[10.08.2011 - X09 - Perspektive]

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Die Woche verging langsam. Pakhet verbrachte die Zeit vor allem mit Training, nachdem dieses in der letzten Zeit zu kurz gekommen war. Sie machte Ausdauertraining, Krafttraining, Schießtraining. Es half ihr, ihre Gedanken freizubekommen, sich neu zu fokussieren.

Nach drei Tagen spürte sie, die Anspannung nachließ. Nun, da sie Abstand zu Heidenstein und der Situation hatte, wurde es langsam möglich, das ganze aus einer rationalen Perspektive zu sehen. Es war, wie sie es gesagt hatte: Sie waren beide Erwachsene und es war nur Sex gewesen. Sie hatte mit ihm darüber geredet, hatte ihm erklärt, dass sie nichts von ihm wollte, dass sie eigentlich auch nicht mit ihm hatte schlafen wollen und er hatte es akzeptiert. Seither war Heidenstein vielleicht etwas unbeholfen, aber in keiner Art respektlos gewesen. Es gab keinen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Es war ihm gegenüber unfair.

Dennoch mied sie es, ihm im Krankenhaus zu besuchen, auch wenn sie die Abende, an denen sie einfach nur dagesessen waren, eventuell etwas gebastelt und dabei geredet hatten, vermisste. Sie wäre zu gerne wieder zu dieser Routine zurückgekehrt.

Eine Sache konnte sie trotz des Abstandes nicht verdrängen: Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die verdächtiger Weise mit Michaels Stimme sprach. Eine kleine Stimme, die ihr immer wieder einredete, dass es ihre eigene Schuld war, da sie überhaupt so etwas wie Freundschaft zu einem Kollegen zugelassen hatte. Hätte sie ihm nicht vertraut, wäre sie nicht in ihrer Freizeit zu ihm gefahren, wäre es wahrscheinlich nicht soweit gekommen. Es war nicht ihr Stil, sagte die Stimme und hatte dabei Recht.

Doch was sollte sie tun?

Sie wusste, dass sie Heidenstein noch immer eine Antwort auf seine Angebote schuldete. Sie wusste, dass die Antwort in beiden Fälle „Nein" sein sollte und doch konnte sie sich nicht ganz dazu durchringen. Denn auch er hatte nicht Unrecht: Sie konnte nicht ewig so weitermachen, wie bisher. Sie konnte nicht auf ewig als Söldnerin arbeiten. Auch wenn sie von ihrer Vergangenheit davonlief, war es doch keine sonderlich vielversprechende Aussicht. So würde sie irgendwann im Auftrag für eine Firma, vielleicht einen Staat, vielleicht einen Kriminellen sterben – an metallenen Fremdkörpern in Kopf, Herz oder Lunge, vielleicht auch zu großem Blutverlust. Ertrinken war auch eine Möglichkeit. Fakt war, dass sie sich nicht sicher war, ob das wirklich der Tod war, den sie sich wünschte.

Wenn sie als Mary Montgomery oder als sonst irgendjemand mit einem neuen Job anfangen würde, dann sollte sie die Möglichkeit doch nutzen, oder?

Sie sollte die Möglichkeit nutzen, sollte einen Neuanfang wagen. Und doch  ...

Da war auch Michael. Michael, von dem sie wusste, dass er sie als seine persönliche Geldanlage ansah. Michael, der ihr damals ihre neue Identität und auch die erste Prothese bezahlt hatte. Michael, der sie hierher gebracht hatte und der sie sehr wahrscheinlich nicht so leicht gehen lassen würde. Ja, was würde Michael tun, wenn er davon wüsste?

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