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Unsicher stand Victoria vor dem großen Tor hinter welches sich die JVA befand. Hier waren nicht nur die bereits verurteilten Straftäter untergebracht, sondern auch Personen, welche in Untersuchungshaft saßen. Zu denen zählte im Moment auch Stephan und bei diesem Gedanken wurde ihr schlecht. Schließlich war das Gefängnis so schon kein Zuckerschlecken, aber für einen Polizisten war das ganze noch viel schlimmer. Sie musste ihn da unbedingt raus holen und sie war auf dem besten Wege. Trotz allem hatte sie nun, wo sie hier vor der JVA stand, ein mulmiges Gefühl. Nur warum? Hatte sie Angst vor Stephan's Reaktion, wenn sie plötzlich einfach so wieder auftauchte? Oder hatte es einen anderen Grund? Allen Mut zusammen nehmend, passierte sie das Tor und trat in den Vorhof des Gefängnisses. Zielsicher schritt sie auf den Eingang zu und betrat das Gebäude. Dort meldete sie sich an und musste ihr Handy, ihre Schlüssel und ihr Portemonnaie abgeben. Dann wurde sie von einem der Justizvollzugsbeamten durch die Gänge zu einem der Besucherräume geführt. Dort angekommen setzte sie sich auf einen der Stühle und wartete auf Stephan. Dieser wurde kurz darauf von einem weiteren Beamten in den Raum geführt. Als er sie erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen und starrte sie einfach nur an. Dann drehte er sich zu dem Beamten, welcher immer noch hinter ihm stand, und wollte diesen bitten ihn zurück zu bringen. Doch Tori wollte unbedingt mit ihm reden, daher versuchte sie ihn um zustimmen. „Stephan bitte bleib. Ich kann mir vorstellen das du sauer bist und du hast auch alle Gründe dazu, aber bitte hör mir kurz zu. Wen du dann immer noch gehen willst, werde ich dich nicht auf halten." Er schien kurz darüber nachzudenken, dann drehte er sich wieder zu ihr um und nickte. Der Justizvollzugsbeamte öffnete die Handschellen und Stephan nahm ihr gegenüber platz. Abwartend sah er sie an und musterte sie unauffällig. „Ich weiß das die letzten Wochen nicht optimal gelaufen sind, aber ich weiß das du unschuldig bist. Das ganze ist ein abgekartetes Spiel." Er sah sie immer noch ohne jegliche Regung an. Unsicher rutschte Tori auf ihrem Stuhl herum. Sie konnte nicht sagen was Stephan von der ganzen Sache hielt, aber sie hoffte das er ihr weiterhin vertraute. Doch so sah es nicht aus. Errichtete sich etwas auf und stützte sich mit seinen Ellenbogen auf dem Tisch vor ihnen ab. Er funkelte sie böse an und dann platzte seine angestaute Wut heraus: „Willst du mich eigentlich verarschen? Nicht optimal gelaufen? Das ist mal die Untertreibung des Jahrhunderts. Weißt du eigentlich was ich in den letzten Wochen durchgemacht habe? Ich hätte deine Hilfe gebraucht und was machst du? Du tauscht einfach so in Berlin unter und meldest dich nicht. Und jetzt? Jetzt tauchst du einfach so hier auf und tust so als wäre nichts gewesen und faselst irgendetwas von einem abgekartetem Spiel. Hälst du mich eigentlich für bescheuert?" Die Justizvollzugsbeamten hatten sich das Schauspiel bis hierhin angesehen, doch nun mischte sich einer der beiden ein. „Ich denke der Besuch ist damit beendet." Stephan nickte, stand auf und ließ sich die Handschellen wieder anlegen. Bevor Stephan in Begleitung des Beamten den Besucherraum verließ, rief Tori ihm noch etwas nach: „Halt noch ein wenig durch! Es ist bald vorbei!" Ohne weiter darauf zu reagieren verließen die beiden den Raum und zurück blieb Tori mit dem anderen Beamten. Nach ein paar Minuten führte eben jener Beamte sie wieder zurück zum Empfang. Dort nahm sie ihre Sachen wieder an sich und verließ das Gebäude. Auf den Weg von der JVA weg kämpfte sie gegen die Tränen. Sie konnte und wollte jetzt nicht weinen. Sie musste durchhalten und dafür sorgen das Stephan entlassen wird. Vor dem Tor zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte Benny's Nummer. Nachdem dritten Klingeln ging er ran und sie verabredeten sich in einem kleinem  Café in der Nähe des Rheins. Mitzügigen Gang machte sie sich auf den Weg.

Da Benjamin wegen der Prügelattacke immer noch krankgeschrieben war, hatte er direkt Zeit. Er freute sich seine gute Freundin wieder zu sehen und war gespannt, was sie von ihm wollte. Als er am Café eintraf, wartete Tori bereits an einem Tisch und trank ein Glas Wasser. Er bestellte sich einen Kaffee und ging dann zu Tori. „Hey", begrüßte er sie und stutzte dann. Er musterte sie. Auf ihrem Gesicht konnte er ebenfalls mehrere Hämatome erkennen, ähnlich denen welche auf seinem Gesicht waren. Nur das seine bereits wieder verblassten und kaum noch zu sehen waren. Im Gegensatz zu denen von Tori. Ihre sahen noch recht frisch aus und leuchteten in den verschiedenen blau Tönen. „Mit wem hast du dich denn angelegt?", wollte er neugierig wissen. „Hey, ach das. Sagen wir mal so, es gab jemanden dem meine Ansichten nicht gefielen." „Da hast du ihn wohl ziemlich wütend gemacht. Das sieht echt übel aus." „Ach was, ist alles halb so schlimm. Aber warum ich eigentlich mit dir reden wollte, war die Attacke auf dich." Überrascht und verwundert sah Benjamin sie an. Wollte er wirklich darüber reden? Er dachtevkurz darüber nach und fragte dann: „Warum interessiert dich das?Ich mein, nimm es mir nicht übel, aber in den letzten Wochen hatte ich nicht das Gefühl dich würde interessieren was hier bei uns so abgeht." „Ich weiß und das tut mir wirklich leid. Aber ich habe Hinweise dass die ganzen Vorwälle der letzten Wochen zusammen gehören und daher möchte ich deine Sicht der Dinge hören. Vielleicht ist dir irgendetwas aufgefallen, ob nun bewusst oder unbewusst. Daher interessiert mich der Angriff auf dich." Wieder dachte Benny über die Sache nach und entschloss sich dann ihr alles zu erzählen. „Eigentlich müsste alles in dem Bericht stehen, aber gut. Ich hatte meine Schicht gerade beendet und machte mich auf den Nachhauseweg. Ich war gerade vom Klinikgelände, als mich plötzlich jemand zur Seite zog. Ich versuchte die Hand vom meinem Oberarm zu lösen, doch dann begann sie auf mich einzuschlagen. Anfangs hab ich noch versucht mich zu wehren, doch irgendwann ging es nicht mehr und ich bin zu Boden gegangen. Dann haben sie begonnen auf mich einzutreten und ich hab versucht mich so klein wie möglich zu machen und meinen Kopf zu schützen. Zum Glück hat sie dann irgendetwas dazu gebracht auf zu hören, sonst hätten sie mich vielleicht noch totgeprügelt." Man konnte Benjamin ansehen das es ihm schwer fiel über den Angriff zu reden. Um ihm zu zeigen das er nicht alleine war und um ihn zu unterstützen, griff sie über den Tisch nach seiner Hand und drückte diese leicht. Benjamin sah sie dankbar und mit einem kleinem Lächeln im Gesicht an. Als er sich sicher war das seine Stimme nicht mehr schwankte, sondern wieder normal klang, hakte er nochmals genauer nach: „Und du meinst das hängt wirklich alles zusammen?" Tori nickte: „So wie es im Moment aussieht leider ja, aber ich werde alles daran setzen das es nun endlich vorbei ist." Sie wusste nicht warum sie ihm das alles erzählte, aber bei Benjamin hatte sie einfach das Gefühl das es richtig war. „Weiß sonst noch jemand davon? Nicht das ich dir nicht vertraue, aber ich mach mir Sorgen das du dich übernimmst", gab er seine Bedenken preis. Nunvmusste Tori lächeln. Sie war froh einen so guten Freund zu haben, aber sie konnte ihn beruhigen: „Mach dir keine Sorgen, ich weiß was ich mache. Klaus und ein Kollege aus Berlin wissen Bescheid und unterstützen mich." Nun war Benny's Interesse noch mehr geweckt: „Wie war's denn so in Berlin?" „Anfangs war es komisch und ich hab euch alle echt vermisst, aber mit der Zeit habe ich neue Freunde gefunden und hab viel dazu gelernt." „Das freut mich. Aber sag mal, kommst du jetzt eigentlich wieder zurück oder bleibst du in Berlin?" Benjamin brannte diese Frage schon eine Weile unter den Fingern. Er hoffte wirklich das sie zurück kam. Doch wenn es nicht so war, wurde er trotzdem versuchen an ihrer Freundschaft festzuhalten, denn Tori war eine gute Freundin für ihn, auch wenn sie sich nicht mal ein Jahr kannten. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Aber egal was kommt, ihr bleibt meine Freunde und falls was sein sollte bin ich immer für dich und die anderen da." Zwar beruhigte ihn diese Antwort nur bedingt, aber sie zeigte ihm auch das Tori immer ein Teil von Ihnen sein würde. Die beiden tauschten sich noch ein wenig über alles möglich aus. Dann verabschiedeten sie sich voneinander und Tori machte sich auf den Weg. Jetzt musste sie unbedingt mit Kommissar Gomez reden und ihm offenbaren das sein Kollege ein falsches Spiel spielte. Klaus wusste zwar auch von der Sache, aber er hatte es ihr überlassen den Kollegen der internen Ermittlung aufzuklären. Schließlich hatte sie alle Beweise gefunden und konnte somit dem Kommissar die Sache ausberster Hand erklären.

Tori stand vor der Bürotür von Kommissar Gomez. Nachdem sie noch einmal tief durch geatmet hatte, klopfte sie an und wartete. Nach einem kurzen und knappen „Herein", öffnete sie die Tür und betrat das Büro. Kommissar Gomez sah von seinem Computerbildschirm auf und blickte seinen Besuch überrascht an. Er lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und musterte Tori. „Frau Beck. Was verschafft mir die Ehre?"„Guten Tag Kommissar Gomez. Ich bin hier weil ich dringend mit Ihnen sprechen müsste", erklärte sie ihr Anliegen. Kommissar Gomez musterte sie nochmals kurz und antwortete dann: „Es geht bestimmt um ihren Freund und Kollegen, oder? Aber eigentlich gibt es da nichts mehr zu sagen." „Das sehe ich etwas anderes und ich bitte Sie mir kurz zu zuhören, denn es ist wirklich wichtig", bestand sie. Nun neugierig geworden, richtete er sich wieder etwas auf und bat ihr einen Platz an. „Na dann schießen Sie mal los." So begann Tori zu erzählen. Sie berichtete dem Beamten der internen Ermittlung, das sie trotz des Verbotes weiter ermittelt hatte und das sie dank der Hilfe eines Berliners Kollegen etwas herausgefunden hatte. Der Kommissar hörte ihr schweigsam zu. Anfangs war er wütend, doch so langsam verpuffte die Wut und machte Erstaunen platz. Diese junge Beamtin hatte wirklich Mut und setzte sich für ihre Freunde ein. Aber irgendwie verstand er noch nicht ganz, warum sie ausgerechnet damit zu ihm kam. „Das ist ja alles schön und gut, aber warum kommen Sie mit der ganzen Sache zu mir?" „Wieso ich mit der ganzen Sache zu Ihnen komme? Ganz einfach, weil sie indirekt mit der Sache zu tun haben." Sie zog die Liste der korrupten Polizeibeamten und reichte sie an den Kommissar weiter „Das ist eine Liste über korrupten Beamten, welche ich bei meinen Recherchen gefunden habe." Er nahm die Liste an sich und las sie sich durch. Plötzlich stoppte er, sah Tori an und dann wieder zurück auf die Liste. Das durfte doch nicht wahr sein. Er hatte zwar so eine Vermutung gehabt, aber Beweise dafür hatte er nie. Doch wie sollte es nun weitergehen? Etwas ratlos sah er die junge Beamtin über den Schreibtisch hinweg an. Anscheinend verstand sie ihn auch ohne das er sagte was er wollte. „Ich weiß auch nicht genau wie es weitergehen soll, aber ich bitte sie etwas zu unternehmen. Stephan, ähm ich meine Herr Sindera sitzt derzeit unschuldig in Untersuchungshaft. Bitte sorgen sie dafür das er entlassen wird." Er dachte kurz über das Gesagte nach, ergriff dann den Telefonhörer und wählte eine Nummer. Recht schnell meldete sich auf der anderen Seite der Leitung jemand und schnell wurde dieser auf den neusten Stand gebracht. Danach legte er wieder auf und faltete seine Hände und legte sie auf dem Schreibtisch ab. „Das war gerade der zuständige Staatsanwalt. Ich habe ihn die Situation erklärt und er kümmert sich um alles notwendige. Meinen Kollegen werde ich mich selbst kümmern und ich bitte sie vorerst um stillschweigen. Ich möchte nicht das sich die Sache rumspricht bevor ich nicht alles notwendige in die Wege geleitet habe. Das verstehen sie hoffentlich?", besprach er mit ihr das weitere Vorgehen. „Kein Problem. Haben sie vielleicht eine Ahnung was diese komischen Nachrichten an den Tatorten zu bedeuten haben?" Kommissar Gomez schüttelte den Kopf: „Leider nicht. Aber das werden wir schon noch herausbekommen und dann ist der Drahtzieher ebenfalls dran, das können sie mir glauben." Victoria besah sich den Beamten vor sich noch einmal genauer. Sie hatte ihn wirklich falsch eingeschätzt. Vermutlich wirkte er nur auf den ersten, vielleicht auch auf den zweiten Blick, einschüchternd und bedrohlich. Aber in Wirklichkeit war er nett und umgänglich. Harte Schale, weicher Kern. Als ihr diese Aussage durch den Kopf ging, huschte ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht, welches schnell wieder verschwand. So wie es aus sah hatte der Kommissar das Lächeln nicht gesehen oder er sah einfach darüber hinweg. „Da ich mir vorstellen kann das sie jetzt nicht einfach so die Füße stillhalten werden, bitte ich sie vorsichtig zu sein und mich über alle möglichen Erkenntnisse zu informieren. Kann ich mich darauf verlassen?",wollte er wissen, sah sie aber nicht sehr überzeugt an. Doch Tori war überzeugt. Sie wusste das sie jetzt nicht mehr alleine für die Wahrheit kämpfen musste und das sie ihm vertrauen konnte. Daher fiel ihr dieses Versprechen auch nicht schwer: „Können sie. Falls ich noch was rausbekomme, melde ich mich bei ihnen und gebe ihnen Bescheid." Danach verabschieden sich die Beiden voneinander und Tori verließ das Büro und kurz darauf die Dienststelle.  

Freundschaft auf dem PrüfstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt