DREI

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Erik hat in der Pause wohl etwas besseres zu tun als mit uns herumzulaufen, aber glücklicherweise übernehmen Diana und Kathi den Part. Das sind die beiden Mädchen, die in unserer Tischreihe sitzen. Ich schaue auf meine Füße. Der Boden ist mit grauen Pflastersteinen belegt.
„Setzten wir uns auf die Bank da vorne? Die ist noch frei."
War das jetzt Kathi? Oder Diana? Hm. Ich kann mir das auf die Schnelle nicht so gut merken. Bei all den Namen!
Um zu der Bank zu kommen, die zwischen zwei großen Kastanien liegt, gehen wir einmal quer über den Schulhof, wobei wir einige neugierige Blicke zugeworfen bekommen. Obwohl mir diese Schule so groß vorkommt, ist sie für die meisten wohl doch so überschaubar, dass neue Schüler sofort erkannt werden. Auf den Bänken und auf dem Rasen um den gepflasterten Platz herum sitzen oder stehen Schüler, die meisten älter als wir. Ich frage mich, wo die Jüngeren aus der Unterstufe sind. Ob es hier irgendwo einen Sportplatz oder so -
Ziemlich genau 20 Meter etwas rechts vor uns ist eine Gruppe Jungs, älter als wir. Einer starrt mich an. Dann bewegt er seine Hände.
Guten Morgen.
Ich packe Maria an der Schulter. Sie dreht sich verwirrt um.
„Was ist?"
Maria! Der Junge da hat gerade „Guten Morgen" gesagt!
„Ja und? Darf er nicht „Guten Morgen" sagen? Was ist daran so besonders?"
Er hat es so gesagt wie ich.
„Du meinst... Gebärdensprache? Ist er auch stumm?"
Kann sein. Ich weiß es nicht.
Der Junge wendet sich jetzt wieder seinen Freunden zu, nicht ohne noch mal einen Blick zu mir geworfen zu haben.
„Kathi? Warte mal... weißt du zufällig wer dieser Junge dort ist? Der mit den schwarzen Haaren?"
„Wer? Ach so. Das ist Nico." Sie senkt ihre Stimme zu einem Flüstern „Er sieht sowas von süß aus, findet ihr auch? Aber er ist schon in der zwölften..."
Maria und ich sehen uns an.
„Und ist er auch stumm? So wie Lucie?"
„Was? Nico, stumm? Nein, niemals! Warum sollte er?"
„Ach... nur so. Ist irgendjemand von seinen Freunden stumm oder taub? Oder irgendjemand aus der Schule?"
„Nein, niemand. Bei seinen Freunden außerhalb der Schule weiß ich das natürlich nicht so wirklich, aber wieso denn?"
„Ist nicht so wichtig."
Ich schaue wieder zu Nico. Warum kann er Gebärdensprache? Und warum weiß er, dass ich sie kann und benutze? Und warum sah er so geschockt aus, als er mich gesehen hat? Woher kennt er mich?

Wir sitzen auf der Bank zwischen den Kastanienbäumen. Ich esse das Käsebrot, das Mama mir gemacht hat. Anscheinend haben wir jetzt Deutsch und dann Kunst, denn es wird darüber spekuliert ob wir heute wirklich schon Unterricht machen.
Maria, wollen wir nach der Schule diesen Nico mal darauf ansprechen woher er mich kennt?
„Können wir machen. Aber eigentlich brauchst du mich als Übersetzerin dafür nicht. Er versteht sich ja anscheinend."
Wir müssen doch sowieso zusammen zum Bus.
„Stimmt ja. Ich komme mit."
„Wohin?", fragt jetzt Kathi „Es ist einfach so schwer euch zu verstehen, wenn nur einer redet."
Sie lacht.
„Naja, manche Sachen reden ja auch nur wir beide zusammen."
Jetzt mischt sich auch Diana ein.
„Kann ich auch das Gebärdensprache-Alphabet lernen?"
Klar. Aber das ist schwerer als du denkst.
„Lucie meint, dass du das natürlich kannst, aber dass es recht schwer ist."
„Ach, das schaffe ich schon. Mach mal: Ich heiße Diana!"
Ich heiße Diana.
„Cool. Warte ich versuch es mal..."
Ieh heiße Diana.
„Das E und das C sind sehr ähnlich, du hast Ieh statt Ich gesagt!", grinst Maria.
Aber sonst war es schon sehr gut. Du kannst dir Dinge gut merken, oder?
Maria übersetzt.
„Na ja... schon. Ich brauche nicht so viel lernen. Mach mal noch was!"
Ich bin 16 Jahre alt.
Diana und auch Kathi haben einen riesigen Spaß daran, alles was ich sage, nachzumachen. Aber ich glaube nicht, dass sie wirklich bald schon alles verstehen und machen können. Aber jetzt in diesem Moment macht es einfach nur Spaß, mit den Mädchen zusammen in der Sonne zu sitzen.

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