10. Kapitel

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Jennifer sass mit gesenktem Kopf im Klassenzimmer an ihrem Pult und las ein Buch. Ausser ihr waren noch Samira und Miriam im Zimmer, die Schokolade assen und darüber philosophierten, ob Frau Fischer heute morgen wohl so schlecht gelaunt gewesen war, weil sie etwas mit Herrn Schmidt am laufen hatte. Ausserdem war Elias da, der musikhörend am Boden lag und schlief.
„Sie war offensichtlich wütend auf ihn. Wetten, die beiden hatten eine heisse Nacht zusammen und er hat sich danach nie mehr gemeldet", schätzte Samira.
„Ich weiss nicht, Frau Fischer ist viel zu seriös um mit einem Kollegen in die Kiste zu springen", verteidigte Miriam ihre Lehrerin, während sie sich noch ein Stück Schokolade abbrach.
„Vielleicht, aber Tatsache ist sie eine Frau und er ein Mann", antwortete Samira schlicht.
Miriam lachte:" Was ist das denn bitte für eine Erklärung?"
„Eine ziemlich gute, wenn du mich fragst", Samira grinste.
Emily und Julian kamen ins Zimmer. Sie setzten sich hinter Jenny und unterhielten sich rege über irgend einen Triathlon den sie gemeinsam bestreiten wollten. Jenny seufzte als sie Emily's Lachen hörte.
Manchmal war das Leben wirklich unfair. Emily war einfach perfekt. Sie war eine dünne, sportliche, blauäugige Schönheit, mit einem Lächeln das die Jungs zum schmelzen brachte. Sogar ihr Charakter war einfach bloss wunderbar. Sie war nett und selbstlos, sodass man sie noch nicht mal hassen konnte.
Jenny selbst war dagegen eine pummliges, unbeliebtes Mädchen mit einem rundlichen Gesicht.
Da kam Tarek herein. Er sah überhaupt nicht gut aus. Sein Gesicht war ganz blass. Gespielt lässig lehnte sich an den Türrahmen, doch er schien erschöpft zu sein.
„Jemand von euch Aspirin da?", fragte er.
„Ich hab Ibuprofen", meinte Samira.
„Kann ich was davon haben?", Tarek schlurfte auf sie zu.
Samira und Miriam wechselten einen Blick. Dann kramte Samira ihr Ibuprofen hervor:" Klar, hier."
Tarek griff erst daneben als er versuchte das Schmerzmittel zu nehmen. Er bemerkte seinen Fehler, griff sich das Ibuprofen und zog rasch seine Hand zurück.
„Ist alles okay mit dir, Tarek?", fragte Emily durch den Raum.
Tarek richtete sich auf:" Ja natürlich! Wieso auch nicht?"
„Du siehst nicht gut aus", meinte Emily ehrlich.
Tarek sah sie grimmig an:" Kümmere du dich um deinen eigenen Kram, Prinzesschen."
„Was ist dein Problem, Tarek?", fragte Julian ruhig.
Jenny sank noch tiefer in ihren Stuhl und versuchte sich möglichst unsichtbar zu machen. Wenn Tarek wütend war konnte er einem echt Angst machen. Sie wollte auf keinen Fall zu seiner Zielscheibe werden.
Doch bevor Tarek sich weiter aufregen konnte kamen Florian und Rico ins Zimmer.
„Hab ich das richtig gehört, dass Herr Schmidt heute morgen nicht anwesend war?", flötete Florian.
„Nein, er war nicht da", antwortete Miriam.
„Die Fischer war darüber nicht gerade begeistert", ergänzte Samira.
„Das ist ziemlich untertrieben. Sie war nämlich richtig stinkig", meldete sich Elias, der offenbar doch nicht geschlafen hatte und jetzt seine Ohrstöpsel abnahm um sich am Gespräch zu beteiligen.
„Das ist wirklich interessant", Florian legte grinsend den Arm auf Tarek's Schulter. Dieser schüttelte ihn genervt ab und begab sich zu einem Pult ganz hinten im Raum.
„Tarek, hier nimm!", Julian warf ihm seine Wasserflasche zu damit er seine Tabletten runterspülen konnte.
„Das ist sogar äusserst aufschlussreich wenn man bedenkt, dass Rico und ich heute seinen Hund einsam und verletzt im Wald gefunden haben", Florian sah aufmerksam in die Runde, wie um sicherzustellen dass ihm auch alle zuhörten.
„Habt ihr echt?", fragte Samira ungläubig.
„Seid ihr euch sicher, dass es der Hund vom Schmidt war?", hakte Elias nach.
„Ja, wir waren mit ihm beim Tierarzt und die habe uns das mitgeteilt", antwortete Rico der sich hinter Florian an den Lehrerschreibtisch lehnte.
„Geht es dem Hund gut?", fragte Emily.
Florian und Rico bejahten.
Miriam schlug die Hand vor den Mund:" Aber das würde ja bedeuten..."
„Ganz recht, dass Matthias Schmidt nicht einfach nur aus Versehen den Stundenplan vertauscht hat. Sondern, dass ihm höchstwahrscheinlich etwas zugestossen ist", liess Florian die Bombe platzen.
„Du meinst also er hatte beim spazieren einen Herzinfarkt, oder so", riet Elias.
„Das könnte natürlich sein, aber es könnte genau so gut sein, dass ein Killer sein Unwesen in unserem kleinen Städtchen treibt", Florian grinste als er seine abwegige Theorie präsentierte.
Elias lachte.
Miriam und Samira sahen sich an und rollte mit den Augen.
„Das ist Blödsinn, Flo", meinte Julian.
„Find ich auch", stimmte ihm Rico zu.
Florian warf ihm einen Blick zu:" Hey, du hast doch den verletzten Hund gesehen?"
„Ja, aber seine Verletzungen können die unterschiedlichsten Ursachen haben", Rico zuckte mit den Schultern.
„Genau, er kann vom Gewitter überrascht worden sein, oder sich im Wald verlaufen haben", überlegte Miriam.
„Das Gewitter hat aber erst später angefangen", meinte Julian.
„Und man kann sich auf dem Weg um den See unmöglich verlaufen", ergänzte Rico.
„Seht ihr, er wurde doch ermordet", Florian grinste triumphierend.
„Flo, darüber macht man keine Witze. Vielleicht ist ihm tatsächlich etwas schlimmes passiert", wies ihn Emily zurecht.
„Was macht ihr euch überhaupt so viele Gedanken, um das Schwein? Ist doch völlig egal, wenn der verreckt", meldete sich Tarek gehässig.
Einige der anderen seufzten, ob dieser Bemerkungen. Doch bevor jemand Tarek in die Schranken weisen konnte, betrat ihr Mathelehrer das Zimmer.
Das Gespräch war somit beendet.
Jenny richtete sich auf. Es war eine sehr lebhafte Unterhaltung gewesen, die ihre Klassenkameraden da geführt hatten. Jennifer fragte sich, ob vielleicht tatsächlich etwas dran war.

Richard war auf dem Weg ins Dorf gewesen, doch als er am Parkplatz am See vorbeigefahren war, hatten dort lauter Autos gestanden, die ihm das Blut in den Adern gefrieren liessen.
Hatten sie seine Leiche etwa schon gefunden?
Aufgeregt war er auf den Parkplatz gefahren und hatte neben einem Polizeiauto parkiert. Die Ambulanz war ebenfalls anwesend.
Mit laut klopfendem Herzen war er ausgestiegen und hatte auf die groteske Szenerie gestarrt. Sie beförderten gerade eine Trage in den Krankenwagen. Darauf lag ein mit einem Tuch abgedeckter Körper.
Richard schluckte. Nervös streifte er seine schwitzigen Hände an seiner Hose ab und fingerte am obersten Knopf seines Hemds herum. Der Regen tropfte kalt auf seine Haut. Er befahl sich ruhig zu bleiben. Die Polizei konnte nicht wissen, dass er ihn ermordet hatte. Er musste sich jetzt unbedingt beherrschen.
„Entschuldigen Sie, aber was ist hier los?"fragte er einen jungen Polizisten der an ihm vorbeilief.
Dieser drehte sich genervt zu ihm um:" Tut mir leid, aber das darf ich ihnen nicht sagen. Ich muss Sie bitten, das Gelände zu verlassen."
Er liess Richard stehen.
Richard stand verzweifelt da, bis sich eine junge Frau aus der Menge löste. Sie schien aufgebracht.
Zögernd ging er ihr nach zu einem Fahrrad, das etwas abseits geparkt war.
Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und war dabei das Fahrradschloss zu lösen.
„Verzeihung, können Sie mir vielleicht sagen, was hier los ist?", fragte er vorsichtig.
„Oh nein, nicht schon wieder. Ich bin seit Stunden hier und beantworte all ihre Fragen. Ich habe ihren Kollegen alles gesagt und jetzt werde ich gehen, verstanden?",
„Tut mir leid ich wollte nur...", er hob abwehrend die Hände.
„Was wollten sie nur..."sie drehte sich ärgerlich zu ihm um und stutze, als sie seine Kleidung sah.
Er seinerseits erlangte erstmals einen Blick in ihre dunkelblauen Augen und war sofort gefesselt.
„Sie sind ja gar kein Cop", meinte sie verwundert.
„Nein, deshalb wollte ich ja auch fragen, was hier los ist", es ihm fiel ihm schwer, die Augen von ihrem hübschen Gesicht zu lösen. Sein Blick glitt hinab zu ihrem eng anliegenden marineblauen Top, das ihr nass auf der Haut klebte. Schnell sah er woanders hin.
„Sie haben eine Leiche aus dem See gefischt. Mehr kann ich ihnen auch nicht sagen", sie löste den Ständer ihres Rads und rollte es von ihm weg.
Da ertönte eine Stimme hinter ihnen:" Fräulein Fischer, Sie können doch bei diesem Regen nicht mit dem Fahrrad in der Gegend herumfahren. Das ist viel zu gefährlich, jetzt wo wir wissen, dass ein Mörder hier sein Unwesen treibt."
Bei diesen Worten gefror Richard das Blut in den Adern. Stocksteif stand er da.
Ein älterer, bierbauchiger Polizeikommissar kam auf sie zugeschritten.
Richard konnte sehen, wie die Frau neben ihm mit den Augen rollte.
„Das ist mir klar, Herr König. Aber ich muss um 16:00 beim Tierarzt sein, um dort einen Hund abzuholen. Also bitte entschuldigen sie mich."
Sie wollte erneut abhauen, doch der Polizeikommissar stellte sich ihr in den Weg:" Und was ist mit ihrem Bekannten? Kann der sie nicht fahren?"
Sie sah entsetzt zu ihm hin:" Nein, ich kenne diesen Mann überhaupt nicht."
Die Augen des Polizeikommissars glitten zu Richard:" Dann muss ich sie fragen, was sie hier...", seine Augen weiteten sich bei seinem Anblick.
„Richard Bergmann", verkündete er überrascht und ein Lächeln breitete sich auf seinem faltigen Gesicht aus.
Auch Richard begriff nun wen er da vor sich hatte:"Hallo, Onkel Josef", meinte er.
Josef König kam zu ihm hin und umarmte ihn überschwänglich:" Meine Güte, ich hab dich nicht mehr gesehen seit..."
„Ich weiss", fiel Richard ihm hastig ins Wort. Er wollte nicht, dass sein Onkel es aussprach. Sein Pulsschlag beruhigte sich langsam wieder. Die Begegnung mit seinem Onkel erinnerte ihn wieder daran, wer er war.
„Ich wusste nicht, dass du vorhattest zurück zu kommen", sein Onkel fuhr sich nachdenklich über seinen stoppeligen Dreitagebart.
„Ich bin seit Sonntag hier. Es war eine relativ spontane Entscheidung."
Ein lautes räuspern erinnerte sie daran, dass sie nicht allein waren.
Sein Onkel drehte sich zu der hübschen Frau um und sah sie triumphierend an:" Sehen Sie, Fräulein Fischer. Damit hat sich ihr Problem also auch geklärt. Richard wird sie fahren. Du bist doch mit dem Auto da, oder?", fragte sein Onkel ihn, ohne den säuerlichen Gesichtsausdruck der jungen Frau wahrzunehmen.
„Ähm...ja bin ich", antwortete er überrumpelt.
„Perfekt! Glauben Sie mir, Fräulein Fischer bei meinem Neffen sind sie in guten Händen. Ich danke Ihnen schon mal für ihre Hilfe in diesem Fall", er schüttelte der völlig entnervten Frau Fischer die Hände.
Dann wandte er sich an Richard: Tut mir leid, aber ich habe jetzt gerade keine Zeit zum plaudern. Du kommst doch sonntags zum Kaffee vorbei? Susanne und ich würden uns sehr freuen", sein Onkel lächelte.
Richard nickte. Er wusste, dass sein Onkel ein Nein ohnehin nicht akzeptieren würde.
Als sein Onkel schliesslich gegangen war, drehte er sich zu Frau Fischer um, die nach wie vor nicht begeistert davon schien mit ihm mitfahren zu müssen.
„Tut mir leid, er kann sehr...bestimmend sein. Ich bin Richard Bergmann", er reichte ihr seine Hand.
„Laura Fischer", sie schüttelte wiederwillig seine Hand und seufzte:" Also welches ist Ihr Auto?"

The devil is a dreamer * Episode 2: Vermisst*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt