16. Kapitel

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Tarek war gerade auf dem Weg zu Jona gewesen, als er die Nachricht von Florian erhalten hatte. Fluchend hatte er anschliessend sein Handy wieder eingesteckt. Die Tatsache, dass Jona plötzlich vermisst wurde hatte seinen Plan für eine Weile bei ihm unterzukommen zunichte gemacht. Niemals würde er jetzt noch zu Jona nach Hause gehen. Barbara Lehmann wäre vermutlich vollkommen am durchdrehen, weil ihr Sohn sehr wahrscheinlich tot in irgend einem Strassengraben lag. Auf dieses Drama konnte Tarek ganz gut verzichten.
Also hatte er sich eine Zigarette angezündet und war ziellos herumgeschlendert.
Als es schon langsam dunkel wurde, hatte Tarek den Entschluss gefasst zu Gina zu gehen. Gewalttätiger Bruder hin oder her, Tarek brauchte einen Ort zum übernachten. Ausserdem hatte er nichts dagegen Gina wiederzusehen. Dann würde dieser beschissene Tag, doch noch ein gutes Ende nehmen.
Da er nicht wie ein kompletter Vollidiot vor ihrer Tür stehen wollte, kratze er sein letztes Geld zusammen und kaufte in der nächstbesten Tankstelle eine Flasche Wodka. Das würde sie hoffentlich davon überzeugen ihn reinzulassen. Zum Glück, war er diesen Sommer erst achtzehn geworden.
Als er schliesslich bei ihrem Haus ankam, war es bereits dunkel. Tarek hatte gerade in die Einfahrt einbiegen wollen, als er ein unbekanntes Auto dort parken sah, vor dem drei Gestalten standen.
Rasch duckte sich Tarek hinter die Hecke. Wer waren die denn?
Vorsichtig späht Tarek hinter der Hecke hervor. In der Dunkelheit fiel es ihm schwer etwas zu erkennen.
Eine der Gestalten war riesengross und lehnte bequem am Auto. Die andere war ziemlich klein und kickte ungeduldig Steine durch die Gegend. Die dritte Person unterdessen hatte Tarek den Rücken zugedreht. Die Hände lässig in den Taschen vergraben und den Kopf hochnäsig gereckt war sein Blick zum Haus gerichtet.
Die drei begannen sich zu unterhalten. Tarek spitze gespannt die Ohren.
„Ziemlich schicke Bude hat sie sich da ausgesucht", bemerkte der Grosse. Seine Stimme besass einen gelangweilten Unterton und Tarek vermutete, dass das bei ihm immer so war.
„Ja, das Mädchen beweist Geschmack", meinte der andere Junge. Er hatte eine angenehme Stimme, doch Tarek erkannte darin die gleiche Arroganz, wie auch schon in seinem Stand.
„Ich finde es komplett übertrieben. Ein stinknormales Haus hätte es auch getan", meldete sich die kleine Gestalt zu Wort. Es war eindeutig eine Frauenstimme. Sie klang hitzig und liess erahnen, dass diese kleine Person trotz ihrer Grösse über ein gehöriges Temperament verfügte.
„Deine Meinung interessiert hier niemanden, Delia", der Junge klang nun gereizt.
Doch Delia lachte bloss:" Charmant wie immer, Jakob."
„Falsch. Charmant bin ich nur zu gut aussehenden Mädchen. Du gehörst definitiv nicht dazu", entgegnete er kalt.
„Hab ich ein Glück, dass ich von deinen schleimigen Anmachversuchen verschont bleibe", antwortete Delia ungerührt.
Jakob spuckte demonstrativ auf den Boden.
Tarek war verwirrt. Diese drei Personen schienen Gina zu kennen, doch woher? Waren sie Freunde von ihr? Auf ihn machten sie jedenfalls keinen vertrauenserweckenden Eindruck.
„Warum müssen wir eigentlich hier draussen warten? Können wir nicht reingehen?", fragte der Grosse mit seiner schläfrigen Stimme.
„Nein, Jannick will das wir draussen bleiben. Er möchte nicht das Gina erfährt, dass wir hier waren", meinte Delia entschieden.
Jannick, war das etwa Gina's Bruder?
„Der alte Jannick, dieser Spiesser. Seit wann hat er hier eigentlich das sagen?"
„Er ist der älteste von uns, Jakob."
„Ach, deshalb spielt er sich als grossen Bruder auf? Das ist armselig. Ich verstehe sowieso nicht, weshalb er so ein Geheimnis um unsere Anwesenheit machen muss. Gina wäre sicher nicht traurig, wenn sie etwas Hilfe hätte. Sie muss sich ziemlich langweilen in diesem Kaff."
Die Art mit der er das sagte, weckte in Tarek den Verdacht, dass Jakob gewisse Absichten gegenüber Gina hegte.
Er merkte, wie es in ihm zu brodeln begann.
„Vergiss es, Jakob. Er hat Gina diese Aufgabe erteilt. Wir sollen uns da raushalten und das werden wir auch tun", berichtigte Delia.
„Hmm..,"Jakob schien auf einmal abgelenkt. Unvermutet drehte er seinen Kopf zu Tarek herum.
Tarek versteckte sich rasch. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Hatte Jakob ihn etwa gesehen?
Er hörte Schritte die auf ihn zukamen.
„Was machst du da, Mann?", hörte er den Grossen fragen.
„Ich kontrolliere nur rasch etwas...", Jakob's Stimme klang näher als zuvor.
Tarek schluckte.
„Nein, das wirst du nicht", Delia's Stimme schnitt scharf durch die Stille der Nacht:" Jannick hat gesagt, dass wir hier warten sollen. Du bleibst also schön hier."
Tarek wusste nicht, wie es diesem kleinen Mädchen gelungen war den weitaus stärkeren Jakob zurückzuhalten, doch er war ihr dafür überaus dankbar. Er wartete nicht ab, was als nächstes passierte und entfernte sich so schnell er konnte von dem seltsamen Dreiergespann.
Erst einige Strassen weiter hielt er wieder an. Er stütze sich schwer atmend auf seinen Knien ab. Nachdem was er gerade gehört hatte, war er komplett verwirrt.
Offenbar waren diese drei Freunde von Gina's Bruder. Scheinbar war dieser Jannick der Anführer einer ziemlich zwielichtigen Gang.
Was war das bloss für ein Auftrag den Gina ausführen musste? Er fragte sich, ob Gina wohl in Schwierigkeiten steckte und gar von diesen Typen bedroht wurde. Dieser Jakob jedenfalls, schien ein gigantisches Arschloch zu sein.
Tarek's Atem beruhigte sich wieder. Seufzend richtete sich auf. Dies war definitiv nicht sein Tag.
Als er auf seine Uhr sah, war es bereits zwölf Uhr. Tarek legte verzweifelt den Kopf in den Nacken. Wo sollte er denn nun schlafen?
Er bemerkte, dass er die Wodkaflasche immer noch in der Hand hielt. Wenigstens konnte er seine Sorgen im Alkohol ertränken, dachte er als er hastig die Flasche öffnete. Er nahm einige grossen Schlucke und wischte sich dann zufrieden über den Mund.
Die wohlige Wärme des Alkohols füllte seinen Körper aus und plötzlich hatte Tarek einen Geistesblitz.
Sogleich machte er sich auf den Weg.

Das Fabrikgelände lag verlassen da, als Tarek nach einem längeren Fussmarsch endlich dort ankam. Die Wodkaflasche hatte inzwischen einiges an Inhalt eingebüsst.
Er kletterte über den Gitterzaun und stiess anschliessend das Tor auf zur Fabrikhalle auf.
Der alte, zerbeulte Porsche mit dem Gina ihn beinahe überfahren hätte, stand immer noch an Ort und Stelle.
Er hatte sich daran erinnert, dass sie gesagt hatte er könnte ihn haben. Er schlurfte auf den Wagen zu und zog hoffnungsvoll an der Fahrertür. Sie öffnete sich problemlos. Der Schlüssel steckte sogar noch im Zündschloss.
Tarek schaltete das Radio an und liess sich grinsend auf den Rücksitz fallen.
Während er so dalag schweiften seine Gedanken ab. Er dachte an die geheimnisvolle Gina und ihren gewalttätigen Bruder mit seiner Bande, an den vermissten Jona, an seine anderen Klassenkameraden, die jetzt alle glücklich und behütet zuhause in ihren Betten lagen und an seine Familie die ihn so kaltherzig rausgeschmissen hatte.
Hastig trank er noch mehr vom Wodka. Er wusste, dass er das morgen bereuen würde, doch momentan war ihm jedes Mittel recht um nicht an all das Denken zu müssen.

The devil is a dreamer * Episode 2: Vermisst*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt