Bonuskapitel 2

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Jean

Die Tür bebte, als sie mit voller Wucht hinter mir ins Schloss knallte. Ich zuckte bei dem Geräusch jedoch nicht einmal mit der Wimper, schließlich war ich es auch gewesen, welcher seine Frustration an dem armen Holz ausließ. Und ebenso freundlich pfefferte ich auch meinen Hausschlüssel auf die Kommode.

Mein Blick bliebt an dem roten Teppich im Flur kleben. Wobei die Bezeichnung Rot hier geradezu lächerlich war: die Flusen waren komplett abgeranzt und plattgetreten. Der einzige Grund dafür, warum dieses bescheuerte Teil in meiner Wohnung lag, war die Tatsache, dass der Teppich meiner Großmutter gehört hatte. Inzwischen war sie verstorben und meiner Mutter hatte mir das Ding angedreht. Somit war ich gezwungen, es in meiner Wohnung zu deponieren, da meine Mom jederzeit auftauchen konnte. Ich konnte ihre tadelnden Worte förmlich hören, wenn sie sah, dass ich den Teppich entsorgt hatte.

Als Erstes ging ich ins Bad und machte dort das Licht an, wie so oft, wenn ich um die Zeit zu Hause war. Denn meine Kontaktlinsen waren nach so vielen Stunden dann doch etwas zu nervig. Tagsüber ertrug ich es ohne Widerrede - denn, wer schön sein will, muss leiden - aber wenn mich keiner mehr sah, konnte ich die Dinger auch rausmachen. Ich kramte in der Ramschtasche, die neben dem Waschbecken stand, und zog dieses kleine Döschen heraus, die beiden kleinen Deckelchen waren süße Nilpferdköpfchen. Anschließend schraubte ich je beide auf und wechselte die Natriumchloridlösung. An das Gefriemel in den Augen, als ich die Kontaktlinsen rausnahm, hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Die dünnen Plastikkreise wabbelte in dem Döschen und ich schraubte es zu. Unwillkürlich hob ich meinen Kopf und meine Augen fanden die des Spiegelbildes. Jetzt waren sie blau. Selbst diese Farbe passte ausgezeichnet zu meinen teils lilanen Haaren. Dennoch präferierte ich meine pinken Kontaktlinsen.

Seufzend trottete ich, selbstverständlich nach Löschen des Lichts im Bad, in mein Wohn- und Schlafbereich, und machte die LEDs an, die sich unter meinem Bett und unten an allen Möbeln befanden, sodass der Raum von unten her in in dunkelrotes Licht getaucht wurde. Gerade weil es draußen schon dunkel war, tat es gut, dass es nicht so grell hell war.

Doch leider entwickelte sich durch die rote Farbe des Lichtes eine unglaublich romantische Stimmung, und das konnte ich nun weiß Gott nicht gebrauchen. Wütend stapfte ich zum Fernseher und griff fahrig nach der Fernbedienung für die LEDs. Nur wenige Sekunden später hatte ich ein kaltes Lila eingestellt.

Meine Lieblingsfarbe, wie unschwer zu erkennen war.

Die Fernbedienung landete lieblos wieder vor dem Fernseher und ich strich mir durch die Haare. Mit wenigen Schritten war ich an meinem Bett, schmiss meinen Rucksack auf den Boden und ließ mich der Länge nach auf meine Bettdecke. Der hellgraue Stoff knitterte unter mir, als ich mein Gesicht im Kissen vergrub.

Wieso ging immer alles schief?

Den ersten Freund, George, den ich mit vierzehn Jahren hatte, hatte mich vor der ganze Schule geoutet und dermaßen bloßgestellt, dass ich tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte, mich umzubringen. Mehr als einmal stand ich an den Klippen, heulend und voller Selbsthass. Irgendwann hatte ich allerdings damit begonnen, einen Scheißdreck darauf zu geben, was die anderen dachten. Dann war ich halt schwul. Und? Das machte mich doch nicht gleich zu einem schlechten Menschen. Genau der Meinung waren meine Freunde auch gewesen, nie hatten sie mich verurteilt oder diskriminiert.

Zwei Jahre später war mein Selbstbewusstsein wieder vollständig hergestellt. Durch Zufall lernte ich Josh kennen. Er war ein schüchternes Kerlchen, devot wie sonst etwas. Aber unglaublich lieb. Noch immer konnte ich mich an seine blonden, halblangen Löckchen erinnern, schon damals hatte ich eine Vorliebe für Typen mit längeren Haaren. Ich entwickelte Gefühle für ihn und es schien, als würden wir tatsächlich zusammen kommen. Doch nur wenige Wochen nach unserem Kennenlernen wurde ich auf dem Heimweg von einem zwei Meter großen Bodybuilder-Riesen in eine dunkle Ecke gezerrt und so übel zugerichtet, dass ich in der Notaufnahme wieder aufgewacht war. Bei jedem Schlag und jedem Tritt hatte der Kerl gesagt, dass Josh ihm gehörte und ich die Finger von ihm zu lassen hätte. Seitdem hatte ich nichts mehr von dem blonden Lockenköpfchen gehört. Vermutlich war das auch besser so.

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt