Kapitel 11: Familiengeschichten
"Okay," Laut schallend lachte ich. "Wo sind die Kameras?" Suchend schaute ich mich um und lachte noch immer. Ich bekam kaum Luft. "Na, sag schon!"
Der Mann sah mich ungläubig an und schüttelte langsam den Kopf. "Keine Kameras."
"Ach was. Klar, wo sind die?" Nach und nach beruhigte ich mich, konnte wieder klar sprechen, ohne zu lachen. "Komm schon. Ihr seid aufgeflogen! Ich hab keine Lust mehr, ich will nach Hause! Lasst mich gehen, ich will euer dummes Spiel nicht mitmachen!"
Abermals schüttelte er den Kopf. Dann machte er eine Handbewegung in Richtung Jordayn - sollte er wirklich so heißen - und dieser kam auf mich zu.
"Bleib weg von mir!", fauchte ich - jetzt wütend. Trotzdem stoppte er nicht. Er fasste mich an den Handgelenken und zog mich mit sich. "Wohin -", setzte ich an, aber er unterbrach mich: "Halt den Mund, noch hast du hier gar nichts zu sagen! Und ich bringe dich gerade in die Bildergalerie, dort werde ich dir zeigen, wer du bist." Meine Versuche, mich zu befreien, wurden gefolgt von einem - noch - festeren Griff seinerseits.
Irgendwann kamen wir an, mir kam es wie eine Ewigkeit vor. "Sei einfach leise und versuch nicht allzu sehr, abzuhauen. Du kommst hier nicht mehr raus!" Ja, inzwischen hasste ich ihn wirklich. Trotz dessen nickte ich, innerlich kochte ich. Du kannst mich mal..., dachte ich und folgte ihm durch einen weiteren Gang. Dann betraten wir einen kleinen, mit Fackeln an den Wänden beleuchteten Raum. In der Mitte stand ein Tisch mit einer Karte, wahrscheinlich von der Umgebung. Wir gingen durch eine weitere Tür. Im Gegensatz zu dem Zimmer, wo ich aufgewacht war und der ganze Mist hier angefangen hatte, und dem 'Thronsaal', der ja gar keiner war, wurde hier alles schlicht gehalten, die Türen hatten eine normale Größe und auch die Räume waren nicht so überdimensional. Der Raum, in dem wir uns jetzt befanden, war ebenfalls nicht besonders hell - auch hier waren Fackeln, statt goldenen Kronleuchtern. Hier fühlte ich mich schon etwas sicherer, die vorherigen Räume waren, selbst für meine Verhältnisse, einfach viel zu groß für mich gewesen. Jordayn zog mich weiter, auf noch eine Tür zu. Unter der Tür sah man einen hellen Streifen. Ich machte mich auf einen sehr großen Raum gefasst, wurde aber enttäuscht: Dieser Raum war klein, zwar mit einem Kronleuchter erhellt, der aber mehr grau als silber wirkte. Mehrere Gestalten huschten aus den Ecken, stellten sich in zwei Reihen auf. Und verbeugten sich. Aber es waren ja alle sowieso gut bezahlte Schauspieler, warum auch nicht. Danach verschwanden sie durch eine andere Tür. Ich wurde aprubt aus meinen Gedanken gerissen, Jordayn hatte meine Schultern gepackt und mich geschüttelt. "Hallo? Noch da?" Ich riss mich los, machte aber keine Anstalten, wegzulaufen. Irgendwie war ich total müde und hatte kaum Kondition. "Komm, nicht mehr lange!", sagte er. Lass mich doch einfach gehen!, dachte ich und folgte ihm, nun freiwillig. Wenn ich mitspielte würden sie mich vielleicht früher gehen lassen.
Er hielt an und ich lief in ihn hinein. "Sorry", murmelte ich und war darum bemüht, meine Augen offen zu halten. Nickend drehte er sich um und zeigte dann auf ein Bild. "Ich werde dir jetzt die komplette Geschichte Loyolas erzählen. Und dir dazu Bilder zeigen. Möglicherweise merkst du dann, dass das alles kein Scherz war, und du wirklich hier bleiben musst. Denn in der menschlichen Welt bist du in Gefahr!" Ja, klar doch. Aber ich nickte nur. Einfach cool bleiben.
