Ich lasse mir Zeit, viel Zeit beim Anziehen. Ich will ihn provozieren, allerdings provoziert das langsam machen auch meinen Magen. Mir ist seit der Nachricht richtig schlecht und ich habe wahnsinnige Angst. Es ist nicht gut, welche Gefühle Sefer in mir auslösen kann, das weiss ich. Es ist sogar verdammt gefährlich, ich mache mich immer abhängiger von ihm. Mein Handy vibriert, er ruft an. Ich nehme an und Schnauze nur "was" in das Mikrofon. "Beweg deinen verfickten Arsch sofort runter, hast du mich verstanden?", Zischt er und legt auf. Ich schaue mich nocheinmal im Spiegel an und gehe dann betont langsam die Treppen runter. Bei jeder Stufe flüstere ich mir Mut zu, den kann ich gut gebrauchen. Als ich aus der Haustüre laufe, sehe ich ihn an seinem Wagen angelehnt stehen. Er tippt aggressiv auf seinem Handy Rum, keine Ahnung mit wem er schreibt. Ich laufe auf ihn zu und bleibe vor ihm stehen. Er sieht auf, direkt in meine Augen. Es ist ein Scheissgefühl ihn nicht küssen zu können, mein Herz schreit danach. "Steig ein", sagt er nur kalt. Ich will nicht in seinen Wagen einsteigen, nicht wenn wir streiten werden. Ich will nicht, dass er die Macht über mich hat, da er mich dann zurück fahren muss. "Dein Stolz wird dir vieles erschweren", hat meine Mutter einmal zu mir gemeint. Und so ist es. Mein Stolz macht Situationen noch schlimmer, als sie eh schon sind. "Alter bist du taub oder was?", Fährt mich Sefer sauer an. "Nein wir steigen nicht ein wir machen das irgendwo hier draussen. Und rede nicht so mit mir", feuere ich zurück. Er verdreht die Augen, beugt sich in sein Auto um seine Jacke zuholen und schliesst zu. Ich fange an los zulaufen, er ist mir dicht auf den Fersen. Ich laufe immer ein bisschen vor ihm, bis er mich am Arm ruckartig zurück zieht. Wir sind jetzt auf einer Länge. "Wenn du schon laufen willst, dann Lauf gefälligst neben mir", zischt er. Ich ignoriere ihn und setze mich auf eine Bank. Er bleibt vor der Bank stehen und hat jetzt den Vorteil, dass ich zu ihm hochschauen muss. "Was soll das?", Fragt er. "Was?", Ich Stelle mich dumm, ich will erst einmal seine Sicht zu den Dingen hören. Er spannt sich an und lässt seinen Nacken knacken. "Du weisst genau was ich meine". "Nein eigentlich nicht", murmele ich aber eher in Gedanken. Doch er hat es gehört. "Alter du willst mich doch verarschen", knurrt er durch seine Zähne. Er kommt ganz nahe an mein Gesicht und packt mich fest im Nacken. "Provozier die Scheiss Lage nicht okay? Was ist dein verficktes Problem?". Ich will mich aus seinem Griff winden, doch daraus wird nichts. Er hält mich eisern im Griff. "Du sagst es mir jetzt sofort, oder ich kann für nichts mehr garantieren." Droht er mir. Ich atme mehrmals tief durch und fange am zu reden. "Du bist mein Scheissproblem man, warum bringst du solche Aktionen. Weisst du wie ich mich den ganzen Tag gefühlt hab, ich hab nichts von dir gehört, kein Lebenszeichen nichts. Du hast dich nicht Mal verabschiedet." Vor Wut zittere ich, in meinem Kopf staut sich gerade alles an. "Das ist es nicht", meint Sefer trocken, "du bist wegen etwas anderem sauer." Und er hat Recht. "Okay, wenn du es unbedingt hören willst, ja ich bin sauer auf diese Scheiss Beziehung. Wir sehen uns nur verdammt selten, schreiben können wir auch nicht viel, du bist bis spät abends in Shishabars. Das tut mir weh Sefer, ich habe das Gefühl, dass ich nur ein minimaler Teil deines Lebens bin. Aber du bist alles für mich. Du bist mein ganzes Leben. Es ist einfach Scheisse, zusehen wie du auf Konzerten von Weibern abgecheckt wirst, in Shishabars von ihnen angestarrt wirst. Ich will dich mit niemandem teilen und doch muss ich dich mit der ganzen Welt teilen. Wir können nie richtig nach draussen gehen, weil sonst Fotos im Internet landen, wir können nie zusammen auch nur irgendwo hin." Der ganze Frust ist raus. Aber ich glaube, mit meinem, zum Teil wirklich egoistischen Geständnis habe ich mir nicht unbedingt einen Gefallen getan.
Sefer lässt meinen Nacken ruckartig los und atmet tief durch. Er läuft hin und her wie eine angespannte Raubkatze. Er öffnet seine Lippen um etwas zu sagen, doch kein Ton entflieht ihm. Er sieht mich eine Weile einfach nur verletzt an. Seine Brust hebt und senkt sich schnell, das erkenne ich trotz seinem Hoodie. "Und was willst du jetzt von mir hören?", fragt er mich nach einer Ewigkeit. Ich schlucke und wähle meine nächsten Worte mit Bedacht. "Ich brauche nichts von dir zu hören, meine Entscheidung steht fest", Murmel ich. Eigentlich will ich weiter fortfahren und ihm sagen, dass ich egal was kommt bei ihm bleiben werde, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen. "Wie deine Entscheidung steht fest?", Schreit er schon fast. "Mädchen, wehe du denkst auch nur daran dich zu trennen. Hör auf so eine Scheisse zu reden". Er ist richtig aufgebracht seine Augen haben den Ausdruck von purer Angst eingenommen. In diese Moment merke ich, wie wichtig ich ihm bin. Eigentlich sollte ich mich freuen, oder wenigstens beruhigt sein, dass es ihn so fertig macht, auch nur an eine Trennung zu denken. Aber das tut es nicht. Es tut mir einfach nur weh ihn so leiden zusehen. "Schatz, nein so hab ich-", will ich einen neuen Erklärungsversuch starten und wieder unterbricht er mich. "Wir machen auch keine Pause hast du mich verstanden? Ich kann das nicht bitte-", und jetzt bin ich diejenige, die ihn unterbricht. "Sefer verdammt, ich wollte sagen, meine Entscheidung steht fest, ich werde bei dir bleiben". Schreie ich schon fast, damit er mir zuhört. Und das tut er. Er sieht mich mit großen Augen an, seine Brust hebt und senkt sich immer wieder. "Ich werde bei dir bleiben, egal was passiert. Ich will nur, dass wir Kompromisse finden, sodass solche Situationen nicht mehr entstehen." Oder dass ich nicht so sehr leiden muss, füge ich in Gedanken hinzu. Sefer sieht mich einfach nur an, dann lässt er sich neben mich auf die Bank fallen. Er sieht so müde aus, es tut mir weh ihn so zu sehen. "Ich kann dich nicht verlieren.", Murmelt er. "Hey, das wirst du auch nicht". Ich probiere wirklich, meine ganze Motivation in diesen Satz zu legen. "Es ist schwer für mich, Leute in mein Leben zu lassen. Vor allem Frauen und ihnen zu vertrauen weisst du. Meine Mutter hat mich und Baba damals verlassen", flüstert er nun leise vor sich hin. Ich sehe ihn einfach nur an, ich merke wie wahnsinnig schwer es ihm fällt, sich gegenüber mir zu öffnen. Zur Unterstützung nehmen ich seine Hand in meine und verschränke sie ineinander. Er drückt meine Hand fest und fährt sich dann über die Augen. "Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich meinem Vater und dir nicht die Zeit und die Aufmerksamkeit schenken kann, die ihr verdient hättet?", Fragt er mich schliesslich verzweifelt. Ich schüttel heftig meinen Kopf. "Sefer du bist kein schlechter Mensch, hör auf sowas zusagen. Du verfolgst gerade ein wahnsinnig großes und wichtiges Ziel. Und wir lieben dich. Ich liebe dich und dein Vater liebt dich auch. Wir können alle nachvollziehen, dass du beschäftigt bist. Und bitte Schatz, wenn wir Streit haben wie gerade eben, dann bin ich einfach traurig und sauer auf die Situation weil ich dich vermisse und nicht auf dich." Ich atme aus. Es tut mir so verdammt leid dass ich ihm diese ganzen Dinge an den Kopf geworfen habe. Es tut mir weh, dass er sich selber fertig macht für etwas, wofür er zum Großteil nichts kann. Er ist das komplette Gegenteil von dem lustigen, verrückten Sefer auf Instagram oder YouTube. Er sitzt da, ruhig und nachdenklich und klammert sich an meiner Hand fest, wie ein Ertrinkender an einem Stück Holz.
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Hoffnung
RomantikHoffnungen erweisen sich manchmal als bester Freund, manchmal als schlimmster Feind.