Er

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"Wie geht es dir?". Eine simple Frage, vier Wörter, die in mir jedesmal eine neue Reaktion auslösen. Als er mich das erste Mal gefragt hatte, freute ich mich, als ob er mir einen Heiratsantrag gemacht hätte. Öfters folgte die Frage und immer mehr gab sie mir das Gefühl, dass ich ihm wichtig bin. War ich ihm jemals wichtig?
Im Moment löst diese Frage jedoch eine Welle an Wut, Enttäuschung und Erniedrigung aus. Er steht so fröhlich und unschuldig vor mir, man könnte meinen, er ist der Engel in Person. Mein Engel.
"Hallo, ich hab dich was gefragt" erhebt er wieder seine Stimme, die Stimme, wegen der er von mittlerweile mehr als einer Millionen Menschen gefeiert wird. Er sieht mich an, mit zusammengezogenen Augenbrauen, in seinen Augen ist ein belustigtes Funkeln zu erkennen. Ich schaue in diese Augen, verliere mich für einen kurzen Augenblick, fange mich wieder, atme kurz durch und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. " Jaklar alles gut" erwidere ich völlig unpassend auf seine Frage. Seine Augenbrauen ziehen sich fragend nach oben, er runzelt die Stirn. "Freut mich, dass alles gut bei dir ist, aber eigentlich wollte ich wissen, wie es dir geht" sagt er mit seiner ruhigen Stimme. Wie soll es mir denn gehen? Er hatte mir vor zwei Tagen versprochen, in diesen rauszugehen und zu reden, doch er fragte kein einziges Mal mehr nach, ob und wann wir uns treffen wollen. Wie geht es mir? Ich bin gekränkt, verletzt-kurzgesagt mir geht es echt beschissen.
"Achso haha sorry, mir geht's super und dir?" Gott mein Lachen war so blechern, dagegen klingt eine Gießkanne lebendiger. Mit einem warmen Lächeln sieht er mich an und antwortet, dass es ihn sehr freut, dass es mir gut geht. Innerlich will ich ausrasten, kotzen, weinen und ihn attackieren. Doch wie immer ziehe ich mich zurück, eingeschüchtert von seiner Präsenz und lasse ihn in dem Glauben, dass ich glücklich und zufrieden bin. Er bekommt einen Anruf, geht sofort ran, redet etwas auf türkisch, seufzt, rollt die Augen, seufzt wieder und legt mit einem "tamam, Hadi" auf. Ich sehe ihn an, fragend. Er bemerkt meine Blicke und meint, dass er jetzt gehen müsse, da es in seiner Wohnung einen Notfall gibt. Eine Riesenwelle Enttäuschung macht sich in meiner Brust breit, ich hatte gehofft, dass wir wenigstens heute seid langem Mal wieder miteinander reden könnten, der alten Zeiten wegen. Mein Lächeln erlischt, ich murmle nur " klar, Pass auf dich auf" und gehe mit einem " man sieht sich" an ihm vorbei. Ich lasse ihn stehen, und doch habe ich eher das Gefühl, dass er mich hat stehen lassen. Ich halte es nicht mehr aus, gehe in die Toiletten des hässlichen Bürogebäudes und fange an zu weinen. Ich kann es nicht länger zurückhalten, es nicht mehr verdrängen, wie sehr mir seine Ablehnung weh tut. Er macht mir die ganze Zeit Hoffnungen, nur um sie Sekunden später wieder zu zerstören. Ich sehe mich an im Spiegel. Ich bin kaputt gegangen an ihm- Ich gehe kaputt an ihm. Meine dunklen Haaren glänzen nicht mehr, mein Gesicht sieht selbst mit Makeup kränklich und blass aus und meine Augen sind die ganze Zeit gerötet. Wie kann er nur so sein? Warum lasse ich nur so mit mir umgehen? Warum passiert das alles immer nur mir? Wütend und frustriert schlage ich auf das Waschbecken und flüstere leise, während ich meine Haare wieder richte, " ich hasse dich Sefer."

HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt