18. Kapitel

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Richard verfluchte das Buch. Er hasste es aus ganzem Herzen. Doch noch mehr hasste er sich selbst, als er jetzt mitten in der Nacht durch die Strassen des Dorfes fuhr. Er verabscheute es schon wieder dem Willen des Buches zu unterliegen und verachtete sich für das, was er im Begriff war zu tun.
Er hatte bereits geschlafen, als das Buch erneut seine kalten, gierigen Finger nach ihm ausgestreckt hatte.
Und so sehr er auch gehofft hatte, dass die Begegnung mit Laura etwas an seinem Zustand geändert hätte, er hatte sich nicht wehren können.
Laura hatte ihn wieder daran erinnert, wie es war menschlich zu sein. Für eine kurze Zeit war er einfach nur Richard, der nette Kerl gewesen und nicht Richard, der wahnsinnige Mörder.
Die Uhr zeigte 05.30 als er vor einem gepflegten Einfamilienhaus hielt. Er sah hin zum Buch, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Mit klopfendem Herzen stieg er schliesslich aus.
In dem grossen Garten der das Haus umgab und der zum grössten Teil von einer hohen Thujahecke und einem Gitterzaun abgeschirmt war, standen ein grosses Trampolin, ein aufblasbarer Swimmingpool und zwei Fussballtore. Richard schluckte. Hier wohnten offenbar Kinder.
Richard blieb sogleich stehen. Er konnte das nicht einfach geschehen lassen. Er musste etwas dagegen tun können.
Da öffnete sich das Gartentor und ein junger Mann trat auf den Bürgersteig. Er trug einen Rucksack und einen kleinen Rollkoffer bei sich.
Richard's Beine liefen selbständig los, während er verzweifelt versuchte sich selbst zu stoppen.
Der junge Mann ging zu einem kleinen Auto hin, das in der Einfahrt parkte und kramte in seinen Taschen nach den Schlüsseln.
Richard's Hand tastete in seiner Jacke nach der Spritze mit dem Betäubungsmittel. Das Buch brauchte ein weiteres Opfer.
Richard's Körper versteifte sich, als er sich gegen den Willen des Buches sträubte. Ein unglaublicher Schmerz durchzuckte ihn. Er schnappte nach Luft. Krampfhaft krümmte er sich zusammen und klammerte sich haltlos an den Briefkasten auf dem in leicht geschwungenen Buchstaben der Familienname Weber stand.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?", der junge Mann war besorgt an ihn heran getreten.
„Nicht...", Richard streckte atemlos die Hand aus, um ihn daran zu hindern noch näher zu kommen.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?", er blieb stehen und sah auf ihn hinab.
Richard hustete. Aus den Augenwinkeln erspähte er den Schlüsselbund des jungen Mannes an dem auch dessen Studentenausweis hing.
Richard seufzte. Der Junge war Student. Er war noch jung und hatte sein gesamtes Leben vor sich.
Richard erinnerte sich an seine eigene Studentenzeit. All die durchzechten Nächte in denen man entweder gefeiert oder gelernt hatte, meistens auch beides.
Er dachte an den Mann der er gewesen war, bevor er das Buch in die Finger bekommen hatte.
Eine tiefgreifend Erkenntnis befiel ihn. Er würde diesen jungen Mann heute nicht umbringen. Er war keine Marionette. Er hatte noch sein Gewissen.
Sein Atem beruhigte sich und die Krämpfe verflüchtigten sich.
„Nein, danke. Es geht schon wieder."
Erschöpft richtete Richard sich auf und begegnete bernsteinfarbenen Augen, die ihn kritisch musterten.
„Sind Sie sicher?", er schien nicht überzeugt.
Richard nickte bestimmt:" Ja, mit mir ist alles in Ordnung", um abzulenken zeigte er auf den Schlüsselbund:" Sie studieren?"
Er sah überrascht hinab auf seine Hand:" Oh ja, im zweiten Semester an der Uni in Freiburg."
„Ach, tatsächlich? Ich habe damals auch in Freiburg studiert. Was studieren Sie denn?", Richard lächelte.
„Physik. Ich wollte gerade losfahren, als ich Ihren Zusammenbruch bemerkt habe. Heute fangen die Lesungen wieder an, ", er zeigte zu seinem Auto und fragte dann freundlich:" Soll ich Sie vielleicht irgendwo absetzten?"
„Oh nein, schon gut. Gehen Sie ruhig, ich möchte Sie nicht aufhalten. Danke, dass Sie so aufmerksam waren."
Der junge Mann nickte und ging zurück zu seinem Auto. Bevor er Einstieg warf er Richard nochmal einen Blick zu.
Richard seinerseits drehte sich um und lief zu seinem Auto. Erschöpft liess er sich auf seinen Sitz fallen. Er fühlte sich, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Das Buch lag nach wie vor unschuldig und leblos neben ihm.
In einem Anflug von Wut hob Richard es hoch und schleuderte es schwungvoll auf den Rücksitz.

The devil is a dreamer * Episode 2: Vermisst*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt