• M I L E S •
„Mum!", schreie ich durch das Haus, als ich nach Hause komme. Keine Antwort.
„Dad!". Ebenfalls keine Antwort.
„Brüder!" Stille.
Ich bin also alleine zuhause. Gut. So muss ich schon nicht erklären, dass Logan nachher vorbei kommt.
Wir haben nach einem Gespräch in der Pause unser Treffen zum Zocken auf heute Nachmittag verschoben. Er meinte, er müsste noch schnell was klären und nachhause, ehe er zu mir kommen kann.
Ich habe solange Zeit, mit der Tomatensoße von gestern Abend einen schnellen Auflauf zu kochen und ihn in den Backofen zu stellen, solange ich schnell mein Zimmer aufräume.
Ich bin nicht wirklich aufgeregt, dass Logan kommt, ich will einfach nur, dass er sich hier wohlfühlt, immerhin kann ich mich glücklich schätzen, nach so kurzer Zeit schon so einen guten Freund wie ihn zu haben.
Meine Eltern sind davon ausgegangen, dass es Monate dauern wird, bis ich mal mit einem von diesen Großstadtkindern überhaupt einen Satz wechseln werde.
Tja, falsch gedacht.
Ich fühle mich zwar nicht wie einer von ihnen oder so, als würde ich dazugehören, aber ich finde, ich bin hier angekommen.
Logan hat meiner Meinung nach einen großen Anteil daran. Er ist, was mir in meiner Schlimmsten Zeit gefehlt hat: Jemand, auf den ich mich verlassen kann.
Vielleicht werde ich ihm irgendwann die Wahrheit sagen. Wenn er es von mir erfährt, kann ich mir vorstellen, dass er sehr verständnisvoll reagieren wird. So ist Logan einfach. Ganz im Gegensatz zu Jackson...
Als die Türklingel ertönt, renne ich hin und reiße die Tür auf.
Logan steht davor, lächelt, als er erkennt, wie schnell ich atme und wuschelt mir durch die Haare, als er ins Haus kommt, als sei er hier zuhause. Jedoch erkenne ich sofort, dass etwas nicht stimmt.
„Was ist los?"
Er zuckt mit den Schultern, stellt seine Schuhe ab und schaut mich an.
Ich erkenne in seinem Blick, dass er nicht darüber reden will, also nehme ich ihn bloß an der Hand und schleife ihn mit mir in die Küche. „Ich habe Nudelauflauf gemacht. Normale Pasta mit Tomatensoße und Käse. Isst du doch oder?"
Es ist schon eine goldene Schicht auf dem Käse, also kann ich mein Werk herausholen und auf der Hitzeschutzlatte abstellen.
„Wow, das sieht sogar essbar aus", schmunzelt Logan, so als habe er das nicht erwartet.
„Bitte!", empöre ich mich. „Als Dorfkind weiß man, wie man sich selbst versorgen kann."
„Echt?" Während ich Logan einen Schöpfer hinhalte, mit dem er uns zwei Teller befüllen kann, suche ich das Besteck zusammen. „Ich dachte immer, ihr Dorfkinder seit solche verwöhnten Mamiarschkriecher", grinst er neckend.
Ich verdrehe die Augen, schmunzele aber. „Nein, im Gegenteil. Wir lernen von klein auf wie man mithilft und all sowas, woran ihr mal verzweifelt, wenn ihr als Studenten eure eigene Bude habt und auf eignen Füßen stehen müsst"
Logan lacht leicht los, als wir zum Tisch gehen, ich uns das Besteck hinlege und er uns die Teller.
„Das kommt mir bekannt vor. Jackson lebt, seit er sein eigenes Appartement hat, nur noch vom Lieferservice oder dem Essen, das ich ihm vorbeibringe, wenn sich bei meiner Tante was schnorren lässt. Von Sauberkeit brauche ich gar nicht erst anzufangen. Wenigstens wäscht er jetzt seine Wäsche, seit er weiß, wie eine Waschmaschine funktioniert..."
Wir beginnen zu essen, unterhalten uns aber dabei weiter.
„Wieso wohnt Jackson eigentlich nicht mehr bei seinen Eltern? Also ich meine, ich hab mitbekommen, dass es bei denen ziemlich zugeht, aber..."
Logan unterbricht mich alleine durch seinen schneidenden Blick. „Ich werde dir dazu nichts sagen. Wenn du es wissen willst, dann solltest du Jacks fragen und wenn er das nicht erzählen will, wovon ich mal schwer ausgehe, dann musst du das akzeptieren"
Ich setze meinen Hundeblick auf, mit dem ich jeden rumkriege, das war schon immer so. Aber Logan ist einer der wenigen, der ihm widerstehen kann, widmet sich wieder seinem Essen, während er meint: „Das einzige, was ich dir sagen kann, ist, was jeder weiß, wenn man auch nur einmal mit ihm gesprochen hat: Er hat es nicht leicht. Und für den Rest sprichst du bitte mit ihm selbst darüber. Das aber auch nur, wenn du unbedingt wissen willst, wie es sich anfühlt, wenn er dich in Stücke reißt"
„Ey!", beschwere ich mich. „Ich kann mich sehr wohl wehren!"
„Das glaube ich dir", meint er nickend. „Aber du bist nicht so der Typ für Gewalt. Jacksons halbes Leben besteht daraus"
Kurz nachdem er diesen Satz gesagt hat, weiten sich seine Augen etwas, als habe er etwas gesagt, das lieber ein Gedanke hätte bleiben sollen.
Da er sich plötzlich total schlecht zu fühlen scheint, hacke ich nicht weiter auf dem Thema herum, sondern springe ziemlich auffällig.
„Was hast du eigentlich vor zu zocken? In Fifa bin ich nicht so gut, aber GTA oder so, da bin ich bestimmt ne Konkurrenz für dich"
Logan grinst mich an. „Na das sehen wir dann schon noch"
Weiter unterhalten wir uns über belanglose Themen.
Es ist nie still zwischen uns und wenn es das doch ist, dann ist es eine angenehme Stille, die von einem Gefühl der Sicherheit begleitet wird.
Gemeinsam räumen wir unser Geschirr weg und verschwinden dann in mein Zimmer.
Logan wirft sich auf mein Bett, als sei es sein eigenes, während ich uns zwei Kontroller hole und mich dann zu ihm geselle.
„Darf ich meinen Kopf auf deine Schulter legen?", hakt er nach, während er es auch schon tut.
„Aber lenk mich nicht ab", warne ich ihn. „Sonst liegst du ganz schnell auf dem Boden"
Er lacht nur leicht und ich starte die Konsole, die meine Brüder und ich uns zusammen geleistet haben.
Logan steckt einen seiner Arme bei meinem durch, sodass er sich beim Spielen an meinen Bizeps kuschelt.
Das Gefühl lässt mich nicht los, dass er eigentlich eine richtige Umarmung bräuchte, daher lasse ich ihn schon der erste Runde gewinnen, damit sie schnell beendet ist und wende mich ihm zu.
„Ey, du bist ja ein richtiger Looser", lacht er gerade.
Ich seufzte. „Logan"
Sein Lachen verschwindet, als er meinen Ernst erkennt.
„Keine Sorge, ich bringe es dir bei", lächelt er aufmunternd.
Oh Mann. In welcher Welt lebt der denn?
„Willst du nicht lieber reden?"
Er sieht zuerst verwirrt aus, weiß dann aber, dass ich ihn durchschaue. Er seufzt, legt den Kontroller zur Seite und rutscht im Bett zurück, solange bis er an die Wand lehnt und die Beine anziehen kann.
„Ich wollte dich sowieso um einen Gefallen bitten", beginnt er.
Ich nicke und freue mich innerlich, weil er sich mir anvertrauen will.
Er schaut betrübt auf seine Knie, wo der mit den Fingern an den Löchern seiner Jeans herumpult und sie dadurch vergrößert.
„Ich weiß, das ist echt viel verlangt, weil du mich eigentlich noch gar nicht so gut und vor allem lange kennst und ich könnte ein Dieb oder Mörder oder Vergewaltiger sein..."
„Kommst du bitte zum Punkt? Ich weiß, dass du all das nicht bist. Du bist mein Freund und ich will dir gerne helfen" Ich schaue ihn eindringlich an, und lege dabei eine Hand auf sein Knie.
Er schluckt und nickt leicht. „Naja, ich wollte fragen, ob ich vielleicht über Nacht bei dir bleiben kann... Bei mir zuhause ist es grade nicht so schön, Jackson ist zurzeit irgendwie seltsam, sodass ich Angst habe, dass er mich im Schlaf erwürgt und meine Tante hat mit ihren eigenen Kindern schon genug zu tun. Nur für eine Nacht, das verspreche ich und dann bin ich dir auch echt was schul..."
„Ach halt die Klappe!", unterbreche ich sein Geplappere und umarme ihn, wodurch ich fast auf seinem Schoß sitze. „Klar kannst du hier pennen. Mach dir keine Gedanken, dieses sorgenvolle Gesicht steht dir nicht" Ich löse mich wieder von ihm und lächele ihn an.
Er ist merklich erleichtert. „Danke, Miles. Du bist echt ein guter Freund"
Ich lächele, aber in mir schreit etwas, dass das jetzt die passende Gelegenheit ist, ihm die Wahrheit zu sagen.
Aber ich kann nicht. Alles in mir sträubt sich dagegen, das Bild, das er von mir hat, zu zerstören.
Vielleicht bin ich ja wirklich feige, aber lieber feige, als wieder all das durchmachen zu müssen, was ich schon hinter mir habe...
„Ich bin ein ganz normaler Freund", wiegele ich ab und schaue wieder zum Spiel, obwohl das gar nicht läuft.
Eine Weile ist es still zwischen uns, bis Logan plötzlich meint: „Lust zu kuscheln?"
Verständnislos sehe ich ihn an. Ist es das, was zwei Großstadtypen machen würden? Zwei, die als Heten gelten?
Da fällt mir ein: ich weiß ja gar nicht, ob er Hetero ist. Und eigentlich ist das auch nicht so wichtig. Er steckt so tief in der Friendzone, da kommt er in tausend Jahren nicht mehr raus.
Also breite ich mit meinem „klar" die Arme aus.
Er sieht erfreut aus, als wir umarmend zu liegen kommen.
„Weißt du, wenn ich Jacks das frage, dann meint er immer: Alter, ich bin doch keine Schwuchel, verpiss dich, bevor ich mich vergesse" Logan klingt betrübt.
Ich kann nicht dies Gelegenheit einfach nicht ungenutzt lassen. „Hat es denn einen Grund, warum du so kuschelwütig bist?"
Ich spiele damit auf seine Sexualität ab, aber er versteht es falsch, denkt ohnehin an etwas komplett anders als ich.
„Ich versuche nur, mir zu holen, was ich zuhause nie bekommen habe", murmelt er leise, sodass ich es fast nicht verstehe.
Da ich davon ausgehe, da er nicht beabsichtigt hat, dass ich es höre, antworte ich nicht.
Eine Weile ist es still und ich genieße es, einem Jungen mal wieder nahe zu sein, bis er verträumt seufzt und meint: „Bald ist so ne Party, es ist quasi Pflicht da aufzutauchen, wenn man kein kompletter Noop ist. Gehen wir zusammen hin?"
Aus hochgezogenen Augenbrauen sehe ich ihn an. „Als Date?"
Nichts ändert sich an seinem Blick, nur für einen Moment, dann beginnt er schallend zu lachen und kugelt sich sogar in meinen Bett hin und her.
Verständnislos sehe ich ihm dabei zu.
Es dauert bestimmt 5 Minuten, bis er sich wieder beruhigt.
„Du... du hältst mich für schwul", stellt er atemlos fest, lacht dabei noch leicht.
„Ähm..." Das ist jetzt peinlich.
Kichernd schüttelt er den Kopf. „Nein, Mann, kein Date. Ich will einfach nur, dass du auch da bist, weil es dann ein bisschen auszuhalten ist."
Mit einem noch etwas überforderten: „Wenn du meinst", stimme ich zu.
Unsere Gespräche werden belangloser, wir lachen und witzeln viel, auch darüber, dass ich ihn für schwul gehalten habe.
Er tänzelt in meinem Zimmer herum, um die Stereotypen zu erfüllen und ich lache mir dabei fast den Arsch ab.
Ich hatte lange nicht mehr so einen Spaß, habe so ehrlich und sorglos Zeit mit einem Freund verbracht.
Das ist echt schön.
Ich habe fast vergessen, wie wertvoll Freunde sind. Wie sie ein Leben bereichern können.
Irgendwann wird meine Zimmertür mal wieder einfach so aufgerissen und Ben steht in der Tür. „Essen!", brüllt er und verschwindet dann wieder.
Logan und ich sehen perplex zur Tür, die eben so liebevoll von meinem kleinen Bruder geöffnet worden ist und lachen uns dann an.
Wir schalten die viel zu laute Musik ab und trampeln die Treppen runter.
Meine Brüder und Eltern sitzen schon am Tisch, als ich mit Logan dazukomme.
„Hei Mum, Logan schläft heute bei uns", teile ich ihr mit.
„Oh Logan!" Im Gegensatz zu meiner Erwartung, wir würden erstmal Ärger bekommen, weil sie nicht mal wusste, dass er überhaupt hier ist, freut sie sich total, bedient ihn richtig, sodass er gar nicht anders kann, als sich pudelwohl zu fühlen.
„Jetzt haben wir zur Abwechslung mal einen hübschen Jungen im Haus", scherzt Mum und tätschelt Logan die Wange.
Dieser grinst stolz, auch wenn er etwas rot wird.
Etwas Ruhe kehrt ein, nachdem wir, ihre eigentlichen Söhne, uns beschwert haben und dann jeder zu Essen beginnt.
Dabei wird Logan aber natürlich von meinen Eltern ausgefragt.
Wer er ist, woher wir uns kennen und als es dann darum geht, was er mal mit seinem Leben vorhat, weiß ich, dass sie ihn für meinen Freund halten.
„Also nur mal um das klarzustellen:", grätsche ich dazwischen und sehe meine Eltern ernst an. „Logan und ich sind und bleiben nur Freunde..."
„Klar und deshalb hattet ihr letztens auch Sex. Verarschen kannst du dich selber, Schwesterchen" Mein großer Bruder sieht mich provozierend an.
Alles in mir spannt sich an und will nichts lieber, als ihm sein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.
Ich bin kurz davor, aufzustehen und ihn anzuspringen wie ein tollwütiges Tier, aber eine Hand auf meinem Oberschenkel lässt mich innehalten.
Noch immer geladen sehe ich zu Logan, der mich beruhigend anschaut.
Er hat keine Ahnung, auf welcher Ebene mich mein Bruder mit seinem kleinen Satz verletzt hat, doch schafft es trotzdem, irgendwie für mich da zu sein nur durch seinen Blick.
„Wir haben oder hatten echt nichts miteinander", erklärt Logan dann an meinen Bruder gerichtet. „Ich habe nur eine dummen Witz gemacht. Ich konnte ja nicht wissen, dass... naja, dass das ernst ist" Er wirft mir einen kleinen Blick zu.
Na super, jetzt kennt er schon eines meiner vielen Geheimnisse. Besser wirds nicht oder?
„Aber auch, wenn ich kein Problem damit habe, bin ich selbst nicht schwul oder fühle mich auf irgendeine sexuelle Art zum männlichen Geschlecht hingezogen. Also packt die Hochzeitspläne wieder ein"
Beim letzten Satz lacht er leicht und schafft es somit wirklich, die Stimmung noch zu retten. Knapp, aber wenigstens etwas.
Den ganzen Abend über kommt das Thema nicht mehr zur Sprache.
Logan zieht sich vor meinen Augen um, schläft sogar nur in Boxer mit mir im selben Bett ohne einen Kommentar abzugeben, mich aufzuziehen oder sonst irgendetwas dazu zu sagen.
Für ihn ist es vollkommen normal, dass er nun offensichtlich weiß, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle, aber er gibt mir das Gefühl, dass das nichts abnormales ist.
Allerdings kennt er ja noch nicht meine ganze Geschichte...
©Cupid42hearts
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Real me [BoyxBoy] + Cupid42hearts
Teen FictionJeder hat eine Vergangenheit, etwas, dass ihn prägt, oder zu der Person gemacht hat, die man ist. Bei Miles sieht es da nicht anders aus. Er sieht seinen Schulwechsel als Neustart und will diesen nutzen, um ohne Altlasten glücklich zu werden. Er sch...