19. Kapitel

16 1 0
                                    

Rico zog sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf und vergrub die Hände in den Taschen.
Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen über den Horizont zu ihm hin. Er stütze sich müde auf sein Lenkrad. Es war einfach noch viel zu früh.
Der Himmel war wolkenlos und man konnte bereits erahnen, dass heute wiedermal ein heisser Tag werden würde.
Rico war froh darüber. Regen hätte das Ganze nur noch gruseliger wirken lassen, als es ohnehin schon war.
Florian trat aus seinem Haus, eine Mütze in der einen und sein Skateboard in der anderen Hand. Rocky folgte ihm
„Alles klar, es kann losgehen", Florian kniete sich nieder und hielt Rocky die Mütze unter die Nase.
„Was soll das denn?", Rico die Augenbrauen hoch.
„Ich hab mir die Mütze vor Ewigkeiten mal von Jojo ausgeliehen und sie nie zurückgegeben. Das kommt uns jetzt zugute. Rocky wird Jojo's Fährte aufnehmen und uns direkt zu ihm führen. Nicht wahr, Kumpel?", er streichelte seinen Hund liebevoll.
Rocky sah sein Herrchen aufmerksam an.
Rico sah skeptisch auf die Mütze:" Aber wenn du sie schon so lang hast, ist Jonas Geruch doch schon längstens verschwunden."
„Glaub mir, Hunde können Gerüche auch nach drei Jahren noch wahrnehmen."
Florian hielt Rocky weiterhin die Mütze hin und forderte ihn munter auf, nach Jona zu suchen.
„Riechst du das, Rocky? Das ist Jojo. Du musst uns zu ihm führen, verstanden? Also, los Rocky! Such Jojo!"
Der Border Collie lief tatsächlich los nachdem er mehrmals an der Mütze geschnuppert hatte.
Florian stieg sogleich auf sein Skateboard und folgte seinem Hund.
„Na komm schon, Rico!"
Rico seufzte und radelte ergeben hinter den beiden her.

„Ich hätte mich niemals auf das hier einlassen dürfen", seufzte Samira, während sie mühsam einen Stein aus ihren ausgelatschten Turnschuhen entfernte:" Warum suchen wir überhaupt hier im Wald? Wir sind Kilometer weit entfernt von der Stelle, an der wir Jona das letzte mal gesehen haben."
„Ja, aber der Mörder hat ihn sicher entführt und vom Dorf weggebracht. Jetzt versteckt er ihn bestimmt in irgendeiner Waldhütte", entgegnete Miriam überzeugt. Sie schien sich alles ganz genau überlegt zu haben.
Samira kämpfte um ihr Gleichgewicht und stütze sich an Miriam's brauner Stute Bella ab.
Das grosse Pferd jedoch schien davon nicht begeistert und trat einen Schritt zur Seite.
Samira hüpfte fluchend auf einem Fuss und schaffte es schliesslich, ihren Schuh wieder anzuziehen.
Es versetzte ihr einen Stich, als sie auf ihre geliebten Sneaker sah. Der Waldboden, der vom gestrigen Regen noch feucht war hatte seine Spuren hinterlassen.
Als sie endlich wieder auf zwei Beinen stand, meinte sie:" Schöne Theorie, Miri. Aber blöderweise gibt es hier in der Gegend ziemlich viel Wald und somit auch viele Waldhütten. Jona könnte also überall sein, falls er überhaupt noch lebt."
Miriam ignorierte ihre letzte Bemerkung gekonnt. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass Jona womöglich längst tot war.
Samira fand es irgendwie süss, dass Miriam sich so sehr dafür einsetzte Jona zu finden. Ihre Freundin konnte ziemlich stur sein, wenn ihr etwas am Herzen lag. Aber das sich Miriam für Jona's verschwinden verantwortlich fühlte, war kompletter Unsinn.
Miriam schnalzte mit der Zunge um Bella, die sie an einem Strick mitführte anzuzeigen, dass es weiterging.
Ihre Freundin war weitaus besser für ihre Unternehmung gerüstet. Sie trug ihre robusten Reitstiefel und ihre Reithose und Samira konnte unmöglich ignorieren, wie gut ihr Po darin aussah. Sie selbst fühlte sich mit ihrem T-Shirt und ihrer Jogginghose ziemlich fehl am Platz.
„Aber irgendwo müssen wir schliesslich anfangen, Sam"?, meinte Miriam und sah sie mit ihren wunderschönen grünen Augen entschuldigend an.
Samira seufzt ergeben:" Jaja, schon klar. Warum bist du eigentlich so scharf drauf, dein Leben für unseren blassen Jona aufs Spiel zu setzten? Stehst du neuerdings auf Geister?", neckte Samira ihre Freundin, um sich selbst von Miriam's Augen abzulenken.
Miriam schüttelte entschieden den Kopf:" Ich fühl mich einfach schuldig. Ich hätte ihn beim Fest nicht einfach so abweisen dürfen. Jona ist so ein netter, schüchterner Typ und er hatte in letzter Zeit so viel Pech. Hast du gehört, dass seine Mutter in einer psychiatrischen Klinik war?"
Samira zuckte ungerührt mit den Schultern:" Ja, hab ich. Aber das du Jona einen Korb gegeben hast, hat absolut nichts mit seinem verschwinden zu tun. Ausserdem ist er nicht der einzige dem es momentan scheisse geht? Hast du Tarek gestern gesehen? Ich bin ja schon einiges von ihm gewohnt, aber ich glaube jetzt gerade stürzt er völlig ab."
„Ja, ich glaube das Mädchen, dass er am Sonntag mitgeschleppt hat tut ihm nicht gut. Die sah aus als würde sie Vergnügen daran finden ihm das Herz zu brechen. Armer Tarek."
Samira schnaubte entrüstet:" Von wegen, er ist selbst Schuld wenn er sich auf so eine Schlange einlässt. Die hat sich doch überhaupt nicht für ihn interessiert und sich bloss bei Melanie eingeschmeichelt. Und unsere liebe Dramaqueen ist auch noch voll darauf reingefallen", Samira verdrehte die Augen.
Über die Sorgen ihrer Klassenkameraden zu reden waren eine willkommene Ablenkung von der Tatsache, dass sie gerade im Morgengrauen nach einem vermissten Jungen und seinem Entführer suchten. Samira diente es ausserdem als Möglichkeit sich von ihrem eigenen unüberwindbaren Problem abzulenken.
„Melanie scheint total durchzudrehen seit Chiara weg ist. Sie benimmt sich Emily gegenüber echt unausstehlich", Miriam schüttelte verständnislos den Kopf.
Samira grinste. Miriam war zwar eine sehr emphatische Person, doch mit Chiara und Melanie hatte sie sich noch nie besonders gut verstanden.
Samira ihrerseits machte nie ein Geheimnis draus, wenn sie jemanden nicht mochte.
„Weil sie eifersüchtig ist natürlich. Jetzt, da die Königin das Spielfeld verlassen hat und Melanie nach so vielen Jahren endlich die Möglichkeit hat an Julian heranzukommen, will sie sich diese Chance auf keinen Fall von Emily kaputt machen lassen. Dabei wissen wir doch alle für wen sich Julian entscheidet", Samira grinste.
Diese ungeschriebene Wahrheit war in ihrer Klasse schon vor langer Zeit beredet worden. Es war einfach offensichtlich, dass Emily und Julian zusammen gehörten.
„Obwohl Julian momentan auch etwas neben sich zu stehen scheint. Er hat auf der Feier fast kein Wort mit uns allen geredet."
„Ausser mit Emily", war Samira ein.
Miriam zupfte einen Strohhalm aus Bella's Mähne:"Das stimmt aber...", sie kam nicht weiter denn Bella blieb urplötzlich stehen.
Skeptisch sah Samira zu, wie ihre Freundin versuchte das riesige Ungetüm zum weiterlaufen zu bewegen:" Warum musste das Pferd nochmal mit?"
„Damit wir schnellstmöglich flüchten können, falls uns ein gemeingefährlicher Mörder angreift", antwortete Miriam sie versuchte Bella gut zuzureden.
Samira stutze:"Du weisst, dass ich niemals auf dieses Vieh aufsteigen würde."
Miriam zuckte abgelenkte mit den Schultern:" Entweder das, oder du bleibst zurück."
„Wie freundlich", Samira lächelte. Sie wartete weiterhin ab, dass Miriam zu ihrer Stute durchdrang, da hörte sie plötzlich ein Geräusche.
„Miri, sei mal leise. Hörst du das?",
Miriam hielt inne und lauschte ebenfalls.
Das Geräusch war nun ganz eindeutig zu hören. Es war das Dröhnen von einem Motor und kam rasant näher.
Bella wurde unruhig.
„Ganz ruhig, Bella", versuchte Miriam ihre Stute zu beruhigen.
Doch in diesem Moment heulte der Motor ohrenbetäubend auf.
Bella machte einen Satz und riss sich los. Panisch rannte die braune Stute davon.
„Bella!", rief Miriam ihr hinterher.
Hinter ihnen dröhnte erneut das Geräusch des Motors. Samira drehte sich um und sah einen Motorradfahrer, der rasend schnell auf sie zufuhr.
„Miri, pass auf!"
Gerade noch rechtzeitig zog sie ihre beste Freundin zur Seite.
Ohne abzubremsen fuhr der Motorradfahrer an ihnen vorbei. Er trug einen Helm weshalb sie sein Gesicht nicht sehen konnte, doch sie hätte schwören können, dass der Typ unter der Maske grinste.
„Du verdammtes Arschloch! Ich zeig dich an!", brüllte sie ihm wutentbrannt hinterher.
Sie wandte sich ihrer Freundin zu:" Ist alles in Ordnung mit dir?"
Miriam nickte entsetzt. Sie dachte nur an eins:" Wir müssen Bella finden, Sam."

The devil is a dreamer * Episode 2: Vermisst*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt