Kapitel 14: Schutzengel
Ich dachte in keinster Weise über diesen Satz nach, ließ ihn einfach über mich ergehen. "Warum haben Feen und Elfen Schutzengel?"
"Weil vor langer Zeit die Menschen herausgefunden haben, dass es unsere Art existiert. Daraufhin wurde jeder Fee und jeder Elfe bzw. jedem Elf ein ganz persönlicher Schutzengel zugeteilt. Sie sind dazu da, ihre Schützlinge sicher durch das Leben zu führen und sie sorgen dafür, dass dir kein Leid geschieht. Denn wenn doch - im Falle des Todes - stirbt auch der Schutzengel, oder im minder schweren Fall, zum Beispiel einer Verletzung, spürt der Schutzengel alles genauso intensiv wie sein Schützling."
"Und wie wird jemandem ein Schutzengel zugeteilt? Ist das Zufall oder steckt da irgendein Sinn hinter?" Obwohl ich nicht sicher war, ob ich das alles wirklich glauben sollte, fragte ich immer weiter.
"Bei den meisten ist es Zufall, doch bei einigen, meist der Königsfamilie, wird das Tier zugeteilt, was am meisten zu der Persönlichkeit desjenigen passt, oder was sich in späterer Zukunft als sehr nützlich erweisen kann und wird."
"Was passiert denn, wenn ein Schutzengel stirbt? Stirbt dann auch der, ehm, Schützling?"
"Es gibt besondere Fälle, in denen Tier und Fee oder Elfe seelisch so eng miteinander verbunden sind, dass nach dem Tod des Schutzengels du entweder sehr krank wirst oder ins Koma fällst."
"Kam das schonmal vor?", fragte ich.
Er schien schwer zu schlucken. Nach einer Weile sagte er leise: "Ja. Meine Mutter ist an der Krankheit gestorben."
"Das tut mir leid. Ich wollte nicht - Ich wusste ja nicht, dass -"
"Ist schon okay." Er warf mir ein gequältes Lächeln über die Schulter zu.
"Sorry!" Ich wartete kurz bevor ich fortfuhr: "Feen und Elfen können also krank werden?"
"Nein, körperlich nicht, nur seelisch."
"Was ist mit sterben?"
"Wie gesagt, an Krankheit können sie nicht sterben und mit fünfundzwanzig Jahren hören wir auf zu altern. Am Alter sterben wir also auch nicht. Alle, die bis jetzt auf dem Thron saßen, verschwanden, wurden umgebracht oder - wie deine Mutter - starben bei der Geburt eines Kindes."
"Achso. Und wieso habt ihr eigentlich keine Flügel?"
Ein gefühlsloses Lachen drang nach hinten. "Feen und Elfen haben keine Flügel."
"Ich dachte -"
"Nicht mehr! Vor Ewigkeiten, als die Menschen noch keine Ahnung von uns hatten, trugen wir Flügel. Die Menschen haben sie uns sozusagen geraubt. Damals gab es nämlich wieder Krieg, diesmal Feen und Elfen in einem gemeinsamen Bund gegen die Menschen. Dabei verwelkten die Flügel vieler und auch ihre Kinder bekamen dann keine mehr. Nach und nach hatte niemand mehr Flügel."
"Oh, schade. Ich hätte gerne Flügel."
Wieder lachte er, diesmal klang es fröhlich und nicht kalt, wie eben. "Ja, ich auch. Aber wir haben doch Drachen!"
"Ja, schon, aber ich denke, es ist etwas anderes, selbst zu fliegen, oder auf jemandem oder etwas zu fliegen. Oder?"
"Wahrscheinlich hast du recht."
Mein Magen knurrte laut und fordernd. Ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen und mir wurde langsam auch schlecht vor Bauchschmerzen.
"Du hast Hunger." Er fragte nicht, er stellte fest. "Sollen wir gleich mal anhalten und etwas essen? Oder willst du direkt zurück zum Palast und dort essen?"
"Hier reicht auch." Dankbar stieg ich ab und wollte Ayana an einen Baum binden. Aber vorher überlegte ich es mir anders. Sie durfte kommen und gehen, wie und wann sie wollte! "Und was essen wir jetzt?", fragte ich und er lachte.
"Wir picknicken!" Er zog einen kleinen Korb von seinem Pferd, der hinter den Sattel gespannt war.
Zusammen breiteten wir eine Decke auf dem von Blättern bedeckten Rasen aus. Es wurde langsam Herbst. Überall leuchteten Farben wie Rot, Orange und Braun. Ich persönlich fand das wunderschön. Herbstliche Landschaften, Pferde und Picknick.
Während wir schweigend aßen, musterte ich ihn genauer. Er hatte leichte Augenringe und dunkle Wimpern, die seine dunkelgrünen Augen umrahmten. Teilweise sah man Goldtupfer aufglänzen, wenn sich die Sonne in ihnen spiegelte. Seine Lippen waren voll und hatten kaum Farbe. Wie der Rest seines Gesichtes. Die kurzen schwarzen Haare standen wirr ab, wahrscheinlich vom Wind. Erst als er mich auch ansah, schaute ich weg. Ich studierte meine Umgebung. Wir befanden uns auf einer einsamen Lichtung, mitten im Wald. Nach genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass die Bäume größtenteils Fichten und Buchen waren. Doch auf der Lichtung wuchsen kleine weiße Blüten zwischen saftigen Grashalmen, die im Schatten der Bäume von den Pferden - Pardon, dem Pferd und dem Einhorn - abgegrast wurden. Ganz leise hörte man unter dem Gesang der Vögel und dem Rauschen der Bäume einen Fluss. Der Himmel war frei und keine einzige Wolke war zu sehen. Nachdem ich soviel gegessen hatte, dass ich fast platzen könnte, lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Ließ mich im warmen Sonnenschein gehen, entspannte mich. Erst jetzt hatte ich bemerkt, dass ich die ganze Zeit total verspannt gewesen war. Eine Massage könnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen! Aber ich war ja nicht zuhause.
Plötzlich verdunkelte es sich und ein kalter Wind brauste auf. Ich öffnete meine Augen. Der Himmel war dunkelgrau, fast schwarz. Woher kamen die Wolken so plötzlich?
"Ich denke, wir sollten uns jetzt schleunigst auf den Weg machen, das Wetter ist hier eigentlich immer gut, aber wenn nicht, dann ist es richtig, entschuldige den Ausdruck, beschissen!", sagte er mit leichtem Nachdruck.
Schnell packten wir alles zusammen und banden es an Jordayns Sattel fest. Dann schwangen wir uns auf das Pferd und das Einhorn - kurz: unsere Reittiere - und ritten im schnellen Trab zurück zum Palast.
Als wir ankamen hatte es bereits begonnen zu regnen und der Wind heulte laut durch die hohen Türme. Gerade rechtzeitig hatten wir die Tiere untergestellt und uns in den sicheren Palast gerettet als es anfing zu donnern und zu blitzen. Ich liebte Gewitter!
"Und was machen wir jetzt?", fragte ich. Meiner Intuition nach dürfte es jetzt etwa halb vier sein. "Gibt es hier eigentlich auch Zeit? Also, so wie acht Uhr, Mitternacht und so?"
"Nein, keine genaue Uhrzeit. Wir richten uns nach der Sonne." Cool! "Sollen wir in's Musikzimmer gehen? Du kannst doch Klavier spielen, richtig?" Ich nickte und folgte ihm dann.
Er öffnete eine große Flügeltür und wir betraten einen fast überfüllten Raum: Fast überall waren Menschen - Feen - und lasen oder musizierten.
"Oh,", setzte ich an, aber er unterbrach mich: "Nein, das ist der öffentliche Teil, wir zwei gehen jetzt in den privaten, dort dürfen nur Mitglieder der königlichen Familie herein."
"Achso, cool." Irgendwie fand ich alles hier cool. Außer die Tatsache, dass ich nach Hause wollte.
Jetzt war es schon ruhiger. Ich nutzte die Stille und fragte Jordayn noch etwas: "Wann kann ich eigentlich wieder nach Hause?" Ich hatte schon die ganze Zeit fragen wollen, aber es war mir immer noch etwas Neues eingefallen.
"Du kannst nicht nach Hause." Wie bitte? Und warum nicht?
"Und warum nicht?", fragte ich.
Er lächelte mich mitleidig an. Sofort fühlte ich mich, als würde ich überhaupt nichts wissen. "Weil sich niemand an dich erinnern wird. Dafür hat Vater schon gesorgt."
"Wieso?" Fassungslos und erschüttert setzte ich mich auf ein Sofa.
"Es ist besser so. Und ich habe Kings, oder wie er hieß, nicht umgebracht, das war eine Elfe, die Krieg wollte. Wir tun alles dafür, dass niemand von unserer Existenz erfährt und sie hat uns gefährdet. Sie wurde schon verurteilt."
"Warum ausgerechnet ich? Warum nicht irgendwer anders? Warum ich? Wieso?" Meine Welt brach zusammen. Mary, meine Eltern, Katie. Alle anderen. Ich würde sie nie wieder sehen.
"Du bist die rechtmäßige Thronerbin. Es steht außer Frage, jemand anderes zu nehmen. Du bist die Richtige, das sagen viele Prophezeihungen."
Dann brach ich in Tränen aus.
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Perfect Two
FantasíaAlexis ist zufrieden mit sich und der Welt. Alles läuft so, wie sie möchte und ihr macht das Leben Spaß. Doch durch einen Autounfall verliert sie die Fähigkeit zu sprechen. Nachts und später auch tagsüber sieht sie seltsame Wesen. Nur sie kann sie s...