"Also", begann er. "Das ist Loyola, das Land der Feen und Elfen. Jede Fee hat einen Seelenverwandten, der perfekt zu ihr passt. Und jede Fee hat ihren persönlichen Schutzengel, in der Form eines Tieres. Meiner ist ein Adler. Auf dem Bild siehst du den ersten König von Loyola, der von dem Volk gewählt wurde. Seitdem ist seine Familie die Königsfamilie. Früher war das Land in zwei Hälften gespalten; die Feen, das waren wir, und die Elfen. Sie bekämpften sich auf Leben und Tod, Millionen von Lebewesen starben. Denn wenn eine Fee oder eine Elfe stirbt, verendet auch ihr Seelengefährte und ihr Schutzengel. Folglich war es ein schreckliches Massensterben. Jede Seite hatte einen Anführer, die Elfen Konyatal und die Feen Leily. Der Krieg hörte auf, als bekannt wurde, dass die beiden sich liebten. Sie zusammen verließen den Thron, ein neues Oberhaupt wurde gewählt. Sein Name war Taylino und ab jetzt war es egal, ob man eine Fee oder eine Elfe war. Sie lebten alle friedlich zusammen. Von einem Tag auf den anderen war der Hass aufeinander begraben. Jedoch wusste niemand, warum sie überhaupt einander bekämpft hatten. Seit jahrtausenden hatten sie sich bekriegt, und der Hass auf die andere Seite wurde einem in die Wiege gelegt. Lange Zeit regierte Taylino und seine Kinder folgten ihm auf den Thron. Seine Enkelin war die Großmutter deiner Mutter. Hier auf dem Bild siehst du Taylino, seine Frau und ihre beiden Kinder. Auf dem nächsten seine Kinder mit deren Familien. Hier deren Kinder. Und dort, das ist deine Mutter, im Alter von zehn Jahren." Ich war baff. Sie sah aus wie ich. Konnte das wirklich sein? Aber das war doch alles nur ein Spiel, bestimmt hatten sie einfach ein Kinderfoto von mir eingefügt! Er fuhr einfach fort: "Sie wurde, wie alle, im Alter von sechzehn Jahren gekrönt. In unserem Land bist du mit sechzehn volljährig. Du bist ihre einzige Tochter, einen Sohn hatte sie zwar, aber der verwschwand an seinem sechzehnten Geburtstag, als er den Thron übernehmen sollte. Du wurdest schon als Baby von deinem Vater weggegeben, niemand weiß warum. Deine Mutter starb bei deiner Geburt und dein Vater, da er nur angeheiratet war, durfte den Thron nicht übernehmen. Es kam fast wieder zu einem Krieg, dein Vater wollte unbedingt auf den Thron. Aber mein Vater, dein Onkel, war nun der rechtmäßige Thronerbe und schickte ihn ins Exil. Dort ist er bis heute noch. Aber da du jetzt fünfzehn Jahre alt bist, ist es Zeit, dich auf deine Aufgabe vorzubereiten. Du musst noch viel lernen." Wer hat sich das eigentlich alles ausgedacht? Derjenige muss ja eine blühende Fantasie haben!
Er ging zu einem anderen Bild, es hing außerhalb der Reihe. Und es war scheinbar das letzte. Ich folgte ihm. "Das ist deine Mutter, mit deinem Bruder nach seiner Geburt. Schau nur, wie glücklich sie ist. Er ist halb Fee halb Elf, genau wie du. Dein Vater war ein Elf. Ihr seid die ersten euer Art." Ich schaute genauer auf das Bild. Meine angebliche Mutter sah doch nicht genauso aus wie ich, sie hatte braune Augen. Außerdem sah sie älter aus. Und sie hatte Grübchen. Was soll das jetzt heißen? War die Geschichte etwa doch war? Aber es gab doch keine Feen und sowas! Verwirrt blickte ich wieder zu Jordayn, der sofort weiterredete: "Möchtest du ein Bild von dir sehen? Also, wo du noch in Loyola bist?" Stumm nickte ich nur, ich war gespannt. Er führte mich durch eine Tür in einen abgelegenen Raum, der von nur vier Fackeln beleuchtet wurde. Außer uns beiden befand sich niemand darin. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Jordayn: "Niemand außer Vater darf hier herein. Es ist sozusagen dein Raum, alles was er über dich weiß, ist hier aufgeschrieben." Er deutete an die Wand, wo sich ein Regal mit vielen Büchern befand. Er nahm eines heraus und blätterte darin herum, bis er schließlich fand, was er suchte: Estelle Taranice, geboren am 31. August. Unter dieser Überschrift prangte ein Bild, das ich noch nie gesehen hatte. Darauf war ein kleines Baby, das höchstwahrscheinlich noch ein Säugling war. Es hatte strahlend blaue Augen, die ich sogar auf hundert Meter Entfernung erkennen würde: meine. Ich hatte dieses Bild wirklich noch nie gesehen, in keinem der Fotoalben, die wir zuhause hatten. In keinem einzigen.
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Perfect Two
FantasiAlexis ist zufrieden mit sich und der Welt. Alles läuft so, wie sie möchte und ihr macht das Leben Spaß. Doch durch einen Autounfall verliert sie die Fähigkeit zu sprechen. Nachts und später auch tagsüber sieht sie seltsame Wesen. Nur sie kann sie s...