Teil 14

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Die Sonne war hinter den Baumwipfeln verschwunden und die Dunkelheit war über das Land eingebrochen. Ich hatte wieder meine Lampe dabei und meine Tasche. Mit Manuel zusammen verließen wir Still und Heimlich das Schloss und liefen Richtung Wiese. Die Wiese, wo Manuel gelandet war. "Willst du denn sofort los?", fragte ich ihn. "Nein. Ich werde erstmal zu Kräften kommen. Diese ganzen Verwandlungen sind Kräfteraubend und der Flug ist auch nicht ohne. Schließlich brauche ich Energie, um mich zu tarnen." Manuel zwinkerte. Mein Blick ging empor. Es war eine sternklare Nacht. "Sind die nicht wunderschön?", fragte ich und deutete nach oben. "Was?" Nun folgte Manuel meinem Blick. "Die Sterne, der Mond." Ich lächelte. Wie oft ich in schlaflosen Nächten auf meinem Balkon stand und die Sterne angesehen hatte. Wie oft ich mir angesehen hatte, wie der Mond abnahm und zunahm. Wie er mal eine Sichel war und mal eine große helle Kugel am schwarzen Himmel. "Magst du dieses Ding am Nachthimmel?", fragte Manuel mich mit leuchtenden Augen. Das Licht der Lampe warf Schatten auf sein Gesicht, welche seine Wangen-und Kieferknochen nur noch deutlicher abzeichneten. "Er fasziniert mich. Warum das so ist, weiß ich nicht." Wir blieben stehen. Wir waren an der Wiese angekommen. Manuels blick wurde sanft. "Der Mond gibt vielen Wesen Kraft. Bei uns Drachen ist es die Sonne." Ich stutzte. "Es gibt noch mehr Fabelwesen, außer Drachen?" "Ich mag Einhörner noch ganz gerne. Wunderschöne Tiere. So anmutige, elegante Wesen. Sie sind wie die Könige der Nacht. Schneeweiß, leuchtend und Wertvoll. Wer so ein atemberaubendes Geschöpft einmal sieht, der hat Glück für den Rest seines Lebens." Manuel seufzte in seine Erklärung hinein. "Mein einer Freund hat als Jüngling ein Einhorn gesehen. Er hatte das Glück nicht geschnappt zu werden. Alle in unserem Alter sind Sklaven von deinem Vater. Außer er und ich. Er hatte Glück, ich war Klug." Ich schwieg. Das es all diese Wesen aus Mutters Geschichten gab. Drachen, Einhörner und vieles mehr. "Ich werde bald fliegen." Manuel sah mich durchdringlich an. Doch dann lächelte er und ließ sich ins hohe Gras sinken. Manuel legte sich sogar auf den Rücken und klopfte schließlich neben sich. Ich tat ihm den gefallen und legte mich neben ihm ins Gras.
Wir schwiegen uns an und sahen in den Himmel empor. Gerade schob sich eine Wolke vor den Mond. Ich drehte meinen Kopf zu Manuel, der leicht lächelnd nach oben sah.
Ich verstand nicht, wieso er sich nicht verwandelte und los flog. Wieso er hier blieb und mit mir in den Himmel sah. Genoss er den Augenblick genauso wie ich? Genoss er meine Anwesenheit wie ich seine? Genoss er es, bei mir zu sein so wie es mich glücklich machte, diesen Moment mit ihm zu teilen? War er auch gerade so ausgeglichen und zufrieden, wie ich es war?

Diese Magie verdrehte mir den Kopf. Doch was war das für eine Magie? Oder war es gar keine, sondern Glück? Ein starkes Gefühl von Glück, immer wenn ich bei Manuel war oder an ihn dachte. Seit er zusammengekauert, nackt und verletzlich auf dem Waldboden saß. Seit diesem Augenblick verspürte ich diese Magie.

"Du schaust mich an." Manuel hatte bemerkt, dass ich ihn beobachtete. Er hatte seinen Kopf auch zu mir gedreht und schaute fragend. "Hat sich ein Drache schon mal in einen Menschen verliebt?", fragte ich ihn dann. Es war eine leise, schüchterne Frage.
Manuel schob die Augenbrauen zusammen, drehte seinen Kopf wieder weg und sah in die Sterne hinein. "Das ist vielleicht eine Handvoll in den Jahrhunderten unserer Existenz passiert. Es ist sehr selten, kommt aber vor. Es ist schließlich sehr selten, dass wir Drachen unsere Gestalt aufgeben und zu eures Gleichen werden. Wir Drachen fühlen zu anderen Drachen nichts, was man mit Liebe vergleichen kann. Wir gehen unseren Trieben nach aber gehen keine Beziehung ein, so wie ihr. Und wenn ein Drache sich doch in einen Menschen verliebt, dann unsterblich und unwiderruflich. Wir lieben so sehr, dass wir für den Bund der Liebe unsere Drachenkraft vollständig aufgeben. Dann werden wir zum Menschen. Unsere Kräfte vergehen Stück für Stück mehr. Wir werden zu normalen Menschen." Seine Stimme wurde immer leiser, als er mir das erzählte. Und als ich seiner Stimme lauschte, merkte ich wie sich in meiner Brust ein Schmerz ausbreitete. Ich konnte mir nicht erklären, wieso er aufkam. Aber so schnell wie er kam, verschwand er auch wieder. Denn Manuel sprang auf und fing an sich auszuziehen. "Ich werde nun fliegen. Du wirst mich nicht sehen, wenn ich über dich hinweg schwebe."
Auch ich stand wieder auf und nahm Manuel die Kleider ab, um sie in meiner Tasche zu verstauen. "Okay", antwortete ich leicht überfordert auf Manuels plötzliche Hektik. Ohne noch etwas zu sagen, stieg der schwarze Nebel auf und kurze Zeit später sahen mich zwei große rote Augen durch die Dunkelheit an.
"Pass auf dich auf", flüsterte ich mit zitternder Stimme.

Manuel senkte seinen Kopf und sein Maul mit den langen Zähnen kam immer näher. Mein Herz überschlug sich. Misstrauen machte sich breit und eine Angst überkam mich. Doch Manuel drückte seine Nüstern gegen meine Stirn, hielt kurz inne und schnaufte anschließend. Ich spürte wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg, mein inneres warm wurde und die Magie, die ich spürte, stärker wurde als je zuvor.

Und dann schwang er sich ruckartig in die Lüfte und ließ mich verwirrt zurück.

Der Prinz der Drachen /KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt