leiche hatte ich nicht einmal nachdenken wollen.
Noch schlimmer waren die Ausdrücke in den Gesichtern seiner Familie, als Aquila ihnen das Geschehene schilderte. Cayo hatte sofort angefangen zu weinen und die ganzen Wochen danach weder damit aufgehört, noch ein Wort gesprochen. Es war, als hätte Lorenzos kleiner Bruder die Sprache verloren, als hätte mein Freund sie mit ins Jenseits genommen. Seine Eltern waren mindestens genauso geschockt, wie meine. Seine Mutter hatte deutlich mehr geweint, als ihr Mann. Vermutlich bedauerte er den Verlust einer Chance auf politischen Aufstieg durch Lorenzos Heirat mit Solea.
Und doch war er jetzt hier. Bei mir. Lebendig und quietschfidel.
Einzig allein die Narbe genau in seiner Namensrune und ein Knubbel an seiner Wirbelsäule erinnerten noch immer an das Unglück. In den letzten Tagen war ich so oft über die Rune über seinem Herzen gefahren und immer wieder war ich doch von der Tatsache fasziniert gewesen, dass die vernarbte Haut sich farblich fast vollständig dem Tattoo anpasste. Leider leuchtete sie nur noch schwach, wie Lonrezo mir schmerzlich mitgeteilt hatte. Erst hatte ich ihn das nicht glauben wollen, doch dann war ich vorgestern Morgen Teil des Schauspiels gewesen. Denn die Konturen waren nicht mehr hundertprozentig so, wie sie von der Rune verlangt wurden.
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Seelenschreiberin (Doppelband)
FantasyMir wurde schlecht, als sich unsere Blicke das erste Mal trafen. Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Schlagartig weigerte sich meine Lunge, zu atmen, und all mein Blut verabschiedete sich in meine Beine. Dazu kam, das...