,,Berwald, hier hin."
Lovise zog ihn an den Ketten, die noch um seine Hände gebunden waren. Ohne eine Wahl, ging er hinter ihr her. Seinen Blick hatte er auf den Boden gesenkt und seine Gedanken machten ihn verrückt. Sollte er nicht frei sein ? Was hatte sein Bruder nur vor ? Außer die Fußtritte war nichts zu hören. Berwald und Lovise hatten nie viel zu bereden, dennoch hatten sie gewissen Respekt voreinander. Und doch konnte er sie nicht fragen ,wohin er gebracht wird. Vielleicht sollte er es wagen, bevor die Ungewissheit ihn zerreißt.
,,Lovise, wohin bringst du mich ?" ,fragte er vorsichtig.
Zuerst dachte er, dass sie ihn nicht gehört hat, da sie ohne ein Kommentar weiterging. Ohne auch nur eine Wimper zu zucken, ging sie ihren Weg weiter. Er schaute sie von hinten an. Aber sie zeigte immer noch keine Reaktion. Erst als sie kurz vor einer Tür standen, drehte sie sich in seine Richtung. Berwald schaute überrascht hinauf und wartete auf ihre Antwort. Sein Magen verkrampfte sich vor Angst.
,,Ich... wünschte ich könnte dir sagen, was er denkt. Wirklich, Berwald. Ich habe alles gegeben, um ihn umzustimmen, aber ich weiß nicht ob es gereicht hat. Diese Entscheidung liegt zum Schluss bei ihm."
Sie trat näher und nahm seine Hände in ihre, so gut sie konnte. Berwald merkte, wie sie unter ihrer Haut zitterte und als er in ihre Augen blickte, sah er nur Angst. Er versuchte so gut wie möglich ihre Hand zu halten und sie zu beruhigen, während er ihr aufmunternde Sachen zuflüsterte. Es half nicht viel, dennoch gab er sein bestes, um die Last auf ihrer Schulter zu erleichtern.
,,Ich danke dir, Lovise. Für alles was du getan hast. Ich danke dir aus tiefstem Herzen."
,,Berwald, es war nicht genug. Ich hätte noch mehr tun können."
,,Nein, du hast alles gegeben. Das sehe ich dir an. Ich weiß nicht, was du getan hast, aber ich denke, dass es viel mehr war, als du denkst."
Verweigernd schüttelte sie ihren Kopf. Berwald stupste mit seiner Nase leicht gegen ihre Stirn, um ihr damit zu sagen, dass sie weitergehen müssen. Erst nach einer Weile hatte sie den Mut ,sich von ihm abzuwenden und gegen die Tür zu klopfen. Es kam keine Antwort, deswegen öffnete Lovise die Tür. Sie schaute zurück zu ihrem Schwager, der ihr sicher zunickte und sie traten zusammen hinein. Er, gezogen an der Kette, die Lovise in ihrer Hand hielt. Lovise trat vor und zeigte Berwald den Weg ins Innere. Dort angekommen betrachtete Berwald das Innere. Das Haus hatte sich kein Stück verändert. Es hatte immer noch den Geruch von Feuer, der im inneren ,als Kamin, angezündet wurde. Sie gingen immer weiter, bis sie Stimmen hörten.
,,Wah ! Hier kommt das Monster !", schrie ein Mann und es folgte das Lachen eines Kindes. Lovise ging in den hinteren Teil des Hauses und zog die Gardinen zur Seite. Dort sah sie ihren Mann, der mit ihrem gemeinsamen Sohn spielte. Emil lag mit dem Rücken auf dem Teppich und lachte laut, als Mathias ihn auf den Bauch pustete.
,,Lass mich frei, far ! Du kitzelst mich !"
,,Hah ! Das ist deine Strafe dafür, dass du mich nicht besiegst hast."
Er beugte sich nun vor und setzte ihm unzählige Küsse aufs Gesicht. Das Kind lachte vor Freude und sie bemerkten nicht, dass sie beobachtet werden. Erst als Lovise mit den Ketten fuchtelte und man die schweren, alten und rostigen Ketten hörte, wendete Mathias seine Aufmerksamkeit seiner Frau. Er legte noch einen Kuss auf die Wange seines Sohnes, bevor er aufstand.
,,Emil, geh und hilf deiner Mutter die Ziegen zu füttern. Wir können gleich weiterspielen."
Sein Sohn schaute etwas enttäuscht, als er die Stimme seines Vaters hörte. In Sekundenschnelle hatte er diese geändert und sie klang nicht mehr nach Spaß. Der kleinere stand von seinem Platz auf und klammerte sich zuerst an das Bein seines Vaters. Mit großen, enttäuschten Augen schaute er ihn an, aber sein Vater schaute auf den Blutsverräter eines Bruders. Seine Augen wanderten zu seiner Mutter, die in seine Richtung kam. Sie legte die Ketten in die Hand ihres Mannes und flüsterte ihm etwas zu, zu leise um es zu verstehen. Sie erwartete anscheinend eine Antwort, aber Mathias schaute seinen Bruder an. Lovise ging in ihre Knien und hob ihren kleinen Sohn auf, dann gab sie ihren Mann einen Kuss auf die Wange. Dieses Mal schaffte sie es, seine Aufmerksamkeit zu erlangen und er erwiderte den Kuss. Für einen kurzen Moment konnte Berwald schwören, dass er die Worte :,, Überanstreng' dich nicht. Du bist schwanger." gehört hatte, während Mathias sachte eine Hand auf ihren Bauch legte. Sie nickte und trat aus der selben Richtung hinaus, wo sie noch vor ein paar Minuten hergekommen ist. Davor aber gab sie Berwald einen mitleidenden Blick. Berwald wusste nicht, wohin er gucken soll. Er war sich ziemlich sicher, dass Mathias ihn nun hasst.
,,Ich hätte niemals gedacht, dass wir jemals voreinander stehen werden, bror."
Berwald wanderte mit seinen Augen zu Mathias. Er sagte kein Wort. Er wartete darauf, dass Mathias etwas sagt.
,,Wir waren nie Blutsverwandte. Aber das war mir nie wichtig gewesen. Ich bin mit dir groß geworden, habe mit dir gekämpft, bevor wir zum ersten Mal gemeinsam auf das Meer gereist sind. ALSO WIESO JETZT."
Er verkürzte die Leine und zog den größeren nieder auf seine Knien. Ohne sich zu widersetzen, befolgte Berwald dem Befehl.
,,Du wolltest mich verraten, mir meinen Thron rauben. Du hast mich als deinen Feind gesehen, während ich in dir meinen Bruder sah. Ich spürte vom ersten Tag an,dass wir miteinander verbunden sind. Ich habe es in meinen Gedärmen gespürt, dass du mehr für mich bist als mein einfacher Kindheitsfreund. Du und ich gehören zusammen ,wie ein Schwert das Eisen braucht. Aber du ,Berwald."
Er kniete sich zu ihm hinunter. Dann legte er beide Hände um Berwald's Gesicht und krallte seine Fingernägel in das mittlerweile knochige Fleisch.
,,Du hast mir mein Herz gebrochen, Berwald. Du hast mir mein Herz gebrochen."
Jedes Wort kam aus ihm hinaus wie giftiges Gift und er schüttelte den Schädel bedrohlich, als würde er ihn zerbrechen wollen. Trotzdem hatte er keine Tränen in den Augen. Die hatte er schon verbraucht. Berwald wollte, dass Mathias ihn loslässt, aber das wird fürs erste nicht passieren. Er konnte ihn nur anschauen, ohne jegliche Emotionen in den Augen.
,,Ich habe mir überlegt, was ich mit dir machen soll, mein Bruder. Aber nichts davon hat mir gutgetan. Mein Magen verkrampfte sich bei jedem Gedanke. Mir tut es leid, dass es soweit gekommen ist. Das du überhaupt solchen Hass gegen mich hegst ,tut mir entsetzlich leid. Aber jetzt teile ich meinen Entschluss mit dir. Ich werde dir eine letzte Möglichkeit geben, um nach Valhalla zu gelangen. Denn ich möchte dich an der goldenen Tafel sehen, mein Bruder, wenn ich zu alt werde und meine Knochen mich nicht mehr tragen können. Ich werde dir einen Abschied geben, wie es einem Wikinger ,wie dir ,passt. Während Odin in Form eines Adlers auf dich hinunterblickt, zeichne ich dir einen Adler ,aus deinen eigenen Rippen ,auf deinen Rücken."
Mathias stand auf.
Berwald's Atem blieb stehen. Sein Körper war erstarrt. Wieso hatte er Angst ? Er wusste, dass es keinen anderen Ausgang gibt. Er wusste, dass Mathias ihm etwas schreckliches antuen wird. Er wusste, dass er Verrat begehen wollte. Wieso fühlt es sich so an, als wurde er gerade zu Unrecht verurteilt worden ? Aber Mathias war noch nicht fertig. Er setzte einen Fuß nach dem anderen, kniete sich dicht neben Berwald's Ohr und flüsterte, dass er es nie so gewollt hatte.
Berwald wusste nicht, wie lange er auf der Stelle saß. Seine Beine waren mittlerweile eingeschlafen und sein Magen knurrte. Aus dem Haus konnte man schlecht erkennen, wie dunkel es schon geworden ist. Da er aber spürte, dass es kälter geworden ist als am Morgen, war ihm klar, dass es mittlerweile schon Abends geworden ist. Nun hörte er Schritte, die näher kommen schienen. Er schloss seine Augen. Ihm war es gleich, was mit ihm passierte. Er wollte nur noch seine Familie zum letzten Mal sehen. Seine Familie, die später keinen Vater haben wird. Mathias kam zurück. Er hatte nun ein weißes Gewand an, welches er einfach über seine normalen Klamotten übergeworfen hatte. Berwald schaute nicht gerade überrascht, als er die Farbe in Mathias' Gesicht sah. Sie sahen genauso aus, wie es bei dem Ritual angemessen war. Er zog Berwald an der Kettenleine, um ihn auf seine Beine zu bringen. Berwald konnte sich nur schwer auf seinen Beinen halten, aber er merkte sich das nicht an. Er hielt seinen Kopf stolz nach oben und folgte Mathias. Mathias zog ihn an der Leine, sie kamen draußen im Wald an. Wie gewöhnlich waren Fackeln angebracht, um das Ritual bei der Dunkelheit besser zusehen. Mitten auf dem Feld ist eine Holzplattform, um dort das Ritual zu vollziehen. Berwald hielt seinen Kopf nach oben und konnte keine Menschenmenge sehen, wie es gewöhnlich war. Stattdessen waren nur er und Mathias anwesend. Obwohl Mathias ihn verachten sollte und ihn vor der ganzen Stadt auspeitschen sollte, tat er es nicht. Er wollte seinem Bruder einen angemessenen Abschied bereiten. Berwald wusste nicht, womit er dies verdient hatte, aber er war ihm zutiefst dankbar gewesen. Mathias geleitete ihn auf die Plattform und kettete ihn an einen Pfosten an, welches in die Erde angebracht wurde. Er schaute sich um und konnte wie davor niemanden erkennen.
,,Danke." ,murmelte er zwischen seinen zusammengepressten Lippen. Mathias nickte verständlich.
,,Ehrlich gesagt sind hier doch welche, Berwald. Willst du, dass ich sie rufe ?"
Er wusste, wen er meinte.
Er nickte.
Mathias pfiff mit einer Hand und aus dem Gebüsch ertönte ein Rascheln. Berwald hielt seinen Kopf hoch.
,,Tiina..."
Sie wollte zu ihm rennen, aber Lovise hielt sie am Handgelenk zurück. Tiina blickte zurück und Lovise schüttelte ihren hellblonden Kopf. Dann wendete sie ihren Blick zurück zu ihrem Ehemann. Er erwiderte den Blick. Tiina ballte eine Faust mit ihrer rechten Hand, aber ließ es doch sein. Sie legte die Hand auf ihre Brust und ging zurück zu Lovise, die sie in eine Umarmung aufnahm. Berwald fixierte seine Augen nur auf sie. Selbst als Mathias anfing, spürte er kein bisschen davon. Seine blauen Augen blieben bei ihr stecken. Er wollte bis zu der letzten Sekunde nur noch sie ansehen. Ohne Vorwarnung, ging es schon los. Mathias trat einen Schritt zurück und nahm einen etwas größeren Messer, welches bereit auf dem Boden lag. Dann drehte er sich zurück zu Berwald und ließ die Klinge auf seinem Rücken tanzen. Er ließ Berwald die Klinge auf seiner Haut fühlen. Sie war kalt. Mathias führte die Klinge auf seinen Nacken, aber dort stach er nicht zu. Er führte sie sachte hinunter und endete an seinem Rücken. Ohne Vorwarnung, stach er zu. Berwald wollte ein Schrei rauslassen, aber schnell bis er sich auf die Zunge. Sollte er dies tuen, war's das mit Valhalla und einem Leben nach dem Tod. Er spürte, wie sein Blut aus seinem Körper hinausfloss. Die Tropfen waren groß, die einen nach dem anderen seinen Rücken hinunterflossen. Er blieb stark, seine beiden Hände krallten sich an die Pfosten, die parallel zueinander ,und ihm in der Mitte , hingestellt wurden. Es ging weiter. Mathias glitt weiter hinunter. Wie ein Reißverschluss wurde sein Rücken geöffnet. Er spürte, wie es brannte. Er spürte, wie jemand weinte. Aber davon nahm er nichts war, er muss um jeden Preis wachbleiben. Sonst bekommt er keinen Platz in Valhalla. In seine blutenden Wunde tauchte Mathias bis zu seinen Ellenbogen hinein. Er spürte die arbeitenden Organe, die fleißig weitermachten. Er spürte das warme Blut in seinen Fingernägeln. Er tastete sich durch Berwald's Körper, bis er dort angekommen ist, wo er hinwollte. Bei seiner Wirbelsäule griff der Däne nach beiden Rippen. Er versuchte, die Rippen zu brechen, aber dies geling ihm nicht beim ersten Mal. Er versuchte erst die rechte Seite. Er zog an den knirschenden Knochen und brachte sie schließlich dazu, sich von der Wirbelsäule zu entfernen. Das brachte Berwald dazu, eine Hand von dem Pfosten zu lösen und ließ den Arm auf den Boden fallen. Mathias kam ihm sofort zur Stelle und brach das Ritual kurz ab. Er kniete sich hin und wollte sichergehen, ob er es bis zum Schluss schafft. Berwald antwortete nicht darauf. Er spürte, wie die Zeit rennt und bat Mathias stattdessen, ob er ihm helfen kann, seinen Arm zu heben. Ohne seinen Wunsch abzuschlagen, nickte er. Berwald war seinem Bruder dankbar gewesen. Mathias stand auf und ging hinter Berwald, um das Ritual zu beenden. Er machte sich auf dem Weg auf die andere Seite. Hier brauchte er weniger Zeit und in Sekunden waren die Knochen entfernt worden. Jetzt kam der nächste Schritt. Mathias nahm die Rippen heraus und legte die rechte Rippe ,auf die rechte Öffnung ,und die linke Rippe ,auf die linke Öffnungen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und trat zurück. Jetzt gab es nichts mehr, dass er für Berwald tuen konnte. Aus der Öffnung floss das Blut. Mathias schaute kurz in den Himmel. Er hörte die Adler rufen. Doch dies war ihm egal. Gerade jetzt hatte er seinen eigenen Bruder den Tod gebracht. Er trat zur Seite und ging nach vorne. Dann legte er eine Hand unter Berwald's Kinn. Wie erwartet, das Licht der Lebendigkeit war weg.
Er kniete sich hin.
Er nahm Berwald's Kopf und legte ihn behutsam auf seine Schulter.
Er schaute in den Himmel.
,,Mögen die Valkyrien dich abholen, mein Bruder. Jetzt bist du erlöst. Du bist weg ,und alles wird nur noch schlimmer."
Mit einem Kuss auf Berwald's Stirn verabschiedete er sich endgültig von dem Bruder, den er sich selbst ausgesucht hatte.
Mathias stand auf, das weiße war nun rot und Blut tropfte aus seinen Händen.
Er drehte sich um. Lovise war am weinen und Tiina war ihn Ohnmacht gefallen, von der grauenhaften Tat an ihren Ehemann.———————-———————-———————-
Far : Vater