Kapitel 6

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Derweil schloss Paddy ihre Ausbildung als Jahrgangsbeste ab und wurde Tims Abteilung zugeordnet. Aufgrund dessen lernte Paddy Owen kennen, der sie bei ihrem ersten Zusammentreffen erstaunt ansah.

Paddy kannte bereits die erstaunten und ungläubigen Blicke von Kollegen, daher reagierte sie entsprechend: „Noch nie eine Frau gesehen?"

„Doch", stammelte Owen, „aber nicht als Pilotin." Er fragte sich, wie eine Frau den Anforderungen gewachsen sein konnte. Einige Millisekunden später verschwand der Überraschungseffekt und er fragte ziemlich plump: „Wie kommt es, dass sie so jung schon Pilotin sind? Sie sehen aus, als wären sie noch nicht mal erwachsen."

Paddy sah sehr jung aus, dass wusste sie, fast jeder schätzte sie auf 16 statt 23. Doch im Zusammenhang mit dieser Frage schmeichelte ihr der Kommentar gar nicht. Kurzerhand schlug sie Owen mit der flachen Hand ins Gesicht, antwortete hochnäsig: „Ich wette, ich kann besser fliegen als du Muskelprotz."

„Das werden wir noch sehen", gab Owen trotzig zurück und fuhr mit seiner Beleidigung fort: „Mich kann man nur besiegen, wenn man mit der Arbeit verheiratet ist und keine Freunde hat." Er konnte deshalb so auftrumpfen, weil er Jahrgangsbester seiner Ausbildungstruppe war. Paddy hingegen zuckte zusammen, Owen hatte einen verdammt wunden Punkt angesprochen. Wirkliche Freunde hatte sie tatsächlich nicht, sie war schon immer alleine. Nur die Berge gaben ihr Kraft, doch zum Klettern kam sie in letzter Zeit ebenfalls nicht mehr. Tränen bahnten sie den Weg in ihre Augen, doch sie wollte vor diesem Kerl schon gar nicht anfangen zu weinen.

„Nehm dich in Acht", schrie sie daher nur und rauschte beleidigt ab. Sie schlug die Tür mit einem harten Knall zu, sodass jeder im Raum zusammenfuhr.

Owen stand noch immer geschockt von der Reaktion im Raum, doch jetzt schaltete sich Tim, Paddys Vater, ein: „Du wirst nie wieder so mit meiner Tochter sprechen, damit das klar ist!"

„Deine Tochter?", fragte Owen nun unglaubwürdig.

In den letzten Monaten der Zusammenarbeit hatte Tim sie nie erwähnt.

„Ja, meine Tochter, sie war ebenfalls Jahrgangsbeste ihrer Altersklasse!"

Unweigerlich zuckte Owen zusammen, er realisierte, dass er eindeutig zu weit gegangen war.

„Tut mir leid", entschuldigte er sich bei Tim.

Dieser meinte jedoch lediglich: „Sag das Paddy. Jetzt arbeitest du erst einmal weiter, ich seh nach ihr."

Owen nickte, doch an arbeiten war nicht zu denken. Stattdessen dachte er über Paddy und ihren Vater nach: „Wieso hat Tim sie nie erwähnt? Sie ist wunderhübsch. Leicht gelockte mittellange braune Haare, blau-grüne Augen, zierlich, maximal 1,65m groß und schlagfertig." Owen schüttelte seinen Kopf und wunderte sich, wie viele Details er in der kurzen Zeit wahrgenommen hatte. Auf die Arbeit konnte er sich gar nicht konzentrieren, er dachte lediglich daran, wie er sich entschuldigen könnte.

Tim fand seine Tochter inzwischen in der Umkleide heulend am Boden. „Da stehst du doch drüber", versuchte er sie aufzumuntern.

Doch sie entgegnete ihm lediglich schlurzend: „Er hat Recht, verdammt. Ich habe keine Freunde, nur die Arbeit und die Berge!"

Tim wollte sie daraufhin umarmen, doch sie stieß in weg.

„Lass mich allein", bat sie, woraufhin Tim die Küche verließ und zurück zu Owen ging.

„Alles ok?", fragte dieser, doch Tim schüttelte den Kopf und bat ihn, sich für sein Benehmen zu entschuldigen.

„Sie ist im Moment in der Küche, lass ihr paar Minuten."

Owen nickte, er fühlte sich unheimlich schlecht. Die Beiden waren ausgesucht worden, um gemeinsam ein Raumschiff zu steuern, doch noch bevor sie sich kannten, stritten sie sich. Auch Paddy ging es immer schlechter, dies lag aber nicht mehr nur an der Auseinandersetzung sondern auch an der Flasche, die neben ihr stand.

Owen war innerlich total unruhig, sodass er nach 5 Minuten bereits aufstand, um in die Küche zu gehen. Tim wollte ihn zunächst noch abhalten und seiner Tochter Ruhe gönnen, aber er ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Bereits im Flur hörte Owen ein leises Wimmern, das seine Schuldgefühle wachsen ließ. Langsam öffnete er die Tür, doch sein Schritt beschleunigte sich beim Anblick von Paddy. Sofort nahm er Paddy die Wodkaflasche aus der Hand, in der bereits ¼ des Getränks fehlte.

„Was machst du denn hier?", fragte er entsetzt, doch Paddy schaute ihn lediglich verwirrt an. Da sie normal nie Alkohol trank, wirkte der Alkohol entsprechend schnell und stark.

„Ich weiß nicht, was du noch mitbekommst, aber ich möchte mich bei dir entschuldigen. Sicher hast du eine ganze Menge Freunde und bist eine erstklassige Pilotin", sagte Owen leise zu ihr, während er sich neben Paddy auf den Boden setzte.

Diese lächelte kurz, doch im nächsten Augenblick schüttelte sie den Kopf.

„Du hattest Recht, ich habe keine Freunde und nur meine Arbeit und die Berge. Aber fliegen, das kann ich", teilte sie ihm lallend mit.

Owen fühlte sich nun immer elender, er hatte genau ins Schwarze getroffen. Betroffen von Paddys ehrlichen Worten, legte er einen Arm um ihren Schultergürtel und meinte: „Du hast doch jetzt mich."

Plötzlich zog Paddy einen Autoschlüssel aus der Tasche, sie wollte nach Hause fahren. Doch Owen kam ihr zuvor und nahm ihr den Schlüssel wieder ab.

„Gib her", raunte Paddy, aber er ließ sich nicht beirren.

„Ich werde dich nach Hause bringen", sagte er nun bestimmend und musste Paddy auf dem Weg zum Auto mehrfach stützen.

Lallend teilte sie ihm die Adresse mit und er begleitete sie noch in ihre Wohnung, während sich fortwährend Blitz und Donner abwechselten. Dadurch wurden beide glitschnass, die Kleidung klebte auf ihrer Haut. Kurzerhand streifte sich Paddy die Hose und ihr Shirt im Wohnzimmer aus, ließ beides auf dem Boden liegen und warf sich aufs Bett. Owen konnte nun ihren dünnen Körper näher betrachten, doch im nächsten Moment schämte er sich dafür. Paddy schlief auf ihrem Bett, aber Owen konnte sie nicht einfach so dort liegen lassen. Daher nahm er ihren Körper auf seine Arme, legte sie ordentlich aufs Bett und deckte sie bis zu den Schultern zu. Kurz betrachtete er sein Werk, strich ihr über die Wange und verließ die Wohnung. Zum Glück hatte der Regen merklich nachgelassen, es nieselte nur noch. Im selben Moment, als er die Straße betrat, fragte er sich jedoch, ob es eine gute Idee war, Paddy in ihrem angetrunkenen Zustand alleine zu lassen. Aber er hatte kein Recht, in ihrer Wohnung zu bleiben, daher war er gegangen. Dass das keine gute Idee gewesen sein sollte, sollte sich am nächsten Tag herausstellen. Aufgrund seines durchnässten Zustands beschloss er, erst einmal nach Hause zu gehen. Von dort informierte er seinen Vater über die Geschehnisse und bat ihn gleichzeitig, Tim über den Verbleib seiner Tochter zu informieren. Danach dachte er nochmals über die Situation nach. Eigentlich hatte er sich auf das Treffen mit seiner neuen Kollegin gefreut, aber irgendetwas hatte ihn irritiert.

„So habe ich mich noch nie aufgeführt, schon gar nicht bei einer so hübschen Frau", wunderte er sich über sich selbst. Er beschloss daher, sich nochmals zu entschuldigen, wenn Paddy wieder nüchtern wäre.

Flüchtlinge der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt