Kapitel 29

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Álvaro

»Du weißt schon, dass wir im Unterricht dafür genügend Zeit haben werden, oder?« Sie setzte sich neben mich an die Kücheninsel und strich mir die langen, dunklen Locken hinter mein Ohr.

Unwillkürlich schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. »Das ist mir sehr wohl bewusst.« Ich zog den Umriss des Mantels nach, welcher den Mann auf meinem Bild umhüllte. »Dennoch möchte ich das jetzt gern weitermachen. Und außerdem wolltest du das auch, schließlich ist das auch der Grund, warum wir uns verabredet haben.«

»Es ist nicht der einzige Grund«, kicherte Lucinda, jedoch beugte sie sich hinunter, um ihren Block und die Federmappe aus ihrem Beutel zu holen. »Du hast Hunger. Und ich bin gern bei dir.« Eine kleine Pause entstand. »Weil ich dich liebe.«

Schlagartig legte ich meinen Stift nieder und blickte die Kleine an. »Yo también te amo«, erwiderte ich. Ich beugte mich vor, ganz langsam, und kostete dann ihre Lippen. Fast gleichzeitig mit der zuckersüßen Berührung explodierte förmlich eine Farbbombe der Emotionen in mir und tausende, fröhlich bunte Schmetterlinge flatterten auf. Ich drehte mich auf dem Barhocker ihr zu und zog mein Mädchen von dem ihren herunter - nur, um sie an mich zu drücken.

Seufzend schmiegte Lucinda sich an mich, löste sich jedoch kurz darauf von mir. »Vermutlich hätte ich doch lieber Spanisch belegen sollen«, grummelte sie, doch ihr Blick war schwer vor Verlangen. »Dann hätte ich dir jetzt zumindest ordentlich antworten können.«

Ich musste grinsen. Etwas, dass ich in den Wochen zwischen Lorenzos Tod und meiner unerklärlichen Ankunft hier fast verlernt hatte. Lucinda vermochte es, Gefühle in mir zu erwecken, von denen ich dachte, dass sie für alle Ewigkeit in mir erloschen waren. Nach dem furchtbaren Ereignis mit meinem Geliebten wäre dies durchaus vorstellbar gewesen.

Ich wischte die Gedanken aus meinem Kopf. Dazu war jetzt keine Zeit. Über das Leben und meine Vergangenheit konnte ich immer noch philosophieren, wenn ich alleine war. Jetzt allerdings sollte ich jedoch den Moment auskosten. Schließlich wusste ich nur allzu gut, wie schön sowas zunichte gemacht werden konnte.

»Du musst kein Spanisch können, um mich zu beeindrucken«, lachte ich. »Du gefällt mir auch so, Mireyna.« Sanft drückte ich meinem Mädchen einen lieben Kuss auf den Scheitel. »Und außerdem kann ich dir gern ein paar Worte beibringen. Hier und da lernst du vermutlich so oder so die ein oder andere Vokabel, falls mir ein spanisches Wort herausrutscht.«

Ihre Finger glitten über die Flanken nach oben zu meinem Rücken, was mir eine feine Gänsehaut über die Arme jagte. Dessen war Lucinda sich wahrscheinlich aber nicht bewusst. Seufzend vergrub sie ihr Gesicht an meiner Brust. »Stimmt auch wieder.«

Eine kleine Pause entstand.

»Du riechst so gut«, fügte meine Kleine dann leise hinzu und ich hätte schwören können, dass sie dabei rot wurde.

Meine Mundwinkel zuckten.

Sie war so süß.

Glücklich schlang ich meine Arme fester um ihren schlanken Körper. »Sagt die Richtige«, brummte ich. Schließlich betörte mich ihr zarter Duft nach Hyazinthe, Flieder, einem Hauch Pfingstrose und etwas Fruchtigem immer wieder neu. Der Geruch war definitiv anders als bei Lorenzo. Zwar dufteten beide sehr süß, doch bei Lorenzo musste ich immer an Honig und Sonnenaufgang denken, während ich Lucinda eher mit Blumen und Wiesen assoziierte.

Ich schüttelte den Kopf. Wieso, zum Henker, verglich ich die beiden schon wieder?

Das musste aufhören.

Sofort.

Als hätte die Kleine meinen Stimmungswechsel gespürt, löste sich sich jäh von mir. »Na komm, lass uns Kunst machen. Oder hast du jetzt schon Hunger?«

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt