22.Kapitel

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Unentschlossen stehe ich über dem kleinen Jungen. Angsterfüllt blickt er mich aus weit aufgerissenen Augen an und weicht ein Stück zurück.

Ich... ich muss es einfach tun. Unser Leben könnte von diesem Jungen abhängen. Er könnte die Karrieros zu uns locken oder uns womöglich noch auflauern - was ich bei diesem Kleinen zwar für unwahrscheinlich halte. Dennoch, man weiß ja nie, was er alles noch ausrichten könnte. Und davon abgesehen, je mehr Tribute wortwörtlich von der Bildfläche verschwinden, desto näher kommen wir Distrikt 12.

Der kleine Junge scheint zu merken, was gerade in mir vorgeht, denn nun sieht er mich flehend aus glasigen Augen an. Jetzt erkenne ich ihn sogar wieder, es ist der kleine Tribut aus Distrikt 10. Schnell sehe ich weg.
Ich kann das nicht machen. Er ist ein Kind, vielleicht so alt wie Katie. Aber Katie ist meine Schwester, ich muss sie beschützen. Ich muss es einfach tun, koste es was es wolle!

Auch Katie scheint nun zu ahnen, dass ich mit dem Gedanken spiele, den Jungen zu töten. ,,Amanda, was hast du vor?“, kommt es nun zögerlich von ihr.

Ich schlucke heftig und bekomme nur ein ,,Es tut mir leid, Katie“ mit brüchiger Stimme heraus.
Ich werfe Katie einen schuldbewussten Blick zu, den sie sofort deutet und gehe einen Schritt auf den immer noch am Boden liegenden Jungen zu.

,,Ich muss es tun“, sage ich, während ich langsam ein Messer aus meinem Gürtel ziehe.

Sogleich versucht der Junge auf allen Vieren rückwärts vor mir zu fliehen, wird jedoch von einem Baumstamm hinter ihm gestoppt. Langsam fließt ihm eine Träne seine Wange herunter und ich sehe wie sein Blick panisch hin und her fliegt. Ich kann sein Zittern förmlich spüren.

Vergeblich versuche ich ihm nicht in die Augen zu schauen, denn das würde alles nur noch schwerer Machen. Mit merklich zitternden Händen mache ich einen weiteren Schritt auf den Jungen zu.

,,Nein Amanda, tue das nicht!“, kommt es plötzlich von Katie. Sie tritt neben mich und sieht den Jungen mitleidig an.

,,Katie bitte versteh es doch, ich muss es tun“, ich schüttle leicht den Kopf und blicke sie hilflos an.

Wieder gehe ich einen weiteren Schritt auf den Jungen zu. Jedoch stellt sich Katie sogleich vor den Jungen und hält mich auf. Schon will ich sie mit den Worten ,,Bitte mach es mir nicht noch schwerer“, von dem am Erdboden liegenden Tributen wegschieben, doch sie bleibt widerspenstig stehen.

,,Bitte Amanda, lass dich nicht so manipulieren, du musst ihn nicht töten. Sieh ihn dir doch mal an“, sie zeigt auf ihn, ,,er ist doch sowieso schon geschwächt und hat keine Waffe. Er könnte uns doch gar nicht verletzten. Bitte tue mir das nicht an“, flehend sieht sie mich an und versucht mich weiter davon abzuhalten, den Jungen umzubringen. 

Immer noch zwiegespalten lasse ich mein Messer langsam sinken und fixiere ihn. Er sieht wirklich nicht so aus, als würde er es riskieren, uns aus dem Hinterhalt anzugreifen. Aber irgendwas muss ich doch tun. Da fällt mein Blick auf etwas, das hinter dem Busch hervorlugt. Es scheint ein Stück Stoff einer Tasche zu sein. 

,,Gut, ich verschone dich. Dafür gibst uns aber alles Essbare, was du erbeuten konntest!“, sage ich, während ich mit meinem Finger auf den Beutel zeige.

Erleichterung zeichnet sich auf Katies Gesicht ab und auch der Junge wirkt sichtlich froh, dass sein letztes Stündlein doch noch nicht geschlagen hat und gibt mir ohne Widerstand seine Ausbeute. Es ist ein kleiner grüner Rucksack mit zwei Außentaschen.

Mich wundert es, wie er überhaupt einen Rucksack ergattern konnte. Immerhin muss er es irgendwie zum Füllhorn und wieder weg geschafft haben, ohne dabei verletzt worden zu sein.

Tribute von Panem - Die Spiele gehen weiter (FF) (PAUSIERT) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt