Alejandro
Bei Gott, war ich dankbar, als endlich die Pausenklingel schnellte und mich vom Mr Davis’ Geschichtsunterricht befreite. Gestern hatte ich seinen Worten noch lauschen können, ohne dabei gedanklich über die fachliche Richtigkeit zu wüten. Der Mann schien komplett überzeugt von seinem Fach und erklärte zugegebenermaßen recht gut, was wann vorgefallen war. Auch die Zusammenhänge zwischen verschiedensten Ereignissen und Vorfällen konnte er erstaunlich logisch darbieten.
Aber als Mr Davis doch tatsächlich schilderte, wie die ersten Ländern in Europa von dem diktatorischen Gedanken immer mehr zu Republiken abschweifen, riss mein Geduldsfaden und ich musste mich strengstens zügeln, nicht aufzuspringen und den Tölpel einen Dummkopf zu schelten. Selbst heute war es bei uns zu Hause noch Gang und Gäbe, dass die mächtigsten Vampire über ihr Herrschaftsgebiet wachten und die nutzlosen Menschen kein Wort mitreden zu hatten. Diese autoritäre Denkweise war in Spanien weit verbreitet und sich die Nachbarländern verfolgten dieses Konzept.
Wie Mr Davis also auf solch skurrile Gedanken kam, wunderte mich dann doch.
Die einzig logisch Erklärung dafür war, dass es hier in der Regel keinen von meiner Gattung gab. Die Fürsten und Könige trugen allesamt wunderliche Namen ohne Bedeutung, auf keinem der Bilder waren sie durch den feinen Schwung der magischen Runen gezeichnet und das Wort Blutzoll fiel kein einziges Mal. Stattdessen sprach Mr Davis von Kriegen, Hungersnöten und schrecklich hohen Abgaben. Menschen bekämpften sich selbst, fanden mit der Zeit immer grausame Methoden, ganze Landstriche zu vernichten.
So waren wir Vampire nicht. Die Macht unserer Herrscher war mit körperlicher Kraft gleichzusetzen und somit kein einfacher Rang, in den man hineingeboren wurde, aber eigentlich war wie jeder anderer. Selbstverständlich kam es auch ab und an bei uns zu Unruhen, doch nur selten arteten diese aus. Das war der Vorteil, wenn sich die Spezies in verschiedene Gattungeen gliederte. Denn bei Mensch gegen Mensch war es schwer abzuschätzen, wer den Kürzeren zog. Doch wenn sich Mensch und Vampir gegenüberstanden, waren die Fronten deutlich.
Zumindest, wenn man mit ehrenvollen Waffen kämpfte. Solche, die mir mein Leben lang geläufig gewesen waren. Hier hatten die machen viel feigere Methoden entwickelt, um sich gegenseitig aus dem Leben zu befördern. Gewehre, Panzer und Bomben. Hätte bei uns jemand so eine Karte gespielt, wäre dieser alleine schon wegen Feigheit verbrannt worden. Es galt verpönter als mit einem Menschen Beischlaf zu leisten. Zumindest, wenn dies auf romantischer Natur basierte.
Ich selbst hatte ab und an die Vorzüge der menschlichen Weiblichkeit genutzt, allerdings stand die Befriedung meiner Lust an erster Stelle. So, wie es sich für einen Vampir gehörte. Eine Beziehung oder gar eine Ehe war unter aller Würde.
Gerade das machte die Tatsache nun auch so interessant, dass mein weiter Bruder eine Beziehung mit dem silberhaarigen Mädchen geführt haben soll. Zu gern wüsste ich, ob das der Wahrheit entsprach. Leider hatte ich ihn noch nicht persönlich fragen können, da Claire wie eine lästige Klette an mir klebte. Allerdings konnte ich dem Weib schlecht sagen, dass sie ihre Krallen von mir lassen soll, da sie immer noch als meine Nahrungsquelle fungierte.Wenn ich dann doch einmal Ruhe vor dem Biest hatte, war Álvaro unauffindbar. Dem Knutschfleck nach zu urteilen, von denen er in den letzten beiden Tagen drei dazugewonnen hatte, schien er in solchen Pausen mehr als nur beschäftigt gewesen zu sein.
Mit Lorenzo.
Noch immer faszinierte mich dieser Gedanke. Denn trotz meiner, ich mag behaupten, exzellenten Sinne und Beobachtungsgabe war mir diese Tatsache größtenteils entgangen. Fast ein halbes Jahr mussten die beiden es miteinander getrieben haben. Zwar war mir aufgefallen, dass mein Bruder wenig Interesse an Rosana gezeigt hatte und auch Soleas Zuneigung ihrem zukünftigen Mann ein wenig einseitig gehalten war. Meine Schwester war zu blind gewesen, um dies zu erkennen, vermutlich weil sie Lorenzo wirklich geliebt hatte und er relativ gut schauspielern konnte.
DU LIEST GERADE
Seelenschreiberin (Doppelband)
FantasyMir wurde schlecht, als sich unsere Blicke das erste Mal trafen. Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Schlagartig weigerte sich meine Lunge, zu atmen, und all mein Blut verabschiedete sich in meine Beine. Dazu kam, das...