31.Kapitel

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Ich habe ihn getötet. Ich starre sekundenlang auf das Gesicht des  Jungen, dass von Moment zu Moment immer bleicher wird. Ich habe ihn tatsächlich ermordet. Der Boden unter mir vibriert leicht, als sich mehrere Personen der Lichtung nähern, doch ich kann mich in meinem Schock nicht von der Stelle rühren.

„Amanda wir müssen gehen, die Karrieros!“, dringt die ängstliche Stimme meiner Schwester an mein Ohr.

Ich nicke abwesend. Mit dem Handrücken streiche ich mir eine Träne vom Gesicht, die sich unbemerkt einen Weg zu meiner Wange gebahnt hat. Der tote Junge hat noch seinen Blick nach oben gewendet, zwischen die Bäume in den Himmel. Was er wohl erwartete dort zu sehen?
Langsam erhebe ich mich und löse meinen Blick mühsam von dem Leichnam des Tribut. Katie zieht mich von dem Baum weg zum gehen, doch schon wird das Gebüsch auseinander gebogen und zwei Gestalten tauchen vor uns auf.

„Haben wir euch!“, sagt Jack triumphierend, sein Speer dabei direkt auf mich gerichtet. Er schaut zwischen mir und meiner Schwester hin und her. Seine Augen funkeln vor Wut, Schadenfreude und Wahnsinn zu gleich. Die Spitze des Speeres, die nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt in der Luft schwebt, glitzert getränkt von einer roten Flüssigkeit in der Mittagssonne.

Grace' Blut. Wessen auch sonst.
Ich sehe sie wieder vor mir am Boden liegen, wie sie mich drängt zu fliehen. Doch da schiebt sich wie in einem uralten Dia-Projektor ein neues Bild vor Grace. Ihr Schrei nach dem Tod vermischt sich mit Bildern von unserem Verfolger, wie sich mein Messer in seinen Oberkörper bohrt und er zuletzt nur noch leise „Danke“ flüstert.

„Da wart ihr wohl nicht schnell genug, was?“, Jack's beinahe gruselig wirkendes Lachen erfüllt den Platz. „Genau wie eure kleine Feuerstifterin aus 9.“ Wieder überkommt ihn ein Lachen und sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, die man als Grinsen interpretieren könnte.

Während mich Jack nicht aus den Augen lässt, sehe ich wie Ava zu Boden blickt und scheinbar erst jetzt den Jungen entdeckt hat.
„Jack... Sieh mal. Luke...“

Er hieß Luke, denke ich. Er hieß Luke. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen.

Irritiert blickt Jack zu Boden und augenblicklich lösen sich seine harten Gesichtszüge auf und er starrt einfach mit leicht offenem Mund auf ihn herunter.

„Du hat ihn getötet?!“, ungläubig geht er auf Luke zu und sieht sich den Leichnam genauer an. Er dreht seinen leblosen Kopf grob zu sich hinüber. „Luke?“

Mir wird ganz unwohl, wie der Karriero Luke völlig empathielos anpackt. Sieht Jack denn nicht das blutige Messer in seiner Hand.

Diese ganze Situation wirkt so surreal. Wieder stehe ich vor den Karrieros, bereit an Daniel ausgeliefert zu werden. Und zwar diesmal wirklich endgültig. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn Katie und ich dem Ganzen noch einmal entfliehen können.

„Lass gut sein Jack, er ist tot“, meint Ava von der Seite, die scheinbar nicht so lange brauchte, um ihre Vermutung zu bestätigen.

„Sie hat ihn tatsächlich umgebracht... Ich fasse es nicht...“, ungläubig bringt er den Satz hervor. Ob er mit sich selbst spricht oder doch mit Ava? „Daniel hatte recht“

Befremdet sehe ich zu Katie, die völlig verängstigt hinter mir steht.
Daniel? Was hat er von mir erzählt? War nicht gerade er derjenige, der seine eigene Distriktpartnerin tötete?

Mit einem Mal erhebt Jack seine Stimme und dreht sich mit blitzenden Augen um.

„Verdammt, wir hätten ihn noch gebraucht! Erst bringt ihr einen von uns um, dann zündet ihr unser Lager an und jetzt das!“, ohne hinzusehen zeigt er zu Luke. „Das ist mir jetzt zu blöd, kommt mit. Das Spektakel mit Daniel will ich sehen.“
Mit erhobenem Speer geht er auf mich zu und macht Anstalten nach meinem Arm zu greifen.

Tribute von Panem - Die Spiele gehen weiter (FF) (PAUSIERT) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt