ACHTZEHN

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Ich liege mit Block und Stift in der Hängematte im Garten. Auf dem karierten Papier habe ich eine To-Do Liste erstellt.

- Nico konfrontieren, indem ich ihm ausgedachte Sachen erzähle, die wir angeblich herausgefunden haben (genau das Gegenteil von dem was Kathi ihm geschrieben hat), sorgt für Verwirrung
- Oder ihn Dinge fragen, die er vermutlich nicht weiß (wann habe ich Geburtstag, wie sahen meine Eltern aus, wie hießen sie mit Vor-/Nachnamen, auf welche Schule bin ich gegangen)
- Geheimtür im Wald finden und mehr über mich herausfinden (das ist eigentlich das Wichtigste!)
- Mit Maria über Kathi reden
- Kathi zur Rede stellen, auch mit Maria (z.B. „Na, wie war es beim Eisessen?")
- Wer war der Junge, der uns am Samstag durchs Fenster belauscht hat?

Wobei letzteres erst einmal nicht die oberste Priorität hat. Was könnte ich noch machen? Ach ja.

- Mit Nelio sprechen (zusammen mit Maria)
- Herausfinden, wer mein richtiger „bester Freund" war (ausgeschlossen: Nico selbst (lügt), Nelio (hätte mich erkannt) und alle, deren Name nicht mit N beginnt)

Gut, das ist vorerst genug. Einen Punkt will ich jetzt schon mal abhaken, nämlich den vierten. Ich krame mein Handy heraus, das ich einfach neben mich in die Hängematte geworfen habe.
„Hallo Lucie? Gut dass du anrufst, kannst du mir die Hefteinträge schicken die wir heute gemacht haben? Und das was wir als Hausaufgabe aufhaben."
Maria liegt in ihrem Bett, sie sieht wirklich noch krank aus. Ich positionierte mein Telefon so, dass Maria mich gut sehen kann.
Ja, mach ich später. Erstmal was Wichtiges: Also, ich war mit Janosch heute bei Mareike und Peer. Das erzähl ich dir gleich. Am Samstag haben wir ja mit Kathi und Diana telefoniert.
„Ja, ich habe ihnen die neusten Ereignisse mitgeteilt."
Genau. Und dann bekam Kathi eine Nachricht von einem Freund. Diana und du sind rausgegangen. Ich bin nur aus dem Sichtfeld von Kathi gegangen, habe also alles noch gehört, was sie gesagt hat.
„Sie hat ihrem Freund die Nachrichten diktiert? Und du hast gelauscht? Lucie!"
Okay, Maria klingt schon ziemlich vorwurfsvoll.
Ja. Aber weißt du wer dieser Freund war? Es war Nico! Und sie hat ihm alles erzählt, was wir beide herausgefunden haben.
„Hä? Warum das denn?"
Weiß ich nicht. Aber jetzt kommt es: Ich konnte natürlich nicht lesen was Nico geschrieben hat, aber Kathi meinte, dass ich herausgefunden habe, dass er nicht alleine dort war. Also bei meinem alten Haus. Das haben Mareike und Peer ja erzählt.
„Jap, da war ich dabei und ich habe es ihnen ja kurz davor erzählt."
Dann hat sie diktiert, dass ich auf keinen Fall mit dem Freund von Nico reden dürfe, weil ich sonst alles herausfinden würde. Nico hat dann wohl geschrieben dass er nie sein Freund war und dann haben sie sich zum Eisessen verabredet!
„Was?! Als ob... Du musst unbedingt mit diesem Freund, oder eben dem nicht-Freund von Nico reden!"
Ja, aber ich habe keine Ahnung wer es ist! Ich denke nämlich auch, dass Nico gelogen hat, was unsere frühere Freundschaft betrifft.
„Kann sein, Mareike hat ja auch gesagt, dass nur einer der beiden Jungs die nach dir gefragt haben verzweifelt war. Der eine war Nico und der andere, verzweifelte, war dein echter Freund mit dem du nicht reden sollst, weil du sonst die Wahrheit herausfindest!"
Genau das hab ich mir auch gedacht! Aber nochmal wegen Kathi: Wir sollten ihr jetzt erstmal nichts mehr erzählen. Und Diana auch nicht.
„Meinetwegen. Oder wir stellen sie beide zur Rede."
Ja. Und Nico auch, ich erzähle ihm ganz andere Sachen als er von Kathi und vielleicht sogar auch Diana weiß und frage ihn dann Sachen, die er nur wissen kann, wenn er wirklich mal mit mir befreundet war.
„Gute Idee!"
Nachdem ich noch alles von heute, also das Entdecken der Geheimtür berichtet habe, frage ich Maria nach ihrer Meinung dazu.
„Boah. Das ist echt krass. Also, eine geheime Tür... Wir müssen diesen anderen Eingang finden! Aber Lucie, ich muss jetzt aufhören, das ganze Reden macht sich jetzt als Halsweh bemerkbar. Schick mir die Hefteinträge, ja?"
Jap. Bis morgen!
„Eher nicht. Ich glaube kaum, dass ich dann schon wieder fit bin..."
Oh. Na dann gute Besserung!

Und schon habe ich den ersten Punkt auf der To-Do Liste abgehakt. Das ging ja flott. Und jetzt? Maria die Hefteinträge von heute schicken. Also zumindest in Bio hat sie dann was zu tun. Ich schwinge mich aus der Hängematte und gehe nach drinnen in die Kühle des Hauses. Es ist immerhin Spätsommer, also noch heiß draußen. Was mich daran erinnert, dass ich ja bald Geburtstag habe und somit siebzehn werde! Das wiederum erinnert mich daran, dass ich vermutlich ganz wann anders Siebzehn werde... oder Sechzehn? Man hat meinen Geburtstag einfach an den Tag gelegt an dem ich gefunden wurde. Wobei... wenn Nico nicht zu viele Lügen erzählt hat, müsste ich herausfinden können wie alt ich wirklich bin! Er hat gesagt, dass ich dreizehn war als ich verschwunden bin und er war fünfzehn. Nach zweieinhalb - nein eigentlich schon fast drei Jahren, er ist jetzt achtzehn... müsste ich jetzt sechzehn Jahre alt sein. Nur wann werde ich siebzehn? Auf jedem Fall nicht am Donnerstag nächster Woche, das ist ja schon in... vier Tagen! Ich wünschte, es wäre alles nicht so kompliziert. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, oder Nico würde die Wahrheit sagen, oder ich würde endlich jemanden treffen, der mich von früher gut oder wenigstens ein bisschen kannte. Oder meine Eltern, Großeltern, meine Familie.

„Also... bist du bereit?"
Das selbe könnte ich doch auch dich fragen.
„Ich bin bereit."
Der Bus hält an der Schule, die Türen gehen zischend auf. Maria strafft die Schultern und atmet laut aus.
„Gut. Dann mal los. Du läufst sofort - ach egal, wir haben ja alles besprochen."
Der Pausenhof ist wie jeden Tag vor der Schule gefüllt mit Schülern und Schülerinnen. Hinten auf unserer Bank sitzen schon Kathi und Diana. Letztere winkt uns fröhlich zu. Auf halben Weg merke ich, dass Nico zu mir schaut. Ist er sauer, dass ich alleine Nachforschungen angestellt habe und jetzt weiß, dass er damals mit einem Freund an meinem ehemaligen Haus war? Ich tippe Maria an.
Ich gehe schnell zu Nico und erzähl ihm was wir alles noch so herausgefunden haben.
Maria nickt, lässt sich nichts anmerken und geht - anders als ich - zu den beiden anderen.
Hallo. Ich muss dir was erzählen, wir haben am Wochenende so viel herausgefunden!
„Wart ihr beim Baumhaus? Ich hab doch gesagt dass wir erst mit diesem Nelio reden müssen!"
Nein. Aber ich war mit Kathi bei meiner alten Schule, da haben wir Leute getroffen, die uns zu jemandem gebracht haben, der uns vielleicht helfen könnte!
Nicos Blick spiegelt Verwirrung wieder, er fängt sich aber sofort und grinst gelassen.
„Und?"
„Es war ein Junge... den Namen hab ich vergessen, aber er fing irgendwie mit N an. Wir haben uns unterhalten und er will uns helfen.
Jetzt starrt mein Gegenüber mich offen geschockt an. Aha, ich soll also nicht mit jemanden sprechen, dessen Name mit N anfängt? Interessant.
„Oh, okay, was hat er... was hat er denn so gesagt?"
Ach, nichts wichtiges.
Jetzt muss ich vom Thema abschweifen, weil ich ja keine Informationen über meinen früheren „besten Freund" habe.
Hast du dir schon was wegen Nelio ausgedacht? Wie wir unser Baumhaus zurückbekommen? Ich finde das nämlich langsam echt nervig, dass der da in unseren Sachen rumkramt!
Nico grinst jetzt wieder, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Ja, es hat geklappt! Ich wette er denkt jetzt ich hätte N (wie auch immer er eigentlich heißt), nicht erkannt beziehungsweise er hätte mich nicht erkannt. Darum ist er jetzt erleichtert. Vermutlich sagt er jetzt etwas wie zum Beispiel, dass ich besser nichts mit diesem Jungen machen soll oder so.
„Wegen Nelio weiß ich noch nichts... bisher. Aber trotzdem solltest du besser nicht zu viele Leute einweihen. Dieser Junge von dem du den Namen nicht mehr weißt... na ja, also vertrau erstmal nicht zu vielen Leuten."
Na gut, dann rede ich nicht mehr mit ihm.
Es gongt. Perfektes Timing!
Ich muss los! Bis bald mal!
Ich gehe im Laufschritt und grinse dämlich zurück zu Maria, halte den Daumen hoch.
Er hat angebissen... jetzt müssen wir mit Kathi in Kontakt bleiben.
Maria nickt. Nico ist schon im Schulhaus verschwunden, er hat unsere kleine aber feine Unterhaltung nicht mitbekommen.

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