Kapitel 10

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Alejandro

Aufrecht schritt ich durch das große Tor, welches den Vorhof des Gebäudes begrenzte. Die eisernen Gitterstangen glänzten kühl im warmen Morgenlicht der Sonne, welche gerade ihre Reise durch den Tag anbrach. Nur vereinzelt ballten sich schon kleine Gruppen von Schülern, verstreut über den Hof: an den Bänken, die von einem Holzgestell überdacht und von wildem Efeu überwuchert wurden, saßen eifrige Schülerinnen. Ein wenig erinnerte es mich an zu Hause.

Unwillkürlich überfielen mich die Bilder von dem Hof vor der Burg. Die Mauern von dem schnuckeligen Brunnen, der die Mitte des Innenhofes bildete. Junge Mädchen hatte sich zur Frühe immer an dem Wasser getummelt, einerseits um Wasser zu holen, andererseits um sich Gesicht und Hände zu waschen.

Hübsch waren die schlanken Dinger gewesen, viele von ihnen Angestellte in unserem Hause. Und ab und an hatte sich die ein oder andere in mein Bett verirrt. Ich leugnete schließlich weder meine Triebe, noch die Anzünglichkeiten der Mädchen. Nie würde ich vergessen was sie mit ihrem Körper alles tun konnten.

Besonders Lilia war mir im Gedächtnis geblieben. Ihr Name war dem blütenförmigen Muttermal geschuldet, welches sie seit ihrer Geburt links unter ihrem zarten Bauchnabel trug. Wie oft war ich mit den Fingern über genau diese Stelle ihrer seidenweichen Haut gefahren? Unzählige Male. Ebenso beeindrucken waren ihre ebenholzschwarzen Augen und ihr glattes Haar, welches selbe Farbe trug und ohne eine einzige Welle wie strömender Regen der Nacht bis zu ihrer Hüfte floss. Der farbliche Kontrast zu ihrer fast weißen Haut hatte mir jedes Mal auf’s Neue einen Schauder durch die Lenden gejagt.

Und trotz, dass sie ein nutzloser Mensch war, hatte ich meinen gefallen an dem Ding gefunden. Die anderen Mädchen hatten sie darum beneidet, mir manch eine Nacht beizuwohnen.

Umso frustrierender war das dumme Weib auch geworden, als Rosana das erste Mal einen ihrer zarten Füße in unser Schloss gesetzt hatte. Denn ab genau diesem Zeitpunkt hatten meine Augen nur noch diesem einen Mädchen gegolten.

Daher hätte ich meinen Bruder auch jedes einzelne Mal würgen können, wenn sie ihn ansah. Zwar hatten wir alle drei reaktiv schnell gemerkt, dass weder er an ihr, noch umgekehrt, sie an ihm Interesse hegte. Allerdings hätte dies wohl kaum etwas an der Tatsache geändert, dass das Mädchen gerade Álvaro versprochen war. Und Aquila hatte auch felsenfest das Ziel verfolgen, die beiden zu vermählen. Und das nur aufgrund der Vielzahl ihrer Runen. Selbst ich hatte nur wenige mehr als sie. Weibliche Vampire wurden in der Regel mit weniger dieser privilegierten Schriftzeichen gesegnet, daher war Rosana auch so wertvoll für unsere Familie.

Einzig allein der Verlust ihrer Familie und damit ihrem Erbe trübte das Bild von der jungen Vampirin. Jene politischen Verknüpfung, welche Vater mit den Eltern der Partner seiner Kinder zu pflegen versuchte, lösten sich bei Rosana in Luft auf.

Ein Soldat hatte sie auf der Reise aufgegabelt und sich eigentlich nur an ihrem feinen Körper bereichern wollen, doch als der die Runen auf ihrer blassen Haut gesehen hatte, waren ihm schlagartig die Konsequenz klar geworden, wenn er sie anfassen würde. So hatte er sie zu seinem General gebracht. Per Taube hatte dieser dann jedes einzelne Detail an den König gesandt und nur wenige Tage später schon eine Antwort erhalten. Die Anweisungen waren glasklar gewesen. Keiner würde Hand an dem Juwel anlegen und sie sollte mit einem Boten und Begleitschutz - draußen in den eisigen Wäldern lauerten mehr als genug Räuber, Gauner und Halunken - schnellstmöglich dem Königshaus überführt werden.

So war es gekommen, dass sie während des Abendmahls, an welchem Soleas Zukünftiger der Familie vorgestellt wurde, im letzten Schnee des Jahres im Schlosse angekommen war. Und noch immer verstand ich kaum, wieso Vater mich dazunahm, als er meinem Bruder sein Mädchen vorstellte.

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt