Kapitel 15 - Heimwärts

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Zufrieden stand Malucius auf der steinernen Galerie und blickte in die weite Halle unter sich. Bewundernd glitten seine Augen über die Steinmetzarbeiten einer in Belletristica längst untergegangenen Kultur. Es machte ihm nichts aus, dass es dunkel war und dass die Kälte des Nordens in den langen Fluren und endlosen Korridoren vorherrschte.

Auch das Rumoren des Berges, dessen Inneres stets in Bewegung war, versetzte ihn nicht in Unruhe. Die einzige wirkliche Gefahr dieser unterirdischen Hallen lag verborgen unter Tonnen von Gold und Edelsteinen, versteinert in einem jahrhundertelangen Schlaf und doch lebendig - ein Drache.

Seine Anwesenheit und die allein war der Grund, warum sich niemand auf die Insel traute und warum all diese unermesslichen Reichtümer unangetastet geblieben waren, seit das Reich bestand.

Auch Malucius war der Macht des Drachen nicht gewachsen, weswegen er sich tunlichst von dem Hort des Goldes fernhielt. Solange das Untier schlief, war der einsame Vulkan hoch im Norden der ideale Ort, um sich zu verbergen. Selbst die hinterlistigen Feenbiester waren nicht erpicht darauf, eine Ära des Feuers über Belletristica zu bringen, die bestimmt folgen würde, wenn der Drache sich in seiner Ruhe gestört fühlen sollte.

Und obwohl es dem Mann egal sein könnte, war ihm das zu einfach. Sicher könnte er die Wut des Lindwurmes ausnutzen, um seine Rache zu bekommen. Doch das hatte für ihn keinen Reiz. Er wollte es lieber selbst in die Hand nehmen.

Er hatte nur einen sicheren Unterschlupf gebraucht und die unterirdischen Hallen, einst in die Eingeweide des Berges geschlagen von einem zwergenähnlichen Volk, waren groß wie die steinerne Festung, weitläufig, beeindruckend und wunderschön in ihrer Finsternis. Und sie boten genug Platz, sowohl für den schlafenden Drachen als auch für Malucius, das nervige kleine Vampirkind und die Schar von Schattenfeen.

Leicht nur strich der Mann über die Balustrade und bewegte sich zurück in den Raum hinter ihm. Ein gewaltiges Feuer brannte in einem gemauerten Kamin, doch nicht der kleinste Hauch von Rauch lag in der Luft. Die Belüftung und Architektur der minenartigen Anlage war beeindruckend.

Arian hockte auf einem alten Bärenfell und spielte mit dem Teddy, den sie aus dem Elflingdorf mitgebracht hatten. Malucius hatte den Gaul, den er in dem winzigen Ort im Wald gestohlen hatte, geradezu kaputt geschunden, nachdem er auf Phobos und seine Reisegefährten gestoßen war. Der Reaper wusste schließlich, dass die Sphäre, die diese gefangen halten sollte, nicht ewig anhielt.

Er hatte innerhalb kürzester Zeit so viel Abstand wie möglich zwischen sie und sich gebracht, nach einem eintägigen Gewaltritt die nördliche Küste jenseits eines riesigen Waldes erreicht und hatte dort in einem Dorf ein Fischerboot gestohlen.

Phobos und sein Gefährte sollten also definitiv die Spur zu ihm, Malucius, verloren haben, was ihm Zeit und etwas Ruhe verschaffte. Sofern man mit einem Quälgeist wie Arian Escanor-Mcforest so etwas überhaupt hatte.

»Ari langweilt sich«, piepste der kleine Junge in die Gedanken Malucius', als hätte er es herausgefordert.

»Dann spiel' was. Was kümmert's mich?«

»Du bist ein böser oller Alptraummann!«, quengelte Arian und schob die Unterlippe vor, wie immer, wenn er kurz vorm Heulen stand. Malucius hatte in der Woche, die er den Kleinen bereits in seiner Hand hatte, inzwischen gelernt, die Zeichen zu erkennen. Mit einem genervten Knurren erhob er sich wieder aus dem herrschaftlichen alten Sessel und fing an, in dem Gemach herumzugehen, auf der Suche nach etwas, womit der Bengel sich beschäftigen konnte. Wenn er nur einen Bogen Pergament und einen Bleistift finden könnte, würde das den Kleinen eine Weile ruhigstellen. Gleichzeitig schickte er die Schattenfeen auf die Suche. Das Innere des Berges war einst einmal eine Stadt voller Bewohner gewesen. Es musste doch möglich sein, Spielzeug aufzutreiben.

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