21. Türchen

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Es war einfacher, als ich erwartet hatte, in den Eispalast zu kommen. Selbst Aestor schien nicht damit gerechnet zu haben. Als er uns durch die Stadt zum Palast führte und dafür sorgte, dass wir im Thronsaal König Tajo vorgeführt wurden, hatte er innerlich seine ausschweifende Rede vorbereitet, mit der er ihn davon überzeugen wollte, uns anzustellen.

Ich hatte noch nie zuvor in einem Thronsaal gestanden und ehrlich gesagt nie darüber nachgedacht, dass ich jemals tun könnte.

Cerva stand direkt neben mir. In den letzten Jahren war sie viel gewachsen, mittlerweile zählte sie knapp 13 Sommer. Was für eine merkwürdige Vorstellung, dass sie nicht mehr lange ein Kind sein würde.

Kaum merklich drehte sie ihren Kopf in meine Richtung und murmelte: „Ich hätte es mir pompöser vorgestellt."

Ich wusste genau, was sie meinte. Der Thronsaal von Glacies war eigentlich nur ein kalter Raum mit steinernen Wänden und einem roten Teppich, der von der Tür zu einer kleinen Erhebung führte, auf dem zwei Throne standen. Links von uns stand eine Art Balkon aus Holz, mit hochwertigen Schnitzereien versehen. Dort gab es Platz für die 6 Lords und Ladies des Landes und 6 weitere, die für die wichtigsten Berufsstände vorgesehen waren. Unter anderem auch für Aestor.

Heute waren die Plätze allerdings leer. Nur auf dem linken Thron saß jemand.

Der König.

Das also war Tajo. Erst jetzt, wo ich ihn sah, wurde mir klar, wie wenig ich über ihn wusste. Es überraschte mich, wie jung er noch war, er musste etwa in meinem Alter sein. In meiner Vorstellung musste ein König erwachsener sein, wie ein Vater wirken.

Er trug einen dunkelgrünen Mantel mit golden schimmernden Ornamenten und saß mit geradem Rücken da, blickte beinahe gelangweilt auf uns herab. Einige Schritte schräg hinter ihm stand sein engster Berater – Orion. J'Khar hatte uns eingehend vor ihm gewarnt. Ihm durften wir am wenigsten vertrauen.

Man sah ihnen beiden an, dass sie ursprünglich aus dem Dschungel kamen. Dunkles Haar, dunkler Teint, dunkle Augen. Ihre Haut wirkte allerdings etwas fahl, als hätte sie hier im Schneetal an Farbe verloren.

Die Verschlagenheit, die Orion ausstrahlte, ließ den König allerdings aus. Vielleicht lag es auch an seinem Alter, aber so, wie er auf seinem Thron saß, der Mantel eine halbe Größe zu groß, sah er so unscheinbar aus, dass ich kurzzeitig einen Hinterhalt infrage stellte.

„Schatzmeister Aestor, weshalb darf ich mich über Euren Besuch erfreuen?", brach er nun das Schweigen und seine Langeweile fand Einzug in seiner Stimme. Es war ihm deutlich anzuhören, dass er sich nicht freute.

„Eure Majestät, auf einem meiner Rundflüge bin ich diesen fähigen und körperlich äußerst beispiellosen Steinraben begegnet, die sich Euch gerne anschließen würden", antwortete er mit seiner übertrieben höflichen Stimme. Das war der Aestor, der als Schatzmeister tätig war. Der seit Monaten heimlich Gold zur Seite schaffte, damit die Königin bei ihrer Rückkehr Reichtümer besaß und im Notfall Söldner bezahlen konnte. „Ich muss Euch sicher nicht erklären, wie selten es ist, dass sich Vogellasins dem Königspaar anschließen wollen", fuhr Aestor fort. „Dass sich diese jungen Steinraben Euch anschließen wollen, ist eine große Ehre."

„Es ist eine große Ehre, wenn der König sie in seine Dienste aufnimmt", kam es geradeheraus von Orion. Dabei bewegte er sich nicht. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen blieb er auf der Stelle stehen, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er kam mir glatter als der gefliester Boden unter mir vor.

„Sicher", entgegnete Aestor blasiert. „Es ist aber auch ein großes Zeichen, welches der König aussendet."

Dies schien Tajo neugierig werden. Seine Augen weiteten sich ein wenig und er richtete sich kaum merklich noch etwas auf. „Was meint Ihr damit?"

„Ganz einfach: Wenn Ihr Steinraben aufnehmt, zeigt Ihr all Euren Feinden, dass Ihr trotz ihrer Annahmen ein König für alle seid. Ihr zeigt, dass Ihr niemanden ausschließt."

Der König dachte über seine Worte angestrengt nach. Man konnte ihm regelrecht ansehen, wie die Mühlen in seinem Hirn arbeiteten. Es erschien mir immer unwahrscheinlicher, dass er fähig war, einen Hinterhalt zu planen. Das kam mir zu groß für ihn vor, zu viel Planung. Außerdem sah er nicht wie jemand aus, der so durchtrieben seine eigene Partnerin aus dem Verkehr zog. Immerhin war er mit Königin Dasana verheiratet. Das bedeutete doch etwas, oder nicht?

Meine Mutter hatte mir immer eingebläut, dass es das tat.

Tajo kniff nachdenklich seine Augen zusammen. „Steinraben?", wiederholte er langsam. Sein Blick wanderte über jeden Einzelnen von uns, verharrte aber bei keinem länger als drei Sekunden. „Ich dachte, die wären schon vor Jahren ausgestorben."

Eine merkwürdige Stille trat ein. Meine Geschwister und ich rückten instinktiv näher zusammen, als könnte er uns alleine durch diese Feststellung Schaden zufügen.

„Das habe ich auch eine lange Zeit gedacht", log Aestor, allerdings klang er dabei so wie jemand, der eine Offenbarung teilte. Er beherrschte sein Handwerk perfekt. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich ihm auch geglaubt.

Deswegen war er der perfekte Schatzmeister. Mit seinen Worten schaffte er es, aus jedem etwas herauszuholen.

Aestor machte eine ausschweifende Handbewegung in unsere Richtung. „Aber vor Euch steht der beste Beweis dafür, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint."

Bei diesen Worten konnte ich nichts anderes tun, als an den König vor mir selbst zu denken.

Wenn nichts so war wie es schien, dann war er vielleicht intelligenter, als ich annahm. Listiger. Grausamer.

Dann könnte es doch sein, dass hinter seinem unscheinbaren Auftreten etwas Gefährliches lauerte.

„Hm", machte er nun. „Meinetwegen."

Vor Erleichterung fiel mir ein Stein vom herzen.

„Die Mädchen sollen sich als Mägde nützlich machen und das Wachpersonal freut sich sicher über die Jungs als zusätzliche Hilfen. Orion?"

Erst jetzt trat der Berater einen Schritt vor und fragte: „Was kann ich für Euch tun, Eure Majestät?"

„Sorge dafür, dass sie nur Hilfsarbeiten erledigen. Sie müssen sich ihr Vertrauen erst noch verdienen."

Der Berater nickte, ich fluchte leise. Es wäre besser gewesen, wenn wir uns freier im Schloss hätten bewegen können. Aber vielleicht reichte es aus, das Vertrauen der anderen Bediensteten zu erschleichen, um so an Informationen zu kommen. In so einem Schloss gab es doch viele Augen, die so allerhand Dinge sahen.

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