Die Stimmung in den kalten Hallen der Minenstadt war düster. Trotz gründlichstem Suchen selbst an den unmöglichsten Orten war es den Schattenfeen nicht gelungen, den verloren gegangenen Arian zu finden. Verängstigst knieten die kleinen Wesen vor ihrem Herrn, dessen Laune auf dem Rekordtief war.
»Er ist also verschwunden und niemandem von euch, keinem einzigen, ist es gelungen, diesen Hosenscheißer zu finden, der nicht einmal laufen kann?!« Malucius' Stimme war leise, jedoch zischend wie die einer Schlange.
»Dominus, nein, Dominus«, wisperten die Feen eingeschüchtert.
»Wurde wirklich alles abgesucht?«
»Ja, Dominus. Alles bis auf die Höhle mit dem Gold.«
Malucius zuckte. »Ihr habt den Drachenhort gefunden?«
»Ja, Dominus. Doch wir haben ihn nicht betreten, Ihr habt es uns verboten. Die Höhle ist nahe.«
»Führt mich dorthin.« Den Reaper interessierten die Reichtümer des Riesenlurchs nicht im Geringsten, doch wenn der Junge nirgendwo war und dies der einzige Ort war, den niemand von ihnen betreten hatte ... wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen waren, war dies die einzige, die übrig blieb.
Die kindgleichen Feen überschlugen sich förmlich und stolperten übereinander, eine eifriger als die andere in der Hoffnung, so einer Strafe durch ihren Herrn zu entgehen. Sie purzelten die Treppen hinunter, während Malucius ihnen langsamer folgte und sich fragte, warum er angenommen hatte, dass die Schattenfeen von allein auf die Idee kämen, das Kind zu bewachen. Andererseits - wer erwartete schon, dass ein Baby, das nicht laufen konnte, einfach so verschwand.
»Dort, Dominus«, wisperte ihm eine Fee zu, nachdem sie eine dunkle und nicht beleuchtete Treppe nach unten gestiegen waren. Sie standen in einer weiteren Halle, deren Decke so hoch war, dass man sie nicht sehen konnte. Gigantische Säulen waren in der Dunkelheit zu erahnen wie in einem steinernen Wald.
Malucius fühlte sich erneut unangenehm an die Festung erinnert, die ihm so lange ein Gefängnis gewesen war und erschauderte unwillkürlich. Es war unnatürlich kalt an diesem Ort. Der fahle Mann wandte den Kopf in Richtung des ausgestreckten Fingers der Fee, die er kaum sehen konnte, nurmehr erahnen, weil ihre schwarze Haut noch dunkler war als die Finsternis um sie herum. Nur den guten Augen seines Volkes hatte es Malucius zu verdanken, dass er keine Laterne und keine Fackel benötigte, um sich in der Dunkelheit zurecht zu finden.
Sein Blick fiel auf einen winzigen Funken am anderen Ende der riesigen Halle, es mussten mehrere hundert Meter bis dorthin sein. War der kleine Hosenscheißer bei dieser jämmerlichen Kälte hier unten tatsächlich so weit gekrabbelt? Offenbar hatte er das Vampirkind unterschätzt.
»Woher kommt das Licht?«
»Kristalle, Dominus.«
»Ich denke, ihr habt die Höhle nicht betreten?«, knurrte Malucius.
»Haben wir nicht«, piepsten die Schattenfeen wie aus einem Mund und schreckten zurück. »Wir haben nur durch die Pforte gesehen, wir schwören, Dominus.«
Der Reaper nickte, raffte seinen Umhang und ging dann zügig auf den Lichtflecken zu. Malucius merkte schnell, dass es weiter war, als er angenommen hatte, denn die Zeit verging und ihm schmerzten die Beine.
Doch schließlich stand er davor und der warme Schein unzähliger lumineszierender Kristalle fiel über ihn und seine kleinen Begleiter, die neugierig hinter seinen Beinen hervorlugten. Malucius trat so nahe an die Pforte heran, wie er es wagte, ohne die Schwelle zu übertreten und ließ den Blick wandern.
Das Meer aus Gold war überwältigend und für einen kurzen Moment spürte er den Stich einer Erinnerung, einen Widerhall der alten Zeit in seiner alten Heimat, als sein Volk verfolgt und überall verfemt war, als ihnen das Nötigste zum Leben fehlte - wie gut wäre es den Reapern gegangen, hätten sie ein solches Vermögen besessen. Sie hätten sich von der Verteufelung der Kirche und den Inquisitoren freikaufen können und ihnen hätte nicht das Schicksal geblüht, das sie letztlich ereilt hatte. Malucius hätte niemals die Flucht ergreifen müssen und alles wäre anders gekommen. Doch er schüttelte diese Gedanken schnell wieder ab. Sie zählten nicht mehr, denn die Reaper waren in der alten Heimat seit mehr als fünfhundert Jahren ausgestorben und längst vergessen.
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Sternschnuppenfänger
FantasyEine Geschichte aus Belletristica ~ Nach fünfhundert Jahren des Wartens wiederholt sich in Belletristica das mystische Schauspiel der Fairieden. Alle Augen sind auf diesen gewaltigen Meteoritenschauer gerichtet, wodurch niemand das Erstarken eines a...