KAPITEL 35 | DEAN

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SIE HABEN MIR eine Art Band um meinen Fußknöchel gelegt. Es schlägt Alarm, sobald ich die University of New Haven verlassen sollte und sorgt dafür, dass ich nicht noch einmal auf den Gedanken komme, acht Monate lang zu fliehen. Als hätte ich das noch vor. Ich kann es kaum erwarten, mein Studium fortzusetzen und Zeit mit Sydney zu verbringen.

Niemand hat mir gesagt, wie lange ich dieses Band tragen muss, aber das ist im Moment auch nebensächlich. Fakt ist, dass ich nach Hause gehen kann und das ist mehr, als ich erwartet habe. Wer weiß, vielleicht lande ich nächste Woche wieder in diesem Gerichtssaal, vielleicht wird mein Fall aber auch für abgeschlossen erklärt und ich bin endgültig entlassen von diesem Ding an meinem Fuß. Ich versuche nicht zu viel darüber nachzudenken, was noch passieren könnte, sondern was gleich passieren wird. Darunter stelle ich mir Sydney und mich vor ─ am besten allein und ungestört. Ich habe aber auch nichts gegen Gesellschaft von Peter und Bronwyn, wenn ich ehrlich bin. Hauptsache ich bin dort, wo ich hingehöre.

Ich verlasse das Gebäude, in dem die Gerichtsverhandlung stattgefunden hat, und sehe schon von Weitem, wie Sydney auf mich zu rennt. Ihre hellblonden Locken flattern im Wind und die Jacke, die sie sich über ihr Kleid angezogen hat, rutscht ihr fast über die Schultern. Ihr Grinsen ist breit und echt und ich kann nicht anders, als ein tiefes Lachen auszustoßen. Seit der Gerichtsverhandlung, die vor zehn Minuten stattgefunden hat, habe ich kein einziges Mal gelächelt, vielleicht, weil ich es nicht richtig realisieren konnte, aber jetzt lasse ich endlich los und breite die Arme aus. Sydney umklammert mich so fest, als hätte sie Angst, dass ich jeden Moment wieder aus ihren Armen gerissen werden könnte, aber das wird nicht passieren. Jedenfalls nicht so schnell.

»Hey«, murmelt sie seufzend in mein Jackett.

Ich grinse. »Hey.«

Bronwyn und Peter kommen auf uns zu und können ihr Lächeln kaum verbergen. »Beeilt euch, wir haben nämlich eine Überraschung für dich, Dee.«

»Eine Überraschung?«, frage ich misstrauisch. »Ich hoffe für euch, sie findet im Wohnheim statt, weil ich das nämlich nicht verlassen darf.« Ich schiebe meine Hose ein wenig hoch und zeige meinen Freunden den seltsamen Reifen um meinen Fuß. »Das Ding hält mich dort fest.«

»Es könnte ruhig ein wenig hübscher aussehen«, meint Bronwyn, während sie das graue Teil beäugt. »Vielleicht kann ich es irgendwie verschönern.«

Peter lächelt sie von der Seite nachdenklich an.

»Du hast Glück«, Sydney wippt aufgeregt auf und ab, »denn die Überraschung findet ganz zufällig in Bronwyns und meiner Wohnung statt.«

Die Autofahrt bis zum Wohnheim dauert ein bisschen, aber ich beschwere mich nicht. Sydney und ich sitzen hinten in Peters Jeep, während er und Bronwyn vorne laut Musik hören und dazu singen und tanzen. Sydney hält mich fest und vergräbt ihr Gesicht in meinen Haaren, während ich sie überall berühre, wo es mir möglich ist. Wir reden nicht, weil nichts gesagt werden muss. Sie weiß, dass meine Zeit in dieser Zelle nicht schön war und ich weiß, dass es ihr auch nicht gut ging, jedenfalls sehe ich das an ihren müden Augen. Sie wirkt gedankenverloren, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es diesmal nichts mit mir zu tun hat.

»Was ist los?«, frage ich.

Sie hebt seufzend den Kopf. »Meine Eltern und mein Bruder haben sich wieder vertragen.«

»Ehrlich?« Überrascht hebe ich den Kopf. »Aber das ist doch gut, oder?«

»Es ist toll, ja.« Sie streicht mir über die Wange und wird plötzlich rot. »Ist es falsch von mir, dass ich es noch besser finde, dass du wieder hier bist?«

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt