KAPITEL 1 | DEAN

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ICH WERDE NIE wieder Alkohol trinken.

Das ist nicht das erste Mal, das ich mir vornehme, mit dem Trinken aufzuhören, auf keinen Fall. Seit Monaten kenne ich nichts anderes als den roten Becher, in dem sich diese gelblich flüssige Substanz befindet, die ich immer noch nicht so ganz deuten kann. Muss ich aber auch gar nicht. Alles, was ich tun muss, ist, das Zeug hinunterzuschlucken und auf die Wirkung des Alkohols zu warten. Das dauert meistens nicht allzu lange, weil ich vor meinen ganzen Problemen so gut wie gar nichts getrunken habe und deshalb nicht viel ─ eigentlich gar nichts ─ vertrage.

Sobald mich dieser leichte Anflug von Schwindel überkommt und ich im nächsten Moment das Gefühl habe, dass meine Probleme eigentlich gar keine Probleme mehr sind, könnte ich die ganze Welt umarmen. Die Musik, die laut durch den Bass dröhnt und den Boden zum Vibrieren bringt, ist plötzlich angenehm und die vielen Menschen auf dieser College-Party stören mich auf einmal gar nicht mehr. Lässig lehne ich mich gegen einen Spielautomaten, der hier herumsteht, und sehe mich flüchtig um.

Und dann sehe ich sie.

Ich weiß nicht, ob es die Wirkung des Alkohols ist, die mich so aufwirbelt, aber ich glaube, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie zuvor ein so hübsches Mädchen gesehen habe. Wobei das Wort ›hübsch‹ sie nicht einmal annähernd treffend beschreibt.

Sie ist relativ groß und hat lange Beine, die in einer engen Jeans stecken. Das T-Shirt, das sie trägt, versteckt wenig von ihrer Oberweite, auch wenn es keinen tiefen Ausschnitt besitzt oder sonst irgendwie besonders aussieht. Es ist einfach orange, aber nicht dieses schreckliche, grelle Orange, das keinem Menschen auf dieser Welt steht, sondern eher sonnenuntergangsorange.

Sonnenuntergangsorange? Wie betrunken bin ich bitte?

Plötzlich heben sich ihre Mundwinkel, dann schüttelt sie lachend den Kopf, wobei ihre langen, hellblonden Locken mit wippen. Ich hätte vieles dafür gegeben, um ihr Lachen mit eigenen Ohren zu hören, aber die Musik im Raum ist viel zu laut, um irgendetwas verstehen zu können. Ich versuche ihre Lippen zu lesen, als sie etwas zu ihren Freunden sagt, aber sie steht zu weit weg, als dass ich etwas erkennen kann. Sie wirkt auf mich makellos und perfekt ─ dummerweise genau das Gegenteil von mir. Meine allerletzte übrig gebliebene Gehirnzelle trichtert mir ein, dass ich jetzt auf keinen Fall zu ihr hingehen sollte, denn ich bezweifle, dass sie sich mit einem völlig betrunkenen Kerl, der kaum stehen kann, unterhalten möchte.

Ihr Blick wandert durch den Raum und bleibt an mir hängen, fast so, als hätte sie gespürt, dass ich sie anstarre. Ich schaue nicht weg, sondern lehne mich leicht zurück, bis mein Rücken an der Wand lehnt und ich weniger so aussehe, als könnte ich kaum noch stehen und würde jeden Moment umkippen. Ihre Augen folgen meiner Bewegung, dann lächelt sie, so als wüsste sie ganz genau, was ich versuche zu verbergen.

Jetzt wo sie mich ansieht, kommt sie mir noch unwirklicher vor. Wie sie wohl heißt? Vielleicht sollte ich doch einfach auf sie zugehen und sie fragen, denn sie wirkt nicht abgeneigt von ─

Die Musik ist plötzlich weg und Stille und Unbehagen breitet sich im Raum aus. Außer den schweren Atemzügen von denjenigen, die bis gerade eben noch getanzt haben, und ein paar erschrockene Laute ist nichts zu hören.

»DEAN WALKER!«

Eine tiefe männliche Stimme ertönt auf einmal, aber sie scheint noch etwas weiter weg von mir zu sein. Trotzdem bin ich sofort in Alarmbereitschaft und der Alkohol, dessen Wirkung bis gerade eben noch so angenehm gewesen ist, verursacht in mir plötzlich puren Schwindel, während Übelkeit in mir aufsteigt.

»IST DEAN WALKER HIER?«

Ein weiterer Kerl, der mit seiner Taschenlampe jedes einzelne Gesicht im Raum beleuchtet, schreit jetzt durch die Gegend. Er steht nicht mehr weit von mir entfernt, aber ich bin wie gelähmt und wage es kaum mich zu bewegen.

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt