1. Kapitel

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Emily wachte bereits um sechs Uhr auf. Obwohl sie am Vorabend noch lange gefeiert hatte, bereitete es ihr keine Probleme aufzustehen. Die Vorfreude auf eine Joggingrunde vor der Schule überwog. Ausserdem kam ihr zugute, dass sie gestern keinerlei Alkohol getrunken hatte. Sie hielt ohnehin nichts davon sich zu besaufen.
Rasch zog sie ihre Sportklamotten an und band sich ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz.
Die Luft draussen war schwül und dunkle Wolken breiteten sich über ihrem Dorf aus, während sich Emily aufwärmte.
Anschliessend stellte sie die Musik und ihren Distanzmesser an und joggte los. Auf ihrer liebsten Runde um den See begegnete ihr keine Menschenseele. Emily sog tief die frische Luft ein. Sie liebte das Gefühl morgens, wenn es schien als wäre sie der einzige Mensch auf dieser Welt.
Emily machte sich Gedanken wegen Melanies benehmen gestern. Sie schien wegen etwas wütend auf sie zu sein. Emily hatte ein schlechtes Gewissen. Sie würde sich heute in der Schule nochmal bei ihr entschuldigen und versuchen ihren Fehler wieder gut zu machen.
Bald hatte sie mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht. Gerade als sie von der Asphaltstrasse auf den Waldweg einbog, kam ihr ein anderer Jogger entgegen.
Sie kannte ihn.
„Julian", meinte sie freudig und verlangsamte ihren Schritt.
Julian schien aus seinen Gedanken gerissen, doch er lächelte als er sie erkannte.
„Emily, du bist aber früh unterwegs."
„Ich gehe fast immer vor der Schule joggen. Du wusstest das einfach nicht", meinte sie und blieb neben ihm stehen. Sie brachte kaum nach Luft zu schnappen als sie redete und ihr Puls beruhigte sich schnell wieder.
Julian schien etwas mehr Mühe zu haben seinen Atem zu kontrollieren. Trotzdem wirkte er, als hätte er noch einiges an Energie. Sie erinnerte sich daran, dass auch er gestern nichts getrunken hatte.
Bewundernd sah Julian sie an:" Das wusste ich wirklich nicht."
Emily verwunderte das nicht. Obwohl sie sie schon lange befreundet waren, hatten sie sich eigentlich nie alleine getroffen. Julian war mit seiner Freundin Chiara aufgekreuzt und Emily mit ihrem Freund Christian. Jetzt, da die beiden Geschwister nach Amerika gezogen waren redeten Julian und sie erstmals alleine miteinander.
„Ich wusste auch nicht, dass du seit neustem joggen gehst. Seit wann das?", sie tänzelte hin und her um warm zu bleiben.
„Sollen wir weiter gehen? Sonst wird dir noch kalt. Ich wollte sowieso umdrehen, weil ich noch nicht fit genug bin die gesamte Strecke zu schaffen", meinte er fürsorglich.
Emily nickte und gemeinsam verfielen sie in Laufschritt.
Julian setzte erneut an, um ihre Frage zu beantworten:" Na ja, ich hab in den Ferien eine Möglichkeit gesucht um mich zu beschäftigen und da hab ich angefangen allerlei Sport zu machen", er schlug die Augen nieder.
Also das hatte er die ganzen Ferien über getrieben. Er hatte nach einem Weg gesucht um sich von den Sorgen um seine ältere Schwester, die nach einem Autounfall im Koma lag abzulenken.
Emily sah ihn mitleidig an. Das Ganze musste schlimm für ihn sein. Sie kannte Julian als stillen, sensiblen Jungen, dem seine Familie äusserst wichtig war.
„Was hast du denn sonst noch so für Sport gemacht?", fragte sie um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Julian zuckte mit den Schultern:" Alles mögliche. Ich war schwimmen, mountainbiken, klettern und natürlich joggen. Allerdings bin ich bei weitem nicht so gut konditioniert wie du."
Emily lächelte, ob dieses Kompliments:" Das kann man trainieren. Glaub mir, ich hab anfangs kaum atmen können."
Julian lachte:" Ja, das hab ich vor. Aber ich muss mich etwas beeilen, weil ich eigentlich vorhatte im Herbst an einem Triathlon teilzunehmen."
„Wirklich?"
Er nickte.
„Das ist toll! Ich finds super, dass du dir das zutraust."
„Ja, wahrscheinlich überschätze ich total meine Fähigkeiten. Ich mein das mit dem joggen und dem Rad fahren krieg ich ja noch hin, aber mit dem schwimmen bin ich mir nicht wirklich sicher. Ich wollte einfach etwas sinnvolles machen, dass mich...ablenkt", meinte er leise.
„Natürlich schaffst du das. Du hast ja noch genug Zeit um dich vorzubereiten. Ich wollte auch schon immer mal an an einem Triathlon teilnehmen aber ich hab mich nie getraut. Im Gegenteil zu dir, habe ich beim Rad fahren meine Zweifel. Damit habe ich überhaupt keine Erfahrung", sie lächelte begeistert.
Schwimmen und joggen waren schon immer ihre Leidenschaft gewesen. Sie war lange Zeit im örtlichen Schwimmclub dabei gewesen und hatte noch einige Medaillen von damals zuhause.
Julian schien von ihrer guten Laune angesteckt:" Warum machst du jetzt nicht mit? Wir könnten uns zusammen vorbereiten. Du hilfst mir beim schwimmen und ich dir mit dem Fahrrad."
Emily lächelte. Sie wusste, dass Julian ein passionierter Mountainbiker war. Chiara hatte früher oft damit angegeben, wie talentiert ihr Freund darin war.
Sie war zwar etwas aufgeregt bei dem Gedanken wahrhaftig an einem Triathlon teilzunehmen, doch es würde bestimmt Spass machen mit Julian zu trainieren.
„Ja, gern. Aber beschwer dich nicht wenn dir ab jetzt jeden Abend alle Muskeln weh tun", meinte sie grinsend.
Julian lachte. Er sah sie mit seinen blauen Augen an. Zum ersten Mal seit langem waren darin keine sorgenvolle Schatten auszumachen. Plötzlich hielt er an und streckte ihr die Hand hin:" Dann haben wir einen Deal?", fragte er.
Emily ergriff enthusiastisch seine Hand:" Ja, haben wir."
„Also machst du mich zum neuen Champion?" er sah sie verschmitzt an.
Emily lachte: Genau, und wir fangen auch gleich damit an", ohne Vorwarnung sprintete sie davon.
„Hey, warte! Das ist nicht fair", rief er lachend, bevor er ihr nachhetzte.

The devil is a dreamer * Episode 2: Vermisst*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt