KAPITEL 10 | SYDNEY

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UNRUHIG LAUFE ICH mehrere Minuten im Wohnzimmer auf und ab, bis es mir gelingt, mich auf das Sofa fallen zu lassen und tief durchzuatmen.

Dass ich mir Sorgen um Dean mache, zeugt davon, dass er sich bereits in dieser kurzen Zeit auf irgendeine merkwürdige Art und Weise ein wenig in mein Herz geschlichen hat und das ist schlecht. Falsch. Grundsätzlich einfach völlig bescheuert und naiv von mir.

Außerdem würde er mit Sicherheit nicht zu mir kommen, wenn er kein potenzieller Krimineller auf der Flucht wäre, sondern sich irgendein Mädchen suchen, das in seiner Liga spielt.

Und da sind sie wieder, meine altbekannten Komplexe. Allein wenn ich Dean ansehe, überkommt mich jedes Mal der Gedanke, dass er aus irgendeinem Modemagazin gesprungen ist. Dass er mich Curly nennt, weil ich so gut wie immer verknotete Locken habe, sorgt auch nicht wirklich dafür, dass ich in seiner Nähe ─ oder überhaupt ─ vor Selbstbewusstsein nur so strotzen kann.

Außerdem ist er eingebildet oder vielleicht tut er auch nur so. Menschen überspielen ihre Probleme oft mit Arroganz oder vielen Themenwechseln und beides trifft auf Dean zu. Es kommt mir so vor, als würde er verstecken wollen, wie schlecht es ihm in dieser schweren Zeit eigentlich geht, aber das wird nicht dazu führen, dass er sich dadurch besser fühlen wird.

Eher wird es schlimmer und das weiß ich aus eigener Erfahrung.

»Sydney, ich kenne diesen Gesichtsausdruck und du denkst zu viel nach.« Bronwyn lässt sich neben mir auf dem Sofa nieder und sieht mich prüfend an. »Erzähl mir lieber, was alles so in deinem Kopf herumspukt. Sagen das die Psychologen nicht auch? Nein, die haben andere Sätze, wie zum Beispiel Du kannst mir alles erzählen, was du willst oder Nichts, was du sagst, verlässt diesen Raum. Wenn du von deinen Patienten irgendwann erwartest, dass sie sich dir öffnen, musst du das auch können.«

Ich kann es aber nicht.

Seufzend puste ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ziehe dann die Knie an. »Ich wünschte einfach, Dean müsste das nicht durchmachen.«

»Ich weiß nicht so ganz, was ich von all dem halten soll.« Bronwyn macht plötzlich einen niedergeschlagenen Eindruck, während sie ebenfalls die Knie anzieht. »Es hat sich gerade einfach nicht so angefühlt, als wäre Dean böse, verstehst du? Ich war völlig verheult wegen Hunter und er hat mich angesehen, als hätte er mich trösten wollen. Voll verrückt.«

»Warte mal, was? Wieso hast du wegen Hunter geweint?«

»Es hat sich herausgestellt, dass er nicht wirklich an mir interessiert ist, sondern nur gehört hat, dass Dean in unserer Wohnung aufgetaucht ist. Also hat er mich nur ausgefragt, bis es mir gereicht hat und ich gegangen bin.«

Fassungslos sehe ich sie an. »Arschloch.«

»Das kannst du laut sagen.«

Bronwyn tut mir leid, weil sie in den vier Monaten, in denen ich sie nun schon kenne, nur grauenvolle Dates gehabt hat. Das bringt mich dann dazu gar nicht erst irgendwelche Verabredungen zu vereinbaren, weil bei ihr ständig etwas schiefzugehen scheint. Wenn ich es mir recht überlege, bemüht sie sich aber wenigstens, während ich nach der Beziehung mit Kolin so gut wie gar nichts mehr mit Jungs am Hut hatte.

Ich frage mich, wo Dean jetzt gerade steckt und ob er allein ist, denn das sollte er gerade nicht sein. Mich überkommt das starke Bedürfnis ihn zu suchen, aber wo soll ich da anfangen? Er könnte überall sein.

Und wahrscheinlich hat er nicht einmal Lust Gesellschaft zu haben, vor allem nicht meine. Er wirkt wie jemand, der sich nicht so schnell öffnet, also warum sollte er sich jemandem öffnen, den er kaum kennt? Andererseits sagt Bronwyn immer, dass ich ziemlich gut darin bin sie auf andere Gedanken zu bringen. Bei meinem Geplapper glaube ich ihr das sogar, trotzdem kann ich ─

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt