NEUNZEHN

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„Heute ist so ein schönes Wetter, wollen wir heute vielleicht schwimmen gehen? Direkt nach der Schule?" fragt Diana.
„Au ja! Gute Idee! Aber ich habe gar keine Schwimmsachen dabei..."
Maria und ich sehen uns an.
Ich auch nicht.
„Ach was! Ich wohne fünf Minuten von hier entfernt. Kathi, hast du Badesachen dabei?"
„Ja! Ich hab mir schon gedacht, dass irgendjemand heute noch schwimmen geht."
„Super! Wie gehen alle zu mir, ich leihe Lucie und Maria Badeanzüge und Handtücher und dann gehen wir zum Weiher. Da kann man auch was zu essen kaufen."
Okay, warum nicht. Maria, das ist die perfekte Möglichkeit, Kathi im Auge zu behalten!
„Lucie ist auch dafür."
„Na dann. Müsst ihr noch eure Eltern anrufen?"

Wir telefonieren auf dem Weg zu Diana. Ich nehme Marias Handy, weil meins zuhause ist. Bei meinem Vater geht niemand ran, aber meine Mutter hebt ab.
„Hallo Maria!"
Ich gebe das Handy zu Maria. Natürlich hat Mama das Video nicht angemacht, weil sie denkt dass es Maria ist.
„Hallo Frau Halbe! Können Lucie und ich mit ein paar Freundinnen zum Weiher gehen?"
„Wann denn?"
„Jetzt? Wir leihen uns Badesachen aus."
„Natürlich. Janosch, lass mich mal. Ja, Lucie geht jetzt zum Weiher. Nein, du nicht. Maria? Natürlich könnt ihr, habt ihr denn auch Geld für Essen dabei?"
Ich nicke.
„Ja, haben wir. Vielen Dank! Auf Wiederhören!"
„Tschüss und viel Spaß!"
Maria legt auf und schiebt das Telefon wieder in ihre Tasche.
„Perfekt. Sind wir bald da, Diana?"

Am Weiher ist noch nicht so viel los wie nachmittags. Alle Kindergarten- und Grundschulkinder kommen erst später am Nachmittag mit ihren Familien. Wir breiten die Picknickdecke, die Diana auch mitgenommen hat am Rand der Wiese aus, sodass man entweder in der Sonne oder im Schatten der Bäume sitzen kann.
„So! Wollen wir was essen oder erst schwimmen gehen?" fragt Maria in die Runde.
„Schwimmen!"
„Essen!"
Schwimmen!
„Da ich auch für Schwimmen bin, hast du verloren, Diana. Los jetzt!"
Der kleine See ist wärmer als ich dachte. Vermutlich, da er nicht besonders tief ist. Deshalb sind auch immer so viele Leute mit kleinen Kindern da und an der tiefsten Stelle kann ich, wenn ich mit den Zehenspitzen den schlammigen, teilweise mit Kieselsteinen bedeckten Grund berühre, meine Hand noch über Wasser strecken. Jetzt sind meine Haare aber auch pitschnass.

„Nehmen wir eine große Pizza für uns alle?"
„Was? Nein! Ich hab riesigen Hunger!"
„Die größten Pizzen hier sind für Familien und danach bist du satt, das sag ich dir."
„Na gut. Wie viel kostet so eine Familien-Pizza?"
„Keine Ahnung. Ich kann auslegen, dann machen wir die Geldverteilung nachher. Wer von euch kommt mit zum Bestellen?" fragt Diana.
Maria, einer von uns muss hierbleiben!
„Sie sagt: Ähm, sie bleibt hier, ich kann mitkommen zum Bestellen."
„Na gut. Dann komm, je schneller desto besser. Und da ist schon eine lange Schlange am Kiosk."
Also bleiben Kathi und ich auf der Wiese zurück, während Maria und Diana sich in die Menschenschlange einreihen. Maria vermutet nämlich, dass Nico Kathi sofort nach der Schule anschreiben wird, warum sie ihm denn falsche Informationen gegeben hätte.
Ping!
Oh, Kathi hat wohl eine Nachricht bekommen. Da ihr Handy neben mir liegt, nehme ich es und reiche es ihr. Natürlich nicht ohne einen Blick auf das Display geworfen zu haben. Leider hat sie den anscheinend den Sperrbildschirm so eingestellt, dass man nur sieht wer etwas geschrieben hat, nicht was derjenige geschrieben hat. Also in diesem Fall Nico. Und was jetzt? Na toll, ich kann nur zusehen, wie sie auf dem Bildschirm herumtippt. Super.

Der Dienstag vergeht ereignislos. Bis darauf, dass Janosch mich fragt, was ich mir zum Geburtstag wünsche („Vielleicht etwas, mit dem ich dann auch spielen kann?"), Mareike anruft und uns, also meinen Bruder und mich am Wochenende zu Kuchen, Limo und auch zum Suchen einer Geheimtür im Wald einlädt. So kann ich vielleicht auch einen weiteren Punkt auf meiner To-Do Liste abhaken, nämlich mehr über den Jungen herausfinden, der mich und Maria damals belauscht hat.

Am Mittwoch ist es dann ähnlich. Nico steckt mir wieder einen Zettel in meine Schultasche.

Triff mich morgen an deinem „Geburtstag" um 16:00 Uhr am Baumhaus.
Nico

Was er wohl will? Sicher nicht: Hey, du hast heute gar nicht Geburtstag, der ist doch wann anders!
Ach ja, wir schreiben auch noch eine Kurzarbeit in Chemie.

Ich liege im Bett und starre - wieder einmal - an die Decke. Was ist heute vor drei Jahren passiert? Wo war ich damals? Morgen Abend vor drei Jahren bin ich in einem Krankenhaus aufgewacht. Ich habe manchmal immer noch Alpträume von der Zeit, in der ich Niemand war, keinen Namen und keine Familie, keine Stimme hatte. Letzteres habe ich zwar immer noch nicht, und auch die Erinnerung fehlt, aber alles in allem bin ich wieder jemand. Jemand Glückliches, aber mit dem Verlangen, etwas über die Vergangenheit herauszufinden.

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