»DU BIST WIRKLICH hier«, ist das Nächste, das ich flüstere, obwohl Sydney immer noch kein Wort verstehen kann. Sie sitzt kerzengerade auf ihrem Stuhl hinter der dicken Glastrennwand und ich meine, Tränen in ihren Augen glitzern zu sehen, als sie mich ebenfalls entdeckt. Ihre Haare sind zu einem lockeren Zopf gebunden und sie trägt farbenfrohe Klamotten, die so gar nicht zu dem Grau der Wände passen. Ihre kaugummirosa Lippen bilden ein kleines Lächeln, als sie nach dem Telefon greift und mich auffordernd ansieht.
Der Typ, der mit mir hergekommen ist, hält jetzt Abstand zu mir, aber er hat scheinbar nicht vor, den Raum zu verlassen. Ich werde mich nicht beschweren. Aufgeregt setze ich mich hin und greife ebenfalls nach dem Hörer und dann ... Stille. Keiner von uns weiß, was er sagen soll oder was den Umständen entsprechend angebracht ist. Am liebsten würde ich lachen. Schließlich war das hier immer mein Worst-Case-Szenario und Sydney hat auch noch das Glück, es mit mir erleben zu dürfen.
Plötzlich fällt ihr Blick auf meine Hände und sie erstarrt. »Warum zitterst du?«
Irritiert hebe ich die Handflächen und tatsächlich bewegen sie sich wie von selbst. Ich weiß genau, warum, trotzdem hebe ich gespielt ahnungslos die Schultern. »Ich ... ähm ... ich habe Gewichte gestemmt.«
»Dean.« Mein Name aus ihrem Mund ist in diesem Moment eine einzige Drohung. »Deine Hände zittern immer, wenn du jemanden schlägst.«
»Was?« Ich ziehe das Wort übertrieben in die Länge und schüttle heftig mit dem Kopf. »Seit wann prügle ich mich denn?«
»Hör auf mit dem Mist. Was ist passiert, bevor du gekommen bist?«
»Okay, vielleicht habe ich mich mit ein paar Kerlen angelegt, aber sie haben angefangen.« Ich klinge wirklich wie ein zehnjähriges kleines Kind, aber was soll's. »Und dann kam Xander, dem ich nach allem, was er Hollyn angetan hat, quasi eine verpassen musste.«
Sie atmet auf und scheint Schlimmeres erwartet zu haben. Dann passiert etwas, das ich nicht erwartet habe: Sie lacht. Hell und leise und ihre Augen füllen sich dabei sogar ein bisschen mit Lachtränen, die ich ihr am liebsten von den rosigen Wangen gewischt hätte. Gott, sie hat mir so gefehlt. Diese drei Tage waren ohne sie kaum auszuhalten.
»Ich hab dich vermisst«, sagt sie doch tatsächlich, als sie sich wieder beruhigt hat. »Sehr vermisst. So sehr, dass ich die letzten Nächte in deinem Bett geschlafen habe, was du eigentlich nie hättest erfahren sollen.«
Ich muss grinsen. »Ich hätte es gerochen.«
»Was?«, fragt sie ungläubig und lacht wieder. »Dean, du bist doch kein schnüffelnder Hund!«
»Nein, aber du hast trotzdem einen besonderen Geruch.« Ich kann nicht fassen, dass wir hier sitzen und über Gerüche reden, wenn die Situation, in der wir uns befinden, doch eigentlich so ernst ist. Trotzdem liebe ich Sydneys und meine Gespräche, auch wenn sie oft mit Unsinn, meinen Sprüchen und Diskussionen gefüllt sind.
Lächelnd lehnt sie sich etwas nach vorne. »Ach ja? Wie rieche ich denn?«
»Wie die Sonne«, antworte ich, bevor ich mich davon abhalten kann. Ich bin wirklich ein hoffnungsloser Romantiker, wenn es darauf ankommt. Ich spüre, wie ich rot werde, als ich mich räuspere. »Na ja, so stelle ich mir eben vor, wie die Sonne riecht.«
Zu meiner Überraschung grinst sie in sich hinein.
Dann wird uns plötzlich der Ernst der Lage bewusst und wir blicken uns traurig an. Wir sagen nichts, aber das müssen wir auch nicht, denn immerhin gibt es nicht viel zu den Umständen, in denen wir uns befinden, zu sagen, außer dass wir uns beide wünschen, ohne eine Glastrennwand miteinander reden zu können.
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Dean Walker | ✓
Romance»Flirtest du etwa gerade mit mir?« »Sydney, ich flirte mit dir, seit wir uns kennen, aber danke, dass du es endlich bemerkt hast.« Dean Walker ist ein Mörder, so heißt es. Er wird seit Monaten von der Polizei und einer Möchtegern-Bande ― die sogenan...