Kapitel 25

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Lucinda

Der Geruch nach Salz lag in der Luft. Sanft umspülten die Wellen die schon halb zerfallenen Sandburgen, die kleine Kinder heute vereinzelt am Wasser gebaut hatten. Mit Muscheln, Steinen und Seegras waren sie verziert, es hatte bestimmt eine Ewigkeit gedauert, die kleinen Türmchen zu bauen und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Mommy und Daddy die ganze Verzierung suchen mussten. Und wehe, es waren die falschen Muscheln.

Die Sonne war schon zur Hälfte hinter dem Horizont verschwunden und der Himmel so schillernd bunt gefärbt, dass man hätte meinen können, jemandem wäre der gesamte Farbkasten ausgelaufen. Da, wo das Meer den Himmel berührte, leuchtete dieser feuerrot. Von dort aus verliefen die Farben in ein warmes Orange, dass mich an Mandarinen denken ließ und nach und nach in ein Zitronengelb überging. Himmelblau mischte sich dazu, ein kaum zu erahnender Streifen von hellem Grün war dazwischen, und wurde dunkler und dunkler, bis der Himmel hinter uns fast schwarz war. Zarte Wolkenfetzen waberten zwischen den Farben und wurden vom Sonnenlicht violett angestrahlt. Dass das fast spiegelglatte Wasser den Himmel mit seinen Wolken und Farben reflektierte, machte den Moment eigentlich nur noch schöner.

Ich spürte seinen warmen Atem im Nacken. Sanft löste er seine rechte Hand von meiner Taille, zog meinen Rücken aber dafür mit der anderen enger an seine feste flache Brust. Ich konnte seinen Herzschlag spüren. Zärtlich strichen seine Finger mir meine grauen Strähnen aus dem Nacken und er hauchte mir einen federleichten Kuss auf den Hals.

»Der Himmel sieht unglaublich schön aus«, flüsterte ich leise und zerbrach damit die idyllische Stille wie eine feine Glaskugel.

»Du siehst unglaublich schön aus«, murmelte Álvaro in meine Haare. Es war das erste Mal, dass er das zu mir sagte. Seine Stimme war schwer und zitterte vor Verlangen. Dennoch hatte er es bis jetzt immer geschafft, diese Lust zurückzuhalten. Noch nie war der Vampir schwach geworden und hatte sich seinem Gefühlen hingegeben. Oder hatte mich geküsst. Nicht ein einziges Mal.

Es war erstaunlich, noch nie hatte ich ihn so gesehen. So verlangend. Álvaro wollte mich. Dessen war ich mir seit dem Laufe letzter Woche sicher. Er hatte mich ausgefragt, sogar einiges von sich erzählt. Man merkte deutlich, wie sehr er sich bemühte, Teil meines Lebens zu werden.

Und dieses Gefühl war unglaublich.

Die letzte Woche war viel passiert. Zumindest zwischen Álvaro und mir. Der Vampir war ständig in meiner Nähe, seit er Sonntag - ebenso wie gestern - von mir getrunken hatte. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass er mir einen zarten Kuss auf den Scheitel gedrückt hatte. Sicher war ich mir da zwar nicht, denn ich war kurz vorm Wegnicken gewesen. Álvaro saß beim Essen prinzipiell bei mir, verbrachte die Pausen jedoch lieber damit, mich anzusehen und mit mir zu reden, statt tatsächlich zu essen. Obwohl ich nicht ganz verstand, warum. Schließlich war ich jetzt nicht die Erscheinung.

Trotzdem. Manchmal streifte er mich sogar rein zufällig auf dem Gang und schenkte mir danach eines dieser unglaublichen Lächeln.

Langsam drehte ich mich zu ihm um, legte meine Unterarme auf seine Schultern und verschränkte die Finger hinter seinem Kopf. »Das glaubst du doch selbst nicht«, kicherte ich.

Seine blassen Lippen verzogen sich zu diesem schönen Lächeln, von dem ich schon beim Schreiben geträumt hatte. »Doch.« Bestimmt legten sich seinen Finger um meine Taille und streichelten behutsam über meinen Rücken.

So nah waren wir uns noch nie gewesen. Bis auf die Situationen, wo er von mir getrunken hatte. Aber da brauchten wir diese Nähe auch.

Mein Bauch kribbelte. »Nein, und es gibt genügen Menschen, die das bestätigen können. Ich sage nur Claire. Und sie hat ja auch recht, guck dir bitte mal meine hässlichen Haare an, die haben nicht einmal den Funken einer Farbe abbekommen.« Sanft löste ich meine rechte Hand und strich seinen Nacken entlang nach vorne über den Hals bis ich an dem obersten Knopf angekommen war. Ich ließ meine andere Hand folgen. »Wie lange noch?«

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt