»Ischarott?« Arian legte den Kopf schief und blickte die Riesenechse verwundert an. Diese schnaubte nur laut.
»Is-ka-ri-ot!«, presste der Drachen zwischen seinen messerscharfen Zähnen hindurch und funkelte das Kind mit den goldenen Schlangenaugen an.
Der kleine Junge schob das Kinn vor. »Das kann Ari nicht aussprechen. Ari ist noch ein Baby!«
»So ... dann bist du ... ein Jungtier der Menschen? Einst opferte man mir solche, um mich zufriedenzustellen. Ich vermisse diese Zeiten. Sollst du ein Opfer für meine Gunst sein?« Ischariot senkte seine gewaltigen Schultern, da es ihn nach dem langen Liegen und Schlafen anstrengte, aufrecht zu stehen. Außerdem war dieser Winzling so klein, dass er noch einen steifen Nacken bekommen würde, wenn er weiter auf ihn hinunterblicken musste.
Arian schüttelte energisch den Kopf. »Ari will nicht gefressen werden«, jammerte er.
Die ganze Höhle schien zu vibrieren, als der Drache zu lachen begann. Es war mehr ein Kichern, aber so tief und dumpf, dass es in der Brust des Untieres widerhallte.
»Ich verrate dir etwas, Menschenkind: Niemand will das. Doch das hat mich noch nie abgehalten. Andererseits ... vermutlich bleibst du mir nur in den Zähnen stecken. Du bist ja weniger als ein Krümel. Da fresse ich lieber gar nichts.«
»Musst du das denn nicht? Hast du denn keinen Hunger? Ari hat immer Hunger, wenn er aufwacht und dann kommt Papa oder Daddy und Ari bekommt eine Flasche mit Milch. Oder Brei. Ari mag gern Nudeln ... aber Papa sagt, Ari muss hinterher immer baden, weil er sich so dreckig macht«, plapperte der kleine Junge munter drauf los, froh darüber, mit jemandem zu reden, der ihn nicht gleich anfauchte, dass er die Klappe halten sollte, so wie es der doofe Alptraummann immer tat.
Ischariot beugte seine vier starken Beine und sank auf den Bauch. Die Münzen unter ihm rieselten in kleinen Fällen davon. Entspannt streckte der Drache die gewaltigen Schwingen aus und brummte wohlig. Es fühlte sich gut an, den eigenen Körper wieder zu spüren. Viele Jahre hatte er nun unter dem Gold gelegen, die Haut zu Stein erstarrt, die Anzeichen des Lebens auf das Minimum herabgesenkt. Nun sein Herz wieder in der Brust zu fühlen, das war erfrischend.
»Ein Drache muss nur alle eintausend Jahre fressen, kleines Menschenkind. Alles andere sind ... Happen. Für zwischendurch.«
»Ari mag am liebsten Donuts«, grinste Arian vergnügt.
»Mir ist nicht bekannt, um was es sich dabei handelt ...«
»Äh ... Kuchen. Mit buntem Zucker drauf. Manchmal ist Marmelade drin. Aber die darf Ari nicht immer essen. Ari ist dann auch immer ...«
»Dreckig, du sagtest es. Mir scheint, die Jungtiere der Menschen machen eine Menge Schmutz.« Der Drache kratzte sich mit einer seiner säbellangen Klauen am Kinn, während er Arian betrachtete. Er hatte immer angenommen, die kleinen Menschen, die, die von anderen durch die Gegend getragen wurden, weil sie noch zu unausgereift waren, um allein zu gehen, würden erst spät das Sprechen erlernen. Doch dieser Winzling redete, wenn er auch von sich in der dritten Person sprach, fließend und mit einer infantilen, doch überraschenden Wortgewandtheit. Hatte er, Ischariot, so lange geschlafen, dass die Menschen die Zeit hatten, sich so sehr weiterzuentwickeln? Nein, das konnte nicht sein. Es waren noch keine eintausend Jahre vergangen, seit er den Feuerberg nach langer Abwesenheit wieder in Besitz genommen hatte. Als er geboren wurde, in den Höhlen dieses Vulkans vor vielen tausend Jahren, da hatte es auf dieser Insel und auch auf dem Land jenseits der Küste noch keine Menschen gegeben.
Er hatte, wie alle jungen Drachen, seine Heimat verlassen, um sein Leben zu leben. In vielen Ländern war er von den Sterblichen entweder verehrt und als Gottheit angesehen worden oder gefürchtet und man hatte versucht, ihn mit Gaben milde zu stimmen. Man hatte ihm jungfräuliche Töchter und erstgeborene Säuglingssöhne zum Fraß vorgeworfen - und wer hätte es ihm, einem Drachen, verübeln können, diese Opfer anzunehmen? Er musste fressen. Andere Länder waren weniger entgegenkommend gewesen und statt ihm Gaben anzubieten, hatte man ihn gejagt und versucht, ihn zu vernichten. Ischariot hatte diese Vorgehensweise der Menschen bis heute nicht verstanden.
DU LIEST GERADE
Sternschnuppenfänger
FantasyEine Geschichte aus Belletristica ~ Nach fünfhundert Jahren des Wartens wiederholt sich in Belletristica das mystische Schauspiel der Fairieden. Alle Augen sind auf diesen gewaltigen Meteoritenschauer gerichtet, wodurch niemand das Erstarken eines a...