OBWOHL SYDNEY AN meiner Seite ist, als wir die Einfahrt meines alten Zuhauses überqueren, bin ich nervöser, als ich es eigentlich sein sollte. Immerhin bin ich nicht auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung, nein, ich bin auf dem Weg zu meinen Eltern. Alice und Richard Avens müssten meiner Meinung nach Zuhause sein, denn ihr Auto steht in der Einfahrt und ist schief geparkt. Dad parkt meistens schief ein, wenn sie sich während der Fahrt streiten und er dann keinen Nerv mehr hat, das Auto gerade abzustellen.
Sydney greift ermutigend nach meiner Hand, als wir die wenigen Stufen bis zur Haustür erklimmen. Währenddessen atme ich tief durch und lege mir meine Worte für heute zurecht, die ich Mom und Dad an den Kopf werfen will.
Ich habe eine Menge zu sagen, auch wenn ich mir bei den meisten Dingen nicht sicher bin, ob ich sie wirklich aussprechen werde. Mom und Dad sind sowieso nicht wirklich bei guter Laune, das höre ich bereits an ihren lauten, streitsüchtigen Stimmen.
»Wenn du mir nur einmal zuhören würdest, dann wüsstest du, was ich vorhin im Bezug zu Dean gesagt habe, Alice!«, ertönt es aus dem Haus, als ich gerade die Klingel betätigen wollte.
Irgendetwas kracht zu Boden. »Und wenn Dean dir nur halb so wichtig wäre, wie du sagst, dann hättest du dir gemerkt, dass er längst wieder in New Haven ist!« Das war definitiv meine Mom.
»Der Fall kann unmöglich für abgeschlossen erklärt worden sein«, donnert mein Dad. »Kolin hat ausdrücklich gesagt, dass ─«
»Kolin sagt gar nichts mehr, weil er in New York ist«, ruft meine Mom. »Und das ist auch gut so.«
Sydney schnalzt neben mir mit der Zunge. »Vielleicht sollten wir später noch einmal vorbeischauen?«
Später würden sie immer noch streiten, deshalb schüttle ich den Kopf, drücke die Schultern durch und klingle. Ich höre, wie wieder irgendetwas herunterfällt, dann stampft irgendjemand zur Tür und reißt sie wütend auf.
Zu sagen, dass meine Mom fertig aussieht, wäre noch untertrieben. Ihr dunkles Haar fällt ihr strähnig über die Schultern und sie macht ein wenig den Eindruck, als wäre sie erst aus dem Bett gefallen. Falls sie gerade eben vor Wut noch Bäume ausreißen konnte, so verpufft sie plötzlich und wird durch Freude ausgewechselt. Etwa meinetwegen? Schwer vorstellbar, nach allem was passiert ist, aber dennoch nicht unmöglich.
Sie schließt mich sofort in die Arme und ich lege mit geschlossenen Augen mein Kinn auf ihrem Kopf ab, weil sie so klein ist. Wir haben uns so lange nicht mehr umarmt, dass es unangenehm sein sollte, aber tatsächlich habe ich diese Umarmung von ihr gerade gebraucht. Sie hat mir gefehlt, das wird mir plötzlich bewusst. Aber so sehr ich sie auch vermisst habe, ich bin immer noch enttäuscht von ihr.
Bestimmt schiebe ich sie von mir weg, lächle aber dennoch ein wenig. »Hey, Mom.«
»Dean, ich ...« Sie fängt an zu weinen und holt sich schnell ein Taschentuch aus ihrer weiten Jogginghose heraus, um sich die Tränen unter den Augen abzutupfen. Danach fällt ihr Blick auf Sydney und sie hebt überrascht die Augenbrauen. »Du ... du warst auch bei der Gerichtsverhandlung anwesend, nicht wahr? Du heißt Sydney, oder?«
Sie nickt lächelnd und streckt freundlich die Hand aus. »Freut mich Sie kennenzulernen, Mrs Avens.«
»Nur Alice.« Mom schüttelt ihre Hand und wendet sich dann mit großen Augen mir zu. Ich weiß genau, was in ihrem Kopf vor sich geht. Dass Sydney wohl sehr besonders sein muss, wenn ich sie mit Nachhause bringe. Und da hat sie gar nicht mal so unrecht. »Kommt doch rein! Ihr seid bestimmt lange gefahren. Habt ihr beide Hunger?«
Hektisch sucht sie nach Hausschuhen für uns, aber ich lege beruhigend meine Hand auf ihre Schulter. »Mom, wir sind nicht hier, um mit euch zu Abend zu essen. Ich muss mit dir und Dad reden.«
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Dean Walker | ✓
Romance»Flirtest du etwa gerade mit mir?« »Sydney, ich flirte mit dir, seit wir uns kennen, aber danke, dass du es endlich bemerkt hast.« Dean Walker ist ein Mörder, so heißt es. Er wird seit Monaten von der Polizei und einer Möchtegern-Bande ― die sogenan...