Mittwoch, 22.03.1916
Schon seit einer gefühlten Ewigkeit, durchsuche ich die Bücherregale in der Bibliothek, da ich ja zufällig auf eines der Taschenuhrteile stoßen könnte.
Irgendwann gebe ich die Suche auf und mache mich auf den Weg zu meinem Zimmer, in der Hoffnung dort mehr Glück zu haben. Aber dort habe ich genau dasselbe Problem, wie vorhin in der Bibliothek. Ich weiß einfach nicht wo ich suchen soll.
Zuerst ziehe ich jede einzelne Schublade meines Nachttisches und meiner Kommode auf, werde aber nicht fündig. Plötzlich erinnere ich mich an einen der alten Detektivfilme und mir kommt eine Idee. Ich hebe den Boden der Schublade an und schaue darunter. Außer einer riesengroßen Staubwolke, von der ich erstmal einen Niesanfall bekomme, finde ich auch dort nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen...
Unter dem Bett befindet sich ebenfalls nichts, außer einer alten Socke, die ich einfach unberührt da liegen lasse. Ich krieche unter dem Bett hervor, als auch schon ein stechender Schmerz durch meinen Hinterkopf schießt. Versucht einen Fluch zu unterdrücken, reibe ich die pochende Stelle. Natürlich musste ich mit dem Kopf genau unter die Bettkante stoßen.
„Ist alles in Ordnung, Miss de Lacy?", mit besorgtem Blick taucht der Butler meiner Großeltern im Türrahmen auf und reicht mir die Hand, um mir aufzuhelfen.
Hat der Zusammenprall von meinem Kopf mit der Bettkante wirklich ein so lautes Geräusch gemacht, dass der, wie ich mittlerweile erfahren habe, schwerhörige Butler darauf aufmerksam wurde?
„Ja ja, alles gut.", antworte ich schnell und reibe mir schmerzerfüllt den Hinterkopf.
„Na dann machen sie einfach da weiter, wo sie aufgehört haben und ich lasse Sie alleine."
Schmunzelnd verlässt er wieder den Raum. Er erinnert mich ein bisschen an den coolen Butler aus Rubinrot. Wenn er jetzt auch noch diesen flotten Fluchtwagen rausholen würde... In Gedanken an Gwendolyn und Gideon muss ich grinsen. Ich liebe diese Trilogie einfach! Mein Lächeln erstirbt aber sofort wieder, als ich daran denke, dass ich ja gerade etwas Ähnliches durchmache wie sie. Gwen und ich wurden beide aus unserer gewohnten Umgebung gerissen und mussten auf einmal erfahren, dass es Zeitreisen gibt. Wir müssen beide eine unfreiwillige Zeitreise hinter uns bringen, wobei Gwendolyns Karten da deutlich besser sind, denn sie springt ja irgendwann automatisch zurück. Wenn das bei mir bloß auch so wäre...
Hoffentlich endet meine Reise einfach genauso gut wie ihre: zu Hause, unbeschadet in der Gegenwart. Und vielleicht mit einem genauso heißem Zeitreisebegleiter wie ihrer. Bei dem Gedanken, dass es vielleicht nicht so sein könnte, muss ich Tränen zurückhalten. Ich meine die Sache mit der Gegenwart, nicht das mit dem hotten Begleiter, das könnte ich dann doch noch geradeso verkraften. Nicht weinen Sophie! Ich vermisse sie alle so sehr. Ja sogar meine sonst so nervige Schwester. Es kann doch nicht so schwer sein ein paar Einzelteile einer Taschenuhr zu finden. Wohl doch.
Mittlerweile bin ich komplett verzweifelt, aber ich habe einfach überhaupt keine Anhaltspunkte, an welchen Orten ich suchen soll. Ich will doch einfach nur nach Hause. Aber rumheulen bringt auch nichts. Entschlossen wische ich eine Träne von meiner Wange, die sich anscheinend dort gelöst hat. Jetzt muss ich erstmal auf andere Gedanken kommen!
Den Weg zu Frieda kenne ich schon ziemlich gut und brauche demnach auch nicht lange, bis ich in der Straße mit den heruntergekommenen Häusern stehe, die wahrscheinlich spätestens im Zweiten Weltkrieg endgültig zusammenbrechen werden. In Gedanken daran wird mir mulmig zumute, denn Friedas Familie hat so schon keine einfache Zukunft vor sich. Ihr Vater ist im Krieg und ihre Mutter vor einigen Jahren nach der Geburt ihrer jüngsten Schwester gestorben, wie ich gestern traurigerweise erfahren musste. Ich bewundere dieses Mädchen jetzt schon, wie sie mit so jungen Jahren alleine für so viele Kinder sorgen kann. Bevor ich an die Tür klopfen kann, vernehme ich eine männliche Stimme hinter mir:
„Hallo, zu wem willst du? „
„Ich wollte meine-" was ist sie denn für mich? Sind wir schon Freundinnen? Wie kann ich es verkraften, wenn ich zurückgehe und sie hier zurücklasse in dem Wissen, dass sie, Willi, Katharina längst tot sind.
Das Räuspern reißt mich aus meinen Gedanken: „Frieda besuchen.", beende ich den zuvor angefangenen Satz.
„Ich kenne dich gar nicht. Ich heiße Tom und bin mit Frieda zusammen."
Interessant. Frieda hat mir gar nichts von ihm erzählt. Na ja ich kenne sie ja auch nicht wirklich gut.
„Ich bin Sophie. Ich wollte euch nicht stören. Ich hatte nur Zeit und wollte spontan vorbeikommen."
„Kein Problem, komm doch erstmal mit rein."
Frieda öffnet die Tür strahlend: „Oh, sogar zwei Überraschungen. Schön euch beide zu sehen. Habt ihr euch schon vorgestellt?"
„Gerade geschehen." beantwortet Tom ihre Frage mit einem liebevollen Lachen.
Tom geht in die Küche vor und ich gebe Frieda leise zu verstehen, dass ich auch wieder gehen kann, wenn es gerade unpassend ist. Sie schüttelt nur den Kopf und meint, dass ihre Geschwister ja sowieso da sind.
„Wir können unsere Zweisamkeit heute so oder so nicht genießen. Wenn du weißt, was ich meine?" erklärt mir Frieda, wobei sie stark mit den Augenbrauen wackelt.
Tom ruft aus der Küche wo wir denn bleiben. Also eilen wir in die Küche und Frieda brüllt: „Wo brennt es?"
Natürlich wissen wir alle, dass es nirgends brennt und müssen umso mehr lachen, denn Frieda hält in dem Moment einen kleinen Eimer oder eine Schüssel gefüllt mit Wasser in der Hand und schüttet die Hälfte über Tom. Wo hat sie den denn jetzt so schnell her?
„So jetzt lernst du mal die richtige Frieda kennen. Entscheide dich lieber danach, ob du ihre Freundin sein willst. War das wirklich nötig?", fragt Tom ein wenig gereizt und deutet auf seine nassen Haare und sein Oberteil.
„Ich kann dich hören, ich stehe neben dir! Und was rufst du denn auch so, wenn es keinen Notfall gibt. Stell dir vor, es hätte gebrannt, dann wärst du mir jetzt dankbar gewesen!" ruft Frieda empört und stößt Tom spielerisch mit dem Arm in die Seite, woraufhin er sie in den Arm nimmt.
Okay...da fühlt man sich doch etwas fehl am Platz.
„Toooom, kannst du mir mal bitte kurz helfen kommen?", hallt Annes Stimme durch den Raum.
Ich sehe wie Frieda die Augen verdreht, als Tom kurz die Küche verlässt, beschließe aber nicht weiter nachzufragen.
„Also wirklich, ich wusste gar nicht, dass du einen Freund hast!"
„Ja, das ist für mich auch noch ziemlich neu, denn wir waren so viele Jahre befreundet und jetzt wurde mehr daraus."
„Ich freue mich, dass du jemanden hast, dem du sehr am Herzen liegst und deine Geschwister scheinen ihn ja auch zu mögen."
Frieda verdreht genervtdie Augen: „Glaub mir manchmal zu sehr. Auf jeden Fall Anne. Der Rest will sichab und zu mit Tom gegen mich verschwören. Er hat dabei seinen Spaß, ich eherweniger."
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Hundred years back ||✔
FantasyDie achtzehnjährige Sophie hat ein nur allzu gewöhnliches Leben. Doch in einem einzigen Moment stellt sich für sie alles auf den Kopf. Durch ein Missgeschick reist Sophie ins Jahr 1916. Ihr Alltag ist nicht mehr mit dem vorigen zu vergleichen und Ta